Immer wieder greift die Ukraine russische Infrastruktur mit Drohnen an. Dabei dringen diese inzwischen bis weit in russisches Staatsgebiet ein.
Kiew/Moskau – Einen Monat, nachdem die Ukraine damit begonnen hat, Ziele auf russischem Territorium mit umgebauten und mit Sprengstoff beladenen Sportflugzeugen zu bombardieren, zeigt diese Strategie weiter Wirkung. Eine jener Drohnen aus Eigenumbau drang nun sogar bis in die Stadt Salawat vor. Die russische Großstadt mit 156.095 Einwohnern ist in der Republik Baschkortostan gelegen, rund 1200 Kilometer von der Front im Ukraine-Krieg entfernt.
Ziel der ukrainischen Sportdrohne war eine Ölraffinerie des Konzerns Gazprom in Salawat, einem der größten Industriekomplexe Russlands. Initiiert worden war der Drohnenangriff nach eigenen Angaben vom ukrainischen Geheimdienst SBU. Die staatliche russische Nachrichtenagentur RIA Nowosti meldet unter Berufung auf örtliche Rettungsdienste, bei dem Drohnenangriff sei das Gebäude der Pumpstation der Industrieanlage beschädigt worden. Verletzt worden sei infolge des Angriffs aber niemand.
Die Anlage Gazprom Neftekhim Salawat arbeite trotz des ukrainischen Drohnenangriffs wie gewohnt, erklärte das Oberhaupt der Republik Baschkortostan, Radij Chabirow, auf seinem persönlichen Kanal auf dem Messengerdienst Telegram.
Angriff auf die Öl-Raffinerie in Salawat markiert neuen Erfolg der ukrainischen Armee
Seit Beginn der russischen Offensive gegen die Ukraine vor mehr als zwei Jahren ist es den ukrainischen Streitkräften immer wieder gelungen, erfolgreich Drohnen auf den Weg nach Russland zu bringen. Diese drangen mit der Zeit immer weiter in russisches Staatsgebiet vor.
Der Drohnenangriff auf Salawat markiert dabei einen neuen Meilenstein der ukrainischen Streitkräfte: Noch nie zuvor hat es eine ukrainische Drohne geschafft, so weit in russisches Territorium vorzudringen. Mit ihrer Drohnen-Strategie dürfte die Ukraine also allem Anschein nach ein wirksames Mittel im Rahmen ihrer Angriffskampagne gegen russische Raffinerien, Fabriken und strategische Militärstandorte gefunden haben.
Andererseits setzen aber auch die Streitkräfte Wladimir Putins immer wieder Drohnen ein, um kritische Infrastruktur in der Ukraine anzugreifen. Bis zuletzt war etwa die Energieinfrastruktur des Landes immer wieder Ziel russischer Drohnenangriffe.
Wie schafft es die Ukraine, mit Drohnen so weit nach Russland vorzudringen?
Für seine Angriffe auf verschiedene Ziele in Russland nutzt das ukrainische Militär aktuell Drohnen, die vom SBU und dem ukrainischen Kommando für Spezialeinsätze aus zwei einheimischen Flugzeugtypen hergestellt wurden: dem „Aeroprakt A-22“ und dem „Aerosor Nynj“. Dem US-Nachrichtendienst Forbes zufolge, ist der jüngste ukrainische Drohnenangriff auf den Industriekomplex Salawat bereits mindestens der vierte Angriffsversuch, der mit solchen Sportflugzeugdrohnen durchgeführt wurde.
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Beide Flugzeugtypen verfügen offenbar über preiswerte Videokameras, einfache Bordcomputer und Servos, die mit der Flugzeugsteuerung verbunden sind. Daneben beinhalten sie Satellitenfunkgeräte, mit der Videoaufnahmen an einen entfernten Betreiber gesendet oder Steuersignale empfangen und verschickt werden können. Beide Drohnen fliegen mit einer Geschwindigkeit von etwa 160 Kilometern pro Stunde und sollen sich in den zivilen Luftverkehr einfügen, sodass sie für die gegnerische Luftabwehr nur schwer zu entdecken und abzufangen sind.
Auf dem Kurznachrichtendienst X (ehemals Twitter) kursiert aktuell verschiedenes Videomaterial, das von Anwohnern vor Ort in Salawat aufgenommen wurde. Auf einigen von ihnen sind recht deutlich die breiten, geraden Flügel, die feststehenden Räder und der Propeller zu erkennen, die laut Forbes allesamt charakteristische Merkmale dafür sind, dass es sich bei den betreffenden Drohnen um umgebaute Flugzeuge dieser Art handeln dürfte. Umgerechnet belaufen sich die Kosten für ein solches Exemplar auf rund 90.000 US-Dollar.
Neue ukrainische Drohnen-Taktik zeigt im Krieg gegen Russland schon länger Wirkung
Die Reichweite eines Sportflugzeugs mit einem typischen 20-Gallonen-Treibstofftank liegt mit rund 1200 Kilometern an seiner äußersten Grenze. Allerdings sei es Forbes zufolge vorstellbar, dass die Ukrainer zusätzliche Tanks eingebaut haben – und im Gegenzug für mehr Reichweite freiwillig mehr Gewicht in Kauf nehmen. Denn mit jedem Kilometer, die eine Drohne an Reichweite gewinnt, wächst natürlich auch die Zahl ihrer potenziellen Angriffsziele.
Zu den bisherigen Zielen der Ukrainer auf russischem Territorium zählte im Kriegsverlauf etwa eine Drohnenfabrik in der Sonderwirtschaftszone Alabuga, rund 1000 Kilometer von der ukrainischen Grenze entfernt. Am 2. April griffen die ukrainischen Streitkräfte mit mindestens einer A-22-Drohne einen Überhorizont-Radar in Kowylkino an, einer Kleinstadt im Oblast Mordwinien, beinahe 500 Kilometer von der Grenze entfernt. Rund zwei Wochen später, am 17. April, folgten weitere Angriffe A-22-Drohnen, die den Radar und ein Kontrollgebäude beschädigten.
Angriffe haben „keinen signifikanten Einfluss“ auf Jahresproduktion der Öl-Raffinerien
Fraglich ist, welches übergeordnete Ziel die ukrainischen Streitkräfte bei ihren Angriffen auf russische Öl-Raffinerien konkret verfolgen. Zwar haben die Angriffe die russische Benzinproduktion etwas drosseln können, wahrscheinlich dürfte dies aber nicht ausreichen, um unmittelbare Auswirkungen auf die Wirtschaft und damit auch nachhaltig auf die russische Kriegsfähigkeit zu bewirken.
Die Angriffe des ukrainischen Militärs auf russische Öl-Raffinerien seien nicht mehr und nicht weniger als „punktuelle Angriffe“, erklärte etwa Energieexperte Hennadii Rіabtsev der ukrainischen Pravda Ende März (21. März 2024).
„Zwar sind sie schmerzhaft und beeinträchtigen die Logistik, aber sie haben keinen signifikanten Einfluss auf das jährliche Gesamtvolumen der Raffinerien“, sagte Riabtsev demnach. Denkbar ist so etwa auch, dass die Angriffe auf russische Raffinerien die Luftabwehr Russlands unter Druck setzen sollen, indem sie sie zwingen, Hunderte von potenziellen Angriffszielen in ganz Russland zu schützen. (fh)