Europawahl: Alexander Lippert, Kreisvorsitzender der Europa-Union, ruft zur Stimmabgabe auf
In einer Zeit politischer Herausforderungen ruft Alexander Lippert zur Teilnahme an der Europawahl auf. Er will das Bewusstsein für die Bedeutung der EU schärfen.
Wolfratshausen – Der stellvertretende Wahlleiter im Landratsamt, Wolfgang Knott, hat addiert: Genau 104 300 Landkreisbürger können am 9. Juni bei der Europawahl ihre Stimme abgeben. Warum das so wichtig ist, fragte Redaktionsleiter Carl-Christian Eick den Wolfratshauser Alexander Lippert. Der 50-jährige Software Engineering Manager ist seit 2019 Kreisvorsitzender der Europa-Union.
Herr Lippert, wenige Wochen vor der Europawahl – in Deutschland am 9. Juni – ist das Interesse laut ZDF-Politbarometer „verhalten“. 56 Prozent der Befragten erklärten, „wenig oder gar kein Interesse“ an der Europawahl zu haben. Worauf führen Sie das zurück?
Ja, diese Zahl ist enttäuschend. Ich denke, viele Leute betrachten die EU immer noch als ein abstraktes Gebilde, zu weit weg, und sie nehmen dabei nicht wahr, dass die EU maßgeblich die Rahmenbedingungen für unseren Alltag setzt.
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Einmal mehr fürchten Politikwissenschaftler angesichts der mutmaßlich geringen Wahlbeteiligung in Deutschland, dass davon Populisten und Nationalisten profitieren. Teilen Sie diese Befürchtung?
Ich teile diese Befürchtung, und ich kann daher nur an jede Bürgerin und an jeden Bürger appellieren, die Europawahl ernst zu nehmen und seine oder ihre Stimme einer pro-europäischen Kraft der politischen Mitte zu geben. Global betrachtet spielt für uns Menschen in Europa die Musik in Brüssel. Wir stellen uns selbst ein Bein, wenn wir die EU und das Europäische Parlament nicht entsprechend mit unserer Stimme stärken.
Sie werden als Kreisvorsitzender der Europa-Union nicht müde dafür zu werben – ich zitiere Sie –, „dass wir Europa verbessern müssen, damit Europa Heimat und Herzensangelegenheit aller Bürger in Europa wird“. Diesem Ziel ist man scheinbar in den vergangenen Jahren keinen Schritt nähergekommen, oder?
Die EU genießt in der europäischen Bevölkerung hohe Zustimmungswerte, je nach Land zwischen knapp 60 und gut 80 Prozent. Ich glaube auch, dass die EU in den vergangenen Jahren an ihren Herausforderungen gewachsen ist. Im Nachgang zum Brexit-Votum 2016 hielt ich es nicht für ausgeschlossen, dass UK nur der erste Dominostein sein würde, der im Begriff war, zu fallen. Aber unser Staatenverbund hat sich als sehr viel resilienter erwiesen. Das sind alles gute Zeichen. Aber es ist richtig, dass zumindest die wahrgenommene Bürgernähe der EU nicht in dem Maße besteht, wie ich es mir wünsche.
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Europa: Das übersetzen viele Menschen mit sinnfreien Verordnungen und überbordender Bürokratie. Die AfD stellt in der Präambel ihres Wahlprogramms fest: „Wir halten die EU für nicht reformierbar und sehen sie als gescheitertes Projekt.“ Was halten Sie dagegen?
Wer auf solche Töne hört, sollte sich zuerst fragen, wer ein Interesse am Scheitern der EU haben könnte – wir Bürgerinnen und Bürger sicher am allerwenigsten. Die EU hat nicht nur Freunde in der Welt, und der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist auch ein Angriff auf die Werte unseres Europas, das wie kaum eine andere Weltregion für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte steht. Dieser Angriff wird verübt von einem despotischen System, das Oppositionelle vergiften lässt, das Menschenrechte mit Füßen tritt und das keine Pressefreiheit mehr zulässt. Das ist der Kontext, in dem wir uns bewegen. Forderungen, die wegen angeblich zu viel Bürokratie einer Abschaffung der EU gleichkommen, sind da reichlich verfehlt.
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Vor allem Jugendliche – nach der Absenkung des Wahlalters haben erstmals über eine Millionen Jugendliche ab 16 Jahren in Deutschland die Möglichkeit, an der Europawahl teilzunehmen – sind kaum zu motivieren, ihr Wahlrecht zu nutzen. Woran könnte das liegen?
Ich bin mit den Schulen im Landkreis in Kontakt, und die Europawahl nimmt dort durchaus einen hohen Stellenwert ein. Es wäre wünschenswert, dass auch die Eltern mit ihren Kindern mehr über die hohe Bedeutung dieser Wahl sprechen würden.
Wie schaut’s mit dem Altersdurchschnitt in Ihren Reihen, im Kreisverband der Europa-Union aus?
Leider steigend. Unsere Verbände etwa in München entwickeln sich zufriedenstellend, auch aufgrund der hohen Zahl an Studenten in der Stadt, aber im ländlichen Raum beobachten wir eine Situation, wie sie auch viele andere Verbände beklagen.
Kennen Sie Beispiele, in welcher Weise die Bürger im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen von Europa profitieren?
Natürlich profitiert jeder Bürger im Landkreis zunächst einmal von den positiven Rahmenbedingungen, die die EU für alle Menschen in Europa setzt. Weniger als 30 Prozent der Weltbevölkerung lebt noch in einer freiheitlichen Demokratie. Persönlich gehe ich in der Zukunft von einer Vertiefung der Gräben zwischen den Systemen aus. Sehr greifbar sind für uns die rund 500 Millionen Euro, die in den vergangenen Jahren aus dem EFRE, dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung, nach Bayern geflossen sind. Etwa um Erlebnispfade und Naturprogramme im Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen zu ermöglichen – oder kleine und mittlere Unternehmen dabei zu unterstützen, Märkte in anderen Teilen Europas zu erschließen.
Was wäre, wenn es die Europäische Union nicht geben würde?
Die EU ist ein Block, der wirtschaftlich auf Augenhöhe mit den USA und China steht. Das ist wichtig, um unsere Interessen in der Welt zu wahren und um Schicksalsfragen wie die Bekämpfung der Klimakrise voranzutreiben. Die Staaten Europas als einzelne – Deutschland, Spanien, etcetera – können da viel weniger bewirken, und sie sind auch leichter erpressbar, in Handelsfragen ebenso wie in anderen Belangen. Ich bin beruflich in einem großen Internetkonzern mit der Umsetzung von EU-Regulierungen beschäftigt. Denken Sie an das Gesetz über digitale Märkte und das Gesetz über digitale Dienste. Das Wort der EU hat in solchen Konzernen ein immens hohes Gewicht. Angesichts der Sicherheitslage in Osteuropa ist es aber wichtiger denn je, dass die EU-Staaten auch in Verteidigungsfragen enger zusammenarbeiten. Wir müssen uns als starkes Verteidigungsbündnis verstehen, innerhalb der NATO, das in der Lage ist, militärischem Druck anderer Mächte zu begegnen. So können wir uns auch ein stückweit unabhängig von den Geschehnissen in den USA machen.
Drei Gründe, bei der Europawahl am 9. Juni seine Stimme abzugeben:
Demokratie stärken, Freiheit sichern und Menschenrechte wahren.
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