Thorsten Frei (CDU) zum Ukraine-Krieg: „Das Zögern und Zaudern des Kanzlers kostet Menschenleben“
Thorsten Frei, die Nummer zwei der CDU im Bundestag, greift Bundeskanzler Scholz für seine Ukraine- und Sicherheitspolitik an. Im Interview sagt Frei, Europa habe keinen Anspruch auf Schutz der USA.
Berlin – Zum zweiten Jahrestag des russischen Überfalls auf die Ukraine rechnet Thorsten Frei (CDU) mit Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und seiner Ukrainepolitik ab. Er wirft dem Kanzler Wortbruch vor und fordert ein Umdenken in der europäischen Sicherheitspolitik.
Herr Frei, der Ukraine-Krieg jährt sich zum zweiten Mal und Kiew meldet kaum noch Erfolge. Die Union sagt, die Bundesregierung helfe zu wenig.
Wir müssen begreifen, dass wir nicht Zuschauer dieses Kriegs sind, sondern zumindest indirekt Beteiligte. Weil Russland nicht nur ein kleines Nachbarland angegriffen hat, sondern die europäische Friedens- und Freiheitsordnung. Deshalb müssen wir die Ukraine so unterstützen, dass sie den Abwehrkampf gewinnen kann. Was die Bundesregierung getan hat, war meist zu spät und nicht energisch genug.
CDU-Politiker kritisiert Kanzler Scholz für seine Politik im Ukraine-Krieg scharf

Wie meinen Sie das?
Das fängt an vor zwei Jahren, als die damalige Verteidigungsministerin allen Ernstes geglaubt hat, die Ukraine mit 5000 Helmen unterstützen zu können. Und das setzt sich bis heute fort, wenn man an die quälend lange Debatte über Taurus-Marschflugkörper denkt, die fatal an das Gezerre um die Leopard-2-Panzer erinnert.
Bundeskanzler Scholz begründet seine Politik in der Abwägung, nicht in den Krieg hineingezogen zu werden.
Man muss klar sagen: Das Zögern und Zaudern des Bundeskanzlers kostet Menschenleben. Ich wünsche mir mehr Entschlossenheit und konsequentes Handeln der Bundesregierung. Sie muss die Rüstungsindustrie endlich mit Aufträgen versorgen, sonst können die Betriebe nicht produzieren. Es geht um Waffen für die Ukraine, aber auch um unsere eigenen Bundeswehrbestände.
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Ukraine-Krieg, Zeitenwende und Versprechen des Bundeskanzlers
In seiner Rede zur Zeitenwende hat Bundeskanzler Olaf Scholz genau das angekündigt.
Der Bundeskanzler hat damals richtig analysiert, was im militärischen Bereich notwendig ist. Fakt ist aber, dass er in der Regierung diese notwendigen Schritte nicht getan hat. Der Bundeskanzler hat seine Versprechen vom 27. Februar 2022 nicht gehalten.
Hat die Frage unserer Sicherheit für die Ampel Ihrer Einschätzung nach oberste Priorität?
Nein, ganz sicher nicht. Das zeigt sich schon am Bundesverteidigungsminister, der keine seiner Forderungen durchsetzen kann. Er wollte zehn Milliarden Euro mehr im Haushalt – was richtig ist. Bekommen hat er genau null Euro. Gleichzeitig erleben wir eine Regierung, die stoisch einen aus der Zeit gefallenen Koalitionsvertrag abarbeitet.
Es gibt immer doch noch das Bundeswehr-Sondervermögen, mit dem der Wehretat schrittweise aufgestockt werden kann.
Die Bundesregierung macht Politik nach dem Motto ‘nach mir die Sintflut’. Der Kanzler hat angekündigt, das Zwei-Prozent-Ziel für Verteidigung und Sicherheit einzuhalten und darüber hinaus das Sondervermögen aufzustellen. Das haben wir als Union unterstützt. Fakt ist nun aber, dass die Bundesregierung mittelfristig den Verteidigungsetat nicht erhöht und das Sondervermögen spätestens 2027 aufgebraucht sein wird.
Frei: „Bundeskanzler hat keine Ahnung“, wie er Finanzloch schließen möchte
Die Bundeswehr steht aus Sicht der Union also nach wie vor schlecht da?
In der Verteidigung hat sich substantiell nichts gebessert und der Bundeskanzler hat keine Ahnung, wie er ab 2028 das Finanzloch von 30 Milliarden Euro im Verteidigungshaushalt schließen möchte. Eine solche Politik macht nur jemand, der ganz genau weiß, dass er im Jahr 2027 keine politische Verantwortung mehr trägt.
Aus der Opposition fällt Kritik leicht. Woher würden Sie die 30 Milliarden holen, ohne Reform der Schuldenbremse oder einem weiteren Sondervermögen?
Eine Lockerung der Schuldenbremse und ein neues Sondervermögen kommen für uns nicht infrage, weil es eine Belastung zukünftiger Generationen ist. Wir haben in diesem Jahr ein gesamtstaatliches Steueraufkommen von knapp einer Billion Euro, so viel wie nie zuvor. Das Geld ist da. Der russische Angriff war ein Einschnitt und bedeutet, dass man die Prioritäten neu setzen muss. Die Politik muss klar sagen, was in dieser Lage nicht mehr finanziert werden kann, weil wir für unsere Sicherheit sorgen müssen.
Für die Bundeswehr: Sollten Feiertage abgeschafft werden?
Der Ökonom Guntram Wolff forderte zuletzt, für die Finanzierung von Klima und Verteidigung Feiertage zu streichen. Ist das für Sie eine Option?
