Keine Lust auf Sprint und Weitenjagd
Die Diskussion um Reform der Bundesjugendspiele und Sportbegeisterung flammt wieder auf. Die Meinungen sind sehr unterschiedlich.
Bad Tölz-Wolfratshausen – Vor einem Jahr wurden die Bundesjugendspiele reformiert: Es gibt nun die Empfehlung, dass die Schulen bis zur sechsten Klasse keine Wettkämpfe mit genauen Zeiten oder Weiten durchführen, sondern sogenannte „Wettbewerbe“ mit Disziplinen wie Zielspringen, Zonenweitwurf oder Zeit-Schätzlauf. Die Diskussionen reißen seither nicht ab. So berichtet die „Bild“-Zeitung, dass etliche Bundesländer die Reform zurücknehmen und die Bundesjugendspiele wieder zum Wettkampf machen wollen. Am Donnerstag sollte ein „Krisengespräch“ zu diesem Thema stattfinden.
„Die Bereitschaft, seine Leistungen nach Tabellen bewerten zu lassen, wird immer geringer“
Frank Schwesig, Rektor der Grund- und Mittelschule am Hammerschmiedweg in Wolfratshausen, verfolgt die teils hitzige Diskussion gelassen: „Gleich ob Wettkampf oder Wettbewerb – von der Motivation der Schüler her macht das kaum einen Unterschied.“ Hanno Fröhlich, Sportlehrer am Tölzer Gymnasium, stellt fest: „Die Bereitschaft, seine Leistungen nach Tabellen bewerten zu lassen, wird immer geringer.“
In Wolfratshausen habe man im Kollegium über das Thema diskutiert und sich für eine Mischform entschieden, sagt Schwesig: Bei den Erst- und Zweitklässlern sind die Bundesjugendspiele in den Unterricht integriert, die fünften bis neunten Klassen trafen sich zum Wettkampf, die Dritt- und Viertklässler machten einen Wettbewerb. Bei der Siegerehrung gab‘s Schoko-Medaillen und Urkunden.
Statt des 50- oder 75-Meter-Laufs sollten die Schüler auf dem Hinweg über Kartons hüpfen und auf dem Rückweg Slalom laufen. Statt eines Schlagballs sollten die Schüler einen „Schweifball“ möglichst weit werfen, also einen Ball, der an einem Band befestigt ist. „Die Kinder fanden das merkwürdig“, sagt Schwesig. „Wir haben von einigen Klassen die Rückmeldung bekommen, dass sie lieber mit einem normalen Ball werfen würden.“
„Mir als Schüler wäre es schon wichtig, dass ich weiß, wie weit ich wirklich gesprungen bin“
In einem Wettbewerb würden die Weiten nicht genau gemessen, dies gebe der Veranstaltung einen anderen Charakter: „Das Erbringen von punktgenauen Leistungen verschwimmt.“ Die Kinder würden natürlich irgendwann nicht mehr zu Wettläufen antreten wollen, wenn sie immer verlieren, räumt Schwesig ein: „Aber ob sie in einem Wettkampf oder einem Wettbewerb verlieren, macht keinen großen Unterschied.“ Wettkämpfe hätten nach Schwesigs Ansicht weiterhin eine Daseinsberechtigung, „weil da Leistungen ehrlich und zentimetergenau widergespiegelt werden. Mir als Schüler wäre es schon wichtig, dass ich weiß, wie weit ich wirklich gesprungen bin.“
Die Fünft- und Sechstklässler hätten noch „Bock auf Bundesjugendspiele“, sagt Hanno Fröhlich, Sportlehrer am Tölzer Gymnasium. „Aber dann passiert irgendetwas.“ Ein möglicher Grund schwindender Motivation sei die Pubertät, „und hinzukommt, dass wir am Gymnasium viel zu viele Leistungsnachweise haben. Irgendwann sind sie satt von Leistungsnachweisen, unabhängig vom Sport.“ Mit einem 1000-Meter-Lauf würde man viele Kinder verprellen. Bei einem freiwilligen Sponsorenlauf für den Burkina-Faso-Verein seien die Schüler dagegen „voll dabei, weil es da nicht darum geht: wer ist der Schönste, Schnellste, Stärkste.“
Heuer gebe es Bundesjugendspiele für die neunten und zehnten Klassen in Form eines Team-Wettbewerbs: „Wir haben festgestellt, dass der Zuspruch größer ist, wenn man nur noch ein bisschen misst, partnerschaftlich oder in einem Team. Man zieht es weg von der persönlichen Leistung.“ Stattdessen gebe es einen Pendel- oder Staffellauf, eine Gruppe könne Weitsprung-Meter sammeln.
