Vor US-Wahl „offenkundig schlecht beraten“ – nun bekommt die Ampel neue Trump-Probleme

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Vor US-Wahl „offenkundig schlecht beraten“ – Deutschland bekommt neue Trump-Probleme

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Donald Trump wird erneut US-Präsident. Ein harter Kurswechsel in der US-Politik steht bevor. Politologe Ulrich Schlie erklärt, was auf uns zukommt.

Nach vier Jahren kehrt der Republikaner Donald Trump als US-Präsident zurück ins Weiße Haus. Der 78-Jährige siegte nach einem hitzigen und oft aggressiven Wahlkampf überraschend eindeutig über seine demokratische Gegenkandidatin, die scheidende Vizepräsidentin Kamala Harris (60). In der US-Politik steht jetzt ein harter Kurswechsel bevor.

Trump hatte im Wahlkampf die „größte Deportation der Geschichte“ von Migranten aus den USA, ein schnelles Ende des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine sowie hohe Einfuhrzölle und Steuersenkungen angekündigt. Auch leugnet der Republikaner die Klimakrise und kündigte einen drastischen Ausbau der Öl- und Erdgasförderung der USA an. In der Außenpolitik – wo die Kandidatin Harris für Kontinuität stand – gilt Trump als unberechenbar, auch mit Blick auf die wichtige US-Unterstützung für die Ukraine.  Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) streckte dem künftigen US-Präsidenten in einer ersten Reaktion die Hand aus – machte aber auch klar, dass die Europäer nun enger zusammenstehen müssen. 

Im IPPEN.MEDIA-Interview erklärt Experte Ulrich Schlie, Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn, welche Änderungen es im Ukraine-Krieg geben könnte, warum Trump die US-Wahl gewonnen hat und welche Lehren die deutsche Politik ziehen kann.

Wird es durch den Sieg von Trump auch in Europa Aufwind für Populisten geben?

Das ist leider nicht auszuschließen, demokratische Errungenschaften sind keine Selbstverständlichkeiten.

In welchen Ländern könnte der Populismus stärker werden?

Prinzipiell ist kein Land gegen populistische Versuchungen gefeit. Das jüngste Beispiel dafür ist der Ausgang der Parlamentswahlen in der Republik Österreich. Aber auch der mögliche Griff von Marine Le Pen nach dem Amt der französischen Staatspräsidentin wäre eine immense Herausforderung für die Politik in Gesamteuropa.

Deutschland setzte vor der US-Wahl auf Harris: „Eindeutig ein Fehler“

Und welche Auswirkungen hat der Ausgang der US-Wahl auf die deutsche Politik?

Für die deutsche Politik ist die Wahl von Trump sicherlich ein Kälteschock. Es war ein Fehler, sich vor der Wahl eindeutig zugunsten von Harris festzulegen und sich negativ über Trump zu äußern. Die Bundesregierung muss jetzt endlich Ernst machen mit der Zeitenwende: Die Rolle Deutschlands in der nordatlantischen Allianz für künftige Aufgaben neu bewerten, die veränderte strategische Lage analysieren und sich in der Exportpolitik auf Handelshemmnisse einstellen. Wir gehen schwierigen Zeiten entgegen.

Viele deutsche Politikerinnen und Politiker sind vom Ergebnis überrascht. Wie konnte es sein, dass wir in Deutschland so fest an den Sieg von Kamala Harris geglaubt haben?

Man ist in der internationalen Politik nie gut beraten, wenn man seine Wünsche für Realitäten hält und sich nicht auf alle möglichen Szenarien vorbereitet. Wir sind ganz offenkundig schlecht beraten gewesen.

In Deutschland wird kommendes Jahr gewählt. Welche Lehren können wir für die Bundestagswahl ziehen?

Zunächst gilt: nicht nur Worte, sondern auch Taten, schonungslose Analyse und demokratisches Zusammenstehen anstatt Palaver und Streit. Außenpolitik ist seit jeher nie wahlentscheidend gewesen. Aber im Bundestagswahlkampf werden strategische Fragen, also Fragen der künftigen Orientierung der internationalen Sicherheitspolitik und die Konsequenzen für Deutschlands Rolle in der Welt, eine deutlich größere Bedeutung haben.

Ukraine-Krieg mit Trump wohl bald „eingefroren“ – neue Probleme für Europa folgen

Schauen wir ins Ausland. Werden die USA unter Trump als NATO-Partner nun weniger verlässlich?

Trump ist immer für Überraschungen gut oder schlecht. Wir müssen alles dafür tun, dass die Allianz handlungsfähig und das transatlantische Verhältnis intakt bleibt. Je mehr wir in die Waagschale werfen, desto geringer die Gefahr, dass sich die Amerikaner von uns abwenden.

Einer von zwei aktuellen Krisenherde ist der Nahe Osten. Welche Konsequenzen gibt es für den Gaza-Konflikt?

Donald Trump wird vermutlich einen Schwerpunkt seiner Außenpolitik auf das Pulverfass Naher Osten legen. Das Bekenntnis zur Solidarität mit Israel wird unter Trump vermutlich deutlicher ausfallen, als dies unter Harris der Fall gewesen wäre.

Ulrich Schlie, Jahrgang 1965, ist Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Nordrhein-Westfälischen Akademie für Internationale Politik (englisch: Academy of International Affairs NRW, Geschäftsführende Direktorin: Dr. Mayssoun Zein Al Din), Henry-Kissinger-Professor für Sicherheits- und Strategieforschung am Institut für Politische Wissenschaft und Soziologie an der Universität Bonn sowie Direktor des Center for Advanced Security, Strategic and Integration Studies (CASSIS).

Eine andere Krise ist der Ukraine-Krieg, wie wird sich Donald Trump dort einmischen?

Ich rechne damit, dass der diplomatische Druck, den seit fast 1000 Tagen andauernden Krieg mit einem Kompromiss zu beenden, steigt und der Konflikt bald eingefroren sein könnte. Danach beginnen neue Probleme und strategische Herausforderungen, die uns Europäern schwierige Entscheidungen abverlangen.

Wie wird sich das amerikanische Verhältnis zu Russland ändern?

Das ist schwer zu beantworten, weil Trump in der Vergangenheit zwischen seiner Neigung, wirtschaftliche Geschäfte zu machen, und knallharten Drohungen geschwankt hat. Sein Hauptfokus wird auf dem Handelskrieg mit China liegen. Russland ist aus Trumps Sicht eher eine strategische Aufgabe für die Europäer.

Wie konnte Trump Harris schlagen? Wirtschaft könnte Ausschlag gegeben haben

Wird Europa damit zum potenziell leichteren Ziel für Putin und andere Aggressoren?

Europas strategische Lage wird sich mit dem Antritt von Trump verändern. Wir sind jetzt noch mehr auf uns selbst gestellt. Dazu gehört auch die Fähigkeit zur Gefahrenabwehr und zum Schutz kritischer Infrastruktur.

Wie ist zu erklären, dass anders als 2016 diesmal offenbar wirklich die Mehrheit der US-Amerikaner hinter Trump steht?

Erste Analysen zeigen, dass tatsächlich die Frage der wirtschaftlichen Situation und die Sorge um den wirtschaftlichen und sozialen Abstieg entscheidend waren. Das Drama um den Rückzug von Biden und Zweifel an der inhaltlichen Kompetenz von Harris, die trotz eines guten Wahlkampfs bis zum Schluss nicht verschwunden waren, haben ebenfalls dazu beigetragen.

Warum hat Trump ausgerechnet bei Latinos punkten können?

Nicht nur der Erfolg Trumps bei Latinos ist klärungsbedürftig. Ich würde bei der Beantwortung der Frage vor allem in den Vordergrund stellen, dass es Harris nicht gelungen ist, Latinos und Afroamerikaner so zu mobilisieren und zu überzeugen, dass es für einen Sieg gereicht hat.

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