Wir sollten uns jedenfalls keine Denkverbote auferlegen. Wir dürfen den Menschen nicht vorgaukeln, Sicherheit gäbe es zum Nulltarif. Diese Zeit ist vorbei. Wir müssen uns in anderen Bereichen einschränken und können nicht einfach weiterleben wie bisher.
Wo müssen wir uns einschränken?
Erstmal brauchen wir Wirtschaftswachstum in Deutschland. Vergangenes Jahr hatten wir eine Rezession und die aktuelle Wachstumsprognose wurde nach unten geschraubt. Wir haben den schlechtesten Wert im ganzen Euroraum. Wenn unsere Wirtschaft nur im europäischen Durchschnitt wachsen würde, hätten wir ein Mehr an Steuereinnahmen von etwa 20 Milliarden Euro. Viele Haushaltsprobleme wären damit gelöst.
Das sind Mehreinnahmen. Sie sprechen aber von weniger Ausgaben. Wo muss Deutschland sparen?
Die Reallöhne sinken und die Belastungen des Haushalts im Bereich des Bürgergelds sind auf mittlerweile 40 Milliarden Euro angewachsen. Wir können zwei Millionen Jobs nicht besetzen und haben auf der anderen Seite 5,5 Millionen Bürgergeldempfänger. Wenn wir nur eine Million Menschen davon in Arbeit bringen könnten, hätten wir staatliche Entlastungen in Höhe von 30 Milliarden Euro. Ein weiterer Aspekt ist das Gebäudeenergiegesetz. Damit sollen sieben Millionen Tonnen CO₂ eingespart werden. Das ist gerade mal die Hälfte dessen, was durch die Abschaltung der letzten drei Kernkraftwerke in Deutschland zusätzlich ausgestoßen wird. Und das geht nur mit zweistelligen Milliardensummen an staatlichen Subventionen. Das ist eine absolut unwirtschaftliche Vorgehensweise. Das Gesetz muss weg.
Bei Fragen der Verteidigung sind wir schnell bei der EU und der anstehenden Wahl. Kann das Thema der eigenen Sicherheit mehr Menschen für eine sonst eher unattraktive Wahl an die Urne bringen?
Ich hoffe es sehr. Auf Europa wird es künftig noch stärker ankommen. Wir müssen auf EU-Ebene wettbewerbsfähiger werden und brauchen weniger Dirigismus und weniger Bürokratie. Und auch hier spielt die Sicherheitspolitik wieder eine wichtige Rolle.
Sie sprechen von der Verteidigungsfähigkeit Europas.
Es geht um Relevanz, aber auch um ganz praktische Fragen, etwa wie Waffensysteme zusammenpassen, wie europäische Armeen aufeinander abgestimmt und sich ergänzen können. Um das mal an Zahlen zu illustrieren: Wir in der EU sind stolz, dass die Mitgliedsstaaten ihre Aufwendungen für Sicherheit und Verteidigung von 250 auf 300 Milliarden Euro erhöhen werden. Zum Vergleich: Die kleinere Volkswirtschaft USA hat einen Verteidigungsetat von 877 Milliarden Euro.
CDU-Politiker Frei: Europa hat keinen Anspruch auf Sicherheit durch die USA
Ohne die USA geht nicht viel.
Wir dürfen uns nicht darauf verlassen, dass unsere Sicherheit allein durch die USA gewährleistet wird. Im Übrigen haben wir darauf auch gar keinen Anspruch. Natürlich sind wir auch künftig auf enge Zusammenarbeit mit den USA in der Nato angewiesen. Aber es ist doch selbstverständlich, dass ein amerikanischer Präsident – wie immer er heißen wird – Wert darauf legt, dass nicht die Amerikaner die europäische Sicherheit bezahlen, sondern wir unseren fairen Anteil beitragen. Das bedeutet: Wir müssen die Verteidigungsausgaben in Deutschland und Europa massiv erhöhen.
Für die Zielsetzung der europäischen Verteidigungspolitik ist es also unerheblich, wer US-Präsident wird?
Ich halte gar nichts von der derzeitigen Debatte, in der das Kaninchen nur auf die Schlange starrt. In den USA gibt es bereits seit Jahren eine Akzentverschiebung – weg von Europa, hin zum Indopazifik. Denn der Rivale Nummer eins heißt China, nicht mehr Russland. Und das ist unabhängig von der Person des Präsidenten der Fall. Deshalb müssen wir unseren Beitrag leisten, die Amerikaner treffen ihre eigenen Entscheidungen.
Migration ist ein großes Thema in der Politik – ein zu großes?
Apropos Entscheidung. Im Herbst stehen Landtagswahlen an, bis dahin dürften die Flüchtlingszahlen wieder steigen. Migrationspolitik ist den Menschen wichtig, ihr Alltag wird aber vor allem durch Themen wie bezahlbarer Wohnraum, der wirtschaftlichen Lage und Inflation bestimmt. Wird die Frage der Migration von Medien, aber auch der Union zu groß gemacht?
Fest steht: Das Thema Migration treibt die Menschen stark um. Zudem ist die Frage der Migration ein Prüfstein für die Funktionalität eines Staates. In Deutschland haben wir keine geordnete, keine gesteuerte Migration, sondern eine Regierung, der die Dinge bestenfalls über sich ergehen lässt. Genau das sorgt für hohe Unzufriedenheit mit dem Staatshandeln insgesamt.
Sie sehen Migration nicht als Alltagsthema der Menschen, sondern als Sinnbild des Regierungszustands?
Natürlich erