Bayerischer Verbandschef kritisiert Ampel-Politik: „Das sind verlorene Jahre“

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Bertram Brossardt: Der Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) spricht über die EU- und Ampel-Politik. © Matthias Balk/dpa

Der Chef des Wirtschaftsverbands vbw, Bertram Brossardt, spricht im Interview über die Ampel-Politik, das Bürgergeld und die Wirtschaftsbeziehungen zu China.

München – Am Wochenende hat Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) in China für Wirbel gesorgt: In Shanghai sagte er Regierungsmitgliedern, Chinas Unterstützung für Russland im Krieg gegen die Ukraine schade den Handels- und Wirtschaftsbeziehungen zu Europa. Anders gesagt: Würde China Russland weniger unterstützen, könnten sich auch die Wirtschaftsbeziehungen Chinas zu Europa wieder verbessern.

Brossardt: „Eine Abkopplung von China würde die gesamte bayerische Wirtschaft treffen“

Wir sprachen mit dem Hauptgeschäftsführer der Vereinigung der Bayerischen Wirtschaft (vbw) über die Bedeutung Chinas für Unternehmen aus dem Freistaat. Außerdem wollten wir von Brossardt wissen, was er von der Forderung der IG Metall nach sieben Prozent mehr Lohn für die Beschäftigten der bayerischen Metall- und Elektroindustrie hält. Brossardt spielt in den Tarifverhandlungen eine zentrale Rolle: Der vbw-Schwesterverband Bayme vbm, dessen Hauptgeschäftsführer Brossardt ebenfalls ist, vertritt die Interessen der Arbeitgeber der Branche.

Habeck hat China zu verstehen gegeben, dass Europa gegenüber China weniger Härte in wirtschaftlichen Fragen zeigen würde, sofern China Russland im Ukraine-Krieg nicht weiter unterstützt. Was halten Sie davon, wenn politische und wirtschaftliche Interessen derart vermengt werden?

Politik und Wirtschaft lassen sich nie voneinander trennen. Am Ende ist es eine Geschmacksfrage, ob man die Kritik öffentlich scharf formulieren soll oder nicht. Die Sache ist doch die: Deutschland bekennt sich klar zur Ukraine, und wir als Wirtschaftsverband teilen diese Auffassung, auch wenn wir gleichzeitig wirtschaftliche Interessen in China verfolgen.

Wie wichtig ist China für die bayerische Wirtschaft?

China ist extrem wichtig, das Land ist einer unserer wichtigsten Handelspartner. Im April sind die Exporte der bayerischen Unternehmen nach China verglichen mit dem Vorjahresmonat um 26 Prozent gestiegen. Eine Abkopplung von China würde die gesamte bayerische Wirtschaft treffen.

Hat Habeck damit den richtigen Ton getroffen?

Ja – auch wenn ein solches Lob von mir etwas ungewöhnlich klingen mag. Man muss auf der Welt immer auch mit Partnern zusammenarbeiten, deren Grundüberzeugungen man nicht teilt.

Was halten Sie von Ideen der EU, Zölle auf chinesische Elektroautos einzuführen?

Von Zöllen halte ich grundsätzlich wenig. Der freie Welthandel muss immer unser Ziel bleiben. Man muss auf der anderen Seite aber auch zur Kenntnis nehmen, dass das offensive Verhalten der Chinesen unsere Wirtschaft bedrohen kann. Da kann es sinnvoll sein, Gegenmaßnahmen anzukündigen – immer in der Hoffnung, dass Zölle dann am Ende doch nicht kommen.

Das heißt, Sie begrüßen die Strategie der EU?

Ja. Man muss das im Zusammenhang sehen: China investiert in großem Stil auf jedem Kontinent der Welt und kauft sich in die Infrastrukturen anderer Länder ein, für unsere Unternehmen ist das eine Bedrohung. Und natürlich muss da Europa mit seiner freiheitlich-demokratischen Ordnung etwas dagegensetzen. Wir befinden uns mit China in einer Systemrivalität, damit müssen wir umgehen. In dieser Systemrivalität müssen wir Wettbewerbsbedingungen schaffen, die einen Austausch mit chinesischen Unternehmen weiterhin ermöglichen. Schließlich sind wir ja auch Handelspartner. Da jetzt das Hackebeil anzulegen, wäre falsch.

Um im internationalen Wettbewerb bestehen zu können, hat der bayerische Ministerpräsident Markus Söder vorgeschlagen, eine Sechs-Tage-Woche in Deutschland einzuführen. Was halten Sie davon?

Ob das am Ende die Sechs-Tage-Woche ist oder ein anderes Instrument, spielt keine Rolle. Uns allen muss klar sein, dass wir in Zukunft nicht weniger, sondern mehr arbeiten müssen. Vor allem müssen wir flexibler arbeiten. Das Festhalten an starren Arbeitszeit-Grenzen wird uns nicht weiterbringen.

Wie lange wird in Bayern aktuell gearbeitet?

Aufs Jahr gerechnet arbeitet ein Beschäftigter in Bayern im Schnitt derzeit 1340 Stunden – damit liegen wir im europäischen Vergleich am unteren Ende. Schon in der Schweiz werden rund 190 Stunden mehr als in Deutschland gearbeitet. Der Appell von Söder ist daher grundsätzlich richtig, da wir um Mehr-Arbeit nicht drum herumkommen. Es geht um unseren Wohlstand.

Ist das mit der jungen Generation Z zu schaffen?

Mit der Frage bezweifeln Sie, dass die Generation Z nicht mehr arbeiten will. In der Generation Z gibt es wahnsinnig viele leistungswillige Menschen. Natürlich ist der Aufstiegshunger ab einem gewissen Wohlstandslevel im Einzelnen oft nicht mehr vorhanden, aber der Wille zu arbeiten per se ist da. Und dann gibt es die große Gruppe der Zuwanderer, bei denen der Aufstiegswillen sehr wohl eine Rolle spielt.

Glauben Sie, dass die von Ihnen geforderte Mehrarbeit mit der IG Metall zu schaffen ist? Vor den anstehenden Tarifverhandlungen fordert die Gewerkschaft eine Ausweitung der Wahloption „Zeit statt Geld“ für die Beschäftigten. Die Tendenz geht doch eher dazu, weniger zu arbeiten…

Ich sage es einmal so: Eine generelle Absenkung der Arbeitszeit hat die IG Metall nicht gefordert, das ist schon einmal gut. Trotzdem gibt es für viele Beschäftigte der Metall- und Elektroindustrie ja schon heute die Option „Zeit statt Geld“, eine Ausweitung auf weitere Gruppen lehnen wir daher ab.

Hauptforderung der IG Metall ist ein Lohnplus von sieben Prozent. Wie gehen Sie damit um?

Das ist eine der höchsten Forderungen, die wir in den letzten 20 Jahren gesehen haben. Die Forderung ist komplett überzogen, da sie wirtschaftliche Realitäten ignoriert.

Zuletzt hatten wir aber auch Inflationsraten, wie wir sie in den vergangenen 20 Jahren nicht gesehen haben. Die Mieten und Lebenshaltungskosten der Beschäftigten sind kräftig gestiegen.

Wir stecken aber mitten in einer Transformation, was auch die IG Metall nicht bestreitet. Außerdem beobachten wir eine schleichende De-Industrialisierung. Die sieben Prozent sind daher einfach zu hoch. Natürlich ist richtig, dass wir zuletzt hohe Inflationsraten hatten. Aber bis auf die Jahre 2021 und 2022, gab es in den vergangenen Jahren immer Reallohnzuwächse. Es gibt keine Regel, schon gar nicht, in Krisensituationen, dass in jeder Tarifrunde ein Reallohnzuwachs erfolgen muss.

Also schlagen Sie für dieses Jahr eine Lohnerhöhung in Höhe der Inflation vor?

Dazu werde ich mich nicht äußern, die Verhandlungen stehen ja jetzt erst an. Für uns ist in den Verhandlungen eines wichtig: Maß und Mitte muss gewahrt werden.

Können Sie die von Ihnen diagnostizierte „schleichende De-Industrialisierung“ für Bayern belegen?

Man kann sich einmal die Investitionen anschauen, die Statistik zeigt eindeutig: Ausländische Unternehmen investieren weniger in Deutschland und Bayern. Die heimischen Unternehmen investieren zwar noch in ihren Bestand, die Erweiterungsinvestitionen sind dagegen rückläufig.

Haben Sie die Hoffnung, dass die Ampel-Koalition den Schalter noch einmal umlegen kann?

Bei den Parteien der Ampel-Koalition gibt es derzeit leider keinerlei Anzeichen, dass es zu Verbesserungen kommt.

Was müsste aus Ihrer Sicht getan werden?

Das sind zum einen die Arbeitskosten: Der Arbeitsminister (Bundesarbeitsminister ist Hubertus Heil, SPD, Anm. d. Red.) hat angekündigt, dass die Rentenbeiträge steigen werden. Auch in der Kranken- und Pflegeversicherung sind Anstiege zu erwarten. Unsere Forderung ist aber klar: Die Sozialversicherungskosten müssen auf unter 40 Prozent gesenkt werden – aktuell sind wir bei 41 Prozent. Auch müssen dringend die Arbeitsanreize für diejenigen, die arbeiten können, erhöht werden.

Das heißt, das Bürgergeld sollte angepasst werden?

Ja. Die Arbeitsanreize sind beim Bürgergeld nicht richtig gesetzt. Wenn die Arbeitsagentur einem Arbeitssuchenden ein Jobangebot macht, muss dieser das Angebot heute nicht mehr zwingend annehmen. Das muss sich wieder ändern, die Arbeit in den Unternehmen ist ja da. Und wenn Arbeit nicht mehr erledigt wird, weil Arbeitskräfte fehlen, verschärft das die wirtschaftlich ohnehin schwierige Situation.

Wo sehen Sie noch einen Hebel?

Bei der Steuer. Deutschland ist nach wie vor ein Hochsteuerland, das muss sich ändern. Und ein Problem wird derzeit kaum gesehen: die Energiepreise. Zwar sind die Preise zuletzt gesunken, entscheidend ist aber der internationale Vergleich. Hier schneiden wir deutlich schlechter ab, Deutschland ist beim Strom nicht wettbewerbsfähig. Ein Brückenstrompreis, bis die regenerativen Energien sich weiter durchsetzen, wäre daher genau das Richtige für die Industrie. Aber da müssten sich die Koalitionsparteien erst einmal einig werden–und das sehe ich derzeit nicht.

Das heißt, Sie hoffen auf die nächste Bundesregierung?

Nicht nur, aber auch aufgrund des aktuell fehlenden grundsätzlichen Reformwillens der Regierung werden die Investitionen in den kommenden Jahren weiter nachlassen. Das sind verlorene Jahre, die Folgen davon werden wir bald sehen.

Interview: Sebastian Hölzle und Georg Anastasiadis

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