Stephan Rauscher bezieht gerade sein neues Zuhause. Der 45-Jährige ist der neue katholische Pfarrer in Grafing und Aßling sowie Dekan des Dekanats Ebersberg. Ein Besuch zwischen den Umzugskisten.
Grafing – Stirnrunzelnd steht Stephan Rauscher vor der eckerten Klingel im bisweilen noch kahlen Flur des Grafinger Pfarrhauses. „Ich weiß nicht, wo ich drücken muss, dass die Tür aufgeht“, brummt der bärtige Mann mit dem sympathischen Lächeln schulterzuckend, während er mit seinen Fingern etwas verloren auf den eingefassten weißen Plastiktastern herumdrückt. Als auf dem kleinen Display plötzlich der gepflasterte Kirchenvorplatz aufploppt, bewundert er in tief bayerischen Akzent: „Ah da schau her, sogar mit Kamera. So was Modernes gab’s bei mir vorher nicht.“
Vorher, das war in seinem Pfarrhof in der Holledau (Kreis Freising), stattliche 5000 Quadratmeter groß, urig, rund ummadum nur Felder, Wiesen und der örtliche Friedhof. „Der nächste Ort war schon ein Stück entfernt“, erinnert sich Rauscher lächelnd, während er der unbändigen Freisprechanlage den Rücken zudreht und über das knarzende Parkett in sein neues Büro spaziert. „Hier bin ich mittendrin – auch schön.“
Der Pfarrer über seine Versetzung: „Wenn der Herrgott mir diesen Weg vorgibt, dann glaube ich daran“
Hier, das ist der göttliche Schnitt zwischen Marktplatz und Brauerei, wo sich der 45-Jährige jetzt einer neuen Aufgabe widmet: Als Nachfolger von Pfarrer Anicet Mutonkole-Muyombi predigt er ab Herbst in den Pfarrverbänden Grafing und Aßling. Sein unerschütterliches Gottvertrauen hat ihn, nach jahrzehntelanger Arbeit auf dem Land, in die kleine Bärenstadt im Münchner Speckgürtel geleitet. „Wenn der Herrgott mir diesen Weg vorgibt, dann glaube ich daran“, sagt Rauscher über die Versetzung des Ordinariat, die er – trotz herzlicher Verbundenheit zur Holledau – gerne annimmt. Und so rollen an diesem schwül-warmen Julitag die ersten vollbepackten Umzugswagen auf den Grafinger Kirchplatz.
„Ich freue mich, dass ich so eine schöne Kirche habe“, entkommt es dem neuen Pfarrer bei einer kurzen Auspack-Pause im kühlen Gemäuer von St. Ägidius. Seinem neuen Gäu hatte der bekennende Vespa-Liebhaber zuvor noch keinen Besuch abgestattet. „Der Ort ist für mich nicht so wichtig. Es sind die Menschen. Ich will für alle da sein“, erklärt er mit seiner ruhigen, vertrauensvollen Art.
Ein Mann für 19 Kirchen und über 10 000 Katholiken
Ein gewagter Anspruch, umfasst sein Zuständigkeitsbereich – allein als Grafinger und Aßlinger Pfarrer – 19 Kirchen und über 10 000 Katholiken. Zugleich hat ihn Kardinal Reinhart Marx nach dem ruhestandsbedingten Ausscheiden von Josef Riedl auch gleich noch zum Oberhaupt des Dekanats Ebersberg ernannt. „Ich weiß, bei dieser Größe kann ich nicht überall sein“, bekennt Rauscher resigniert. „Aber für mich wäre es das Schlimmste, wenn sich die Leute nicht trauen anzurufen, weil sie meinen, ich wäre zu beschäftigt.“ Ihm ist es ein Anliegen, Vertrauen, Nähe und Offenheit zu verkörpern; für Menschen da zu sein, eine schützende Anlaufstelle zu bieten. „Einfach helfen“, fasst Rauscher bescheiden zusammen. Dazu fühlt er sich berufen.
In seinem unermüdlichen Einsatz für die Menschlichkeit schreckt er vor politischen Instanzen nicht zurück: 21 Personen hat der Pfarrer bereits Kirchenasyl geboten, ihnen allen damit „ein ehrliches Verfahren“ im behördlichen Asylprozess ermöglicht. Einer davon ist Scherzai Mohammadi. Vor vier Jahren hat Rauscher den Muslim bei sich aufgenommen, mittlerweile ist er gelernter Erzieher – und zieht zusammen mit Hund Loisl mit ins neue Pfarrhaus ein. „Er ist wie ein Bruder für mich. Wir sind ein interreligiöser Männerhaushalt“, kommentiert der Geistliche sein besonderes WG-Leben lachend.
Der Ort ist für mich nicht so wichtig. Es sind die Menschen. Ich will für alle da sein.
Bis zu seinem Amtsantritt im September will er sich noch mit den Grafinger Gepflogenheiten vertraut machen. „Die Leute sind hier sehr herzlich, aber sie haben schon hohe Erwartungen“, merkt Rauscher in einem kurzen Anflug von Sorge an. Dann aber glätten sich seine Stirnfalten wieder, die geistliche Zuversicht kämpft sich zurück: „Na ja, der Herrgott wird's schon richten“, sagt er lächelnd, mit Blick auf das Kreuz hinter seinem neuen Schreibtisch.