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„Jugendliche müssen lernen, mit Siegen und mit Rückschlägen umzugehen“
Kein Freund des neu eingeführten Wettbewerbs ist der frühere Stimmkreis-Landtagsabgeordnete Martin Bachhuber (CSU): „Das ist doch der völlig verkehrte Weg. Gute Leistungen sind zu belohnen. Jugendliche müssen lernen, mit Siegen und mit Rückschlägen umzugehen. So was lernt man im Sport.“ Nachdenken könne man dagegen darüber, ob man neue Sportarten zu den Bundesjugendspielen hinzunimmt und eine Mischwertung einführt.
Dies hält auch Franz Fritzmeier von der Tölzer Realschule für notwendig. Die Übungen seien sehr stark auf Turnvater Jahn und Leichtathletik ausgerichtet: „Aber die Zeit hat sich weiterentwickelt, man muss andere Formen finden, die an die heutige Zeit und die Kinder angepasst sind.“ Das oberste Ziel müsse sein, den Kindern Spaß zu vermitteln, „denn nur wenn man Spaß am Sport hat, betreibt man ihn gerne und gut.“ Keinesfalls soll man sich aber komplett vom Leistungsgedanken und Herausforderungen verabschieden.
Und wie sehen es die Schüler? „Uns wurde gesagt, dass es unfair ist, wenn Unsportliche nur eine Teilnehmerurkunde erhalten“, sagt Felix Cabrerizo vom Tölzer Gymnasium. Daher gibt es bei uns nur ein Sportfest.“ Etliche seiner Klassenkameraden seien darüber froh. Andere hätten ankündigt, dass sie sich beim Sportfest nicht anstrengen wollen, „weil es ja um nichts geht“. Der 16-Jährige selbst beurteilt das Thema unaufgeregt. „Mir ist es egal, ob es einen Wettkampf oder einen Wettbewerb gibt. Ich bin nicht unsportlich, hätte sicher nicht nur eine Teilnehmerurkunde bekommen.“
Viele seien in Richtung Profisport unterwegs und könnten sich für Sportarten wie Fußball und Handball begeistern. Die Leidenschaft für andere sei dagegen oft nicht groß. Der Leichtathletik würden die meisten „neutral“ gegenüberstehen, geradezu verschrien sei Volleyball: „Da regen sich viele auf, weil das keiner machen will.“
Bundesjugendspiele: Sonderweg in Bayern
Jahrzehntelang liefen die Bundes-Jugendspiele immer auf die gleiche Art und Weise ab. Die Disziplinen waren ganz klassisch Sprint, Weitsprung und Weitwurf. Die Weiten wurden zentimetergenau gemessen, die Zeiten exakt gestoppt. Es gab Ehren-, Sieger- und Teilnehmer-Urkunden. Die offizielle Bezeichnung für dieses Format lautete „Wettkampf“.
Seit 2001 haben die Schulen auch die Möglichkeit, einen „Wettbewerb“ durchzuführen. Heißt zum Beispiel: Beim Weitsprung wird nicht die Weite mit Maßband gemessen. Die Sprunggrube wird vielmehr in Zonen aufgeteilt, und je weiter ein Kind springt, desto mehr Punkte erhält es. Es gibt nicht mehr nur den Ballweitwurf, sondern auch den Ballzielwurf. Der klassische Sprint kann durch eine Pendelstaffel ersetzt werden. Die Punktetabelle wurde mit der Reform abgeschafft. Die Leistungen werden seither nur noch relativ zu den Mitschülern und nicht mehr relativ zu allen Schülern in Deutschland gemessen. Das Ziel war, die Bundesjugendspiele kindgerechter zu gestalten.
Seit 2023 ist der klassische Wettkampf in den Sportarten Leichtathletik und Schwimmen in den Klassenstufen eins bis vier in Deutschland grundsätzlich nicht mehr zulässig. Bayern schlug jedoch einen Sonderweg ein: Hier ist ein klassischer Wettkampf weiterhin erlaubt, „nach Maßgabe pädagogischer Erwägungen und örtlicher Gegebenheiten“. Sprich: Die Schulen können selbst entscheiden, ob sie einen Wettkampf oder Wettbewerb durchführen wollen.
„Jugendliche müssen lernen, mit Siegen und mit Rückschlägen umzugehen. So etwas lernt man im Sport.“