Anja Renner aus Gmund will zu den Paralympischen Spielen in Paris
Anja Renner aus Gmund will zu den Paralympischen Spielen 2024 in Paris – und bei ihrer ersten Teilnahme Gold gewinnen.
Gmund – Hätte man Anja Renner vor einem Jahr gesagt, dass sie innerhalb eines halben Jahres mit der Weltspitze mithalten kann, hätte sie das nicht geglaubt. Denn vor einem Jahr hatte die 37-Jährige aus Gmund gerade erst den Entschluss gefasst, ihre Karriere als Paratriathletin zu beginnen und sich die Teilnahme an den Paralympischen Spielen in Paris 2024 als Ziel zu setzen. „Das war eine ganz neue Welt, die sich mir eröffnet hat“, sagt sie heute. Und in dieser neuen Welt hat sich Renner bereits einen Namen gemacht. Dabei hat sie sich bis zum vergangenen Jahr nicht mit Paratriathlon beschäftigt.
Über ihren Ehemann kam sie mit 30 Jahren überhaupt erst zum Triathlon. „Ich hatte schon eine relativ sportliche Jugend“, meint Renner, die mit Schwimmen, Fußball, Volleyball und Reiten durchaus breit aufgestellt war. Mit 15 Jahren hörte sie mit allem außer dem Reitsport auf. „Am Anfang war es ganz schön zäh, weil ich so wenig Ausdauer hatte“, erinnert sie sich an die ersten Triathlontrainings. Doch ihr Ehrgeiz war größer, schnell startete sie bei der ersten Sprintdistanz. Nach zwei, drei Rennen, bei denen sie immer auf dem Podium stand, besorgte sie sich ihr eigenes Equipment und startete bei lokalen Events wie dem Tegernsee Triathlon, aber auch international. Nachdem sie sich sogar für die 70.3-WM in Nizza qualifiziert hatte, setzte sie sich den legendären Ironman auf Hawaii als Ziel. Hierfür organisierte sich Renner sogar einen Trainer – mit Tobias Haumann trainiert sie noch heute regelmäßig – und Trainingspläne. „Was man als fleißige Altersklassen-Athletin nicht alles tut“, sagt sie und lacht.
Renner leidet an Usher-Syndrom
Doch es kam anders: Das umfangreiche Training neben Fulltime-Job, Hausbau und Beziehung forderten nach einiger Zeit ihren Tribut. Durch die rasche Steigerung der Umfänge innerhalb von zweieinhalb Jahren meldete sich der Körper mit Verletzungen. Renner spricht außerdem von Anfängerfehlern bei Ernährung und Equipment. So kam es nie zum Start in Hawaii. Mit Beginn der Corona-Pandemie beendete sie ihre Triathlonkarriere vorerst, denn ihr Sehvermögen wurde immer schlechter.
Schon mit 25 Jahren wurden bei Anja Renner das Usher-Syndrom diagnostiziert. Dieses betrifft gleich zwei Sinnesorgane: Das Hörvermögen ist von der Geburt an beeinträchtigt, später tritt zusätzliche eine starke Seheinschränkung aufgrund einer Retinitis pigmentosa auf. Das ist eine langsame Einschränkung des Sichtfeldes, die zu einem „Tunnelblick“ und schließlich zur Erblindung führt. Derzeit erblickt Renner noch etwa zehn Prozent des normalen Sichtfeldes. „Ich nehme gerne das Beispiel, dass man durch eine Klopapierrolle schaut“, beschreibt die Gmunderin. Dazu kommen noch Beeinträchtigungen beim Farbsehen und ein Grauschleier.
Erfolg stellt sich schnell ein
In der Zeit seit Pandemiebeginn machte die 37-Jährige weiter Sport – ohne Wettkampfambitionen. Bis sie sich im Jahr 2022 entschloss, einen Cut zu machen. Sie kündigte ihren Job in der Krebsforschung in Penzberg. „Ich habe mit meiner Krankheit so viele Aufgaben auf mich zukommen sehen, dass ich eine Auszeit gebraucht habe, um mein Leben neu zu sortieren“, erklärt sie. Gleichzeitig begann sie sich mit blinden Sportlern wie Biathletin Verena Bentele oder Kletterer Andreas Holzer zu beschäftigen. Nachdem Renner eine Zusammenfassung der Paralympics in Tokio gesehen hatte, fiel im Februar 2023 ihr Entschluss: Sie will an den Paralympischen Spielen in Paris in diesem Jahr teilnehmen. „Man braucht Ziele im Leben und Triathlon motiviert mich“, sagt Renner.
Erklärung: So funktioniert Para-Triathlon.
Also kontaktierte sie Paratriathlon-Bundestrainer Tom Kosmehl. „Er hat mir gesagt, was ich alles brauche: eine Profilizenz, ein Tandem, einen Guide“, berichtet die Gmunderin, die durch ihre Zeiten eine Teilnahme in Paris von Beginn an als machbar ansah. Einen Guide vermittelte Kosmehl umgehend. Mit Delia Blaess lernte Renner das Tandemfahren und bestritt die ersten Wettkämpfe bei Continental Cups in Tunesien und Ägypten, die sie auf Anhieb gewannen. Bei der EM Spanien reichte es immerhin für Rang fünf.
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„Dann war es so, dass Delia mit mir nicht ganz Schritt halten konnte“, meint Renner. Denn eigentlich sollte der Guide schneller sein. „Ich war mehr oder weniger gezwungen, mir eine schnellere Frau zu suchen.“ Sonst sah sie Paris in Gefahr. Mit Maria Paulig, einer Bundesliga-Triathletin, hat sie ihren neuen Guide gefunden und war von Anfang an erfolgreich: Im ersten gemeinsamen Weltcup-Rennen gewannen sie das Paralympische Testevent in Paris, bei der WM in Spanien wurden sie Vierte und beim letzten Weltcup des Jahres in Portugal bezwangen sie die amtierende Weltmeisterin und siegten erneut.

Renner zahlt Sport größtenteils selbst
Durch diese Erfolge hat Renner gute Chancen, in Paris zu starten. Dort ist mittlerweile nicht mehr die Teilnahme, sondern der Titel ihr Ziel. „Das Podium ist realisierbar, der Sieg sehr sportlich.“ Doch man soll bekanntlich nach den hohen Trauben greifen.
Auf ihrem Weg würde sie sich über ein paar Unterstützer freuen. Zwar gehört Anja Renner mittlerweile zum Paralympics-Kader, doch ihre Trainer, laufende Trainingskosten wie Schwimmbadeintritte und (teilweise) Trainingslager muss sie aus eigener Tasche zahlen. Vergangenes Jahr investierte sie bereits über 30 000 Euro. „Ziel ist erst mal eine Kostendeckung“, hofft die Gmunderin auf Sponsoren.
Der Weg nach Paris: Wer Anja Renners Weg nach Paris verfolgen möchte, kann ihr auf Instagram folgen: @anja_renner_para triathlon.
Zur Person
Anja Renner wurde 1986 in Neuburg an der Donau geboren und lebt seit 2019 in Gmund. Sie ist Diplomingenieurin der Biotechnologie und war bis Anfang 2022 in der Krebsforschung tätig. Im vergangenen Jahr entschied sie sich, Paratriathlon-Profi zu werden und startete in der Zwischenzeit bei Weltcups sowie bei Europa- und Weltmeisterschaft. Mittlerweile gehört Anja Renner zur Deutschen Nationalmannschaft der Deutschen Triathlon-Union und dem Team Paralympics Deutschland, sprich dem Paralympicskader. Ihr bayerischer Verein ist der 1. FC Nürnberg. In der Weltrangliste liegt Renner mit ihrem Guide Maria Paulig auf Platz 13, im Paris-Qualifikations-Ranking auf Rang drei.