Stadtstaat zwischen den Weltmächten: Warum Singapurs neuer Premier zwischen USA und China balancieren muss

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Lawrence Wong wird neuer Premierminister von Singapur. © Punit Paranjpe/AFP

Nach 20 Jahren bekommt Singapur einen neuen Premierminister. Lawrence Wong sucht den richtigen Kurs zwischen China und den USA – und will seinen Bürgern einen neuen Sinn im Leben geben.

Seit 65 Jahren ist Singapur unabhängig von Großbritannien. Das Vereinigte Königreich hat seitdem mehr als ein Dutzend Premierminister kommen und wieder gehen sehen, die einstige britische Kronkolonie hingegen nur zwei. Einen „einzigartigen Regierungsansatz“ nennt das Eugene Tan, ein ehemaliger Parlamentsabgeordneter des Stadtstaats. „Das spricht für den Wert, den die Singapurer auf Stabilität, Kontinuität, Effektivität und Effizienz beim Regieren legen“, sagte Tan, der heute als Juraprofessor an der Singapore Management University lehrt, IPPEN.MEDIA.

Weil aber die zwei bisherigen Premiers sowie der Amtsinhaber von ein und derselben Partei gestellt wurden, der People‘s Action Party (PAP), betrachten vor allem westliche Kritiker Singapur als illiberale Demokratie. Zumal Politik in der 6-Millionen-Stadt so etwas wie eine Familienangelegenheit ist. Lee Kuan Yew, Singapurs legendärer erster Premierminister, regierte das Land ganze 31 Jahre lang, übergab dann an einen engen Vertrauten, bevor schließlich sein Sohn Lee Hsien Loong für 20 Jahre übernahm.

Unter der PAP legte Singapur allerdings auch einen beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg hin, sodass die Herrschaft der Partei nur selten infrage gestellt wird. Heute ist Singapur das Land mit dem dritthöchsten Pro-Kopf-Einkommen weltweit, das wichtigste Handelszentrum und der größte Finanzplatz in Asien. Unter Lee Hsien Loong hat sich das BIP des Landes mehr als verdoppelt, die Zahl der ausländischen Besucher wuchs um mehr als 60 Prozent, zudem ging die Regierung große Infrastrukturprojekte an.

Korruptionsskandal erschüttert Singapur

Ein beispielloser Korruptionsskandal, der den Transportminister im Januar das Amt kostete, lässt das Image der lange unantastbaren PAP aber bröckeln. „Die Partei, die sich immer mit Ehrlichkeit, Integrität und sauberem Regieren brüstet, hat mit Sicherheit Schaden genommen“, sagt Tan. „Sie kann das Vertrauen der Menschen nicht mehr als selbstverständlich ansehen.“

Das weiß auch Lawrence Wong, der am Mittwoch (15. Mai) die Amtsgeschäfte in Singapur übernimmt. Er wird der vierte Premier des Landes, Vorgänger Lee Hsien Loong hatte vor wenigen Wochen seinen Rücktritt angekündigt. Spätestens 2025 wird sich Wong einer Parlamentswahl stellen müssen, bis dahin muss er das Vertrauen für seine angeschlagene PAP zurückgewinnen. „Seine Partei ist davon überzeugt, dass sein Gesicht bei den Wählern am besten ankommt, da sie ihn gut kennen“, sagt Tan. Zudem gelte der 51-Jährige als zuverlässiger Technokrat.

Wong war zuletzt Vizepremier und Finanzminister, in der Pandemie war er zudem mitverantwortlich dafür, dass das extrem dicht besiedelte Singapur eine der niedrigsten Covid-Sterberaten weltweit verzeichnete. Das hat ihm großes Ansehen in der Bevölkerung eingebracht. Dennoch dürfte die Opposition, die vor vier Jahren erstmals zwei Wahlkreise gewinnen konnte, auch bei der nächsten Parlamentswahl gut abschneiden. Wong scheint das nicht zu stören. „Die Mehrheit möchte zwar, dass die PAP an der Macht bleibt, aber sie möchte auch mehr Stimmen der Opposition im Parlament sehen“, sagte er unlängst dem britischen Economist. „Die Präsenz der Opposition im Parlament wird also bleiben“.

China oder USA? Neuer Premier ist „pro Singapur“

Wong scheint zudem erkannt zu haben, dass der wirtschaftliche Aufstieg seines Landes einen hohen Preis hatte: Singapur gilt als überarbeitetes, erschöpftes Land. Vor allem junge Menschen aber sind nicht mehr bereit, sich aufzuarbeiten. „Der ‚Singapur-Traum‘ ist mehr als nur materieller Erfolg“, erklärte Wong im Oktober. „Es geht auch um Erfüllung, Sinn und Zweck bei dem, was wir tun.“

Allzu groß ist der Spielraum der Regierung allerdings nicht, die Lebenshaltungskosten steigen seit Beginn des Ukraine-Kriegs auch in Singapur, 2023 lag die Inflation bei knapp fünf Prozent. Das Land hat sich den westlichen Sanktionen gegen Russland angeschlossen, vor allem die Energiepreise zogen in der Folge an. Anderseits profitiert die Stadt vom langsamen Niedergang des Dauerrivalen Hongkong. Seit China seinen Griff um die Stadt schließt, mehren sich die Berichte über Unternehmen, die ihren Firmensitz nach Singapur verlegen.

Wong wird auch das Verhältnis zu China und den USA ausbalancieren müssen. Er sei weder pro China noch pro USA, sagte der künftige Premier kürzlich, sondern „pro Singapur“. Was einfacher klingt, als es ist. Die USA sind Singapurs wichtigster Handelspartner, gefolgt von der EU und China. Und während Peking in der Region immer selbstbewusster auftritt, umwirbt Washington seine Bündnispartner in Asien offensiv. Gleichzeitig sind die Verbindungen zur Volksrepublik nicht nur wirtschaftlich sehr eng, knapp 75 Prozent der Einwohner Singapur sind ethnische Chinesen. Da wird es schwierig, den richtigen Mittelweg zu finden.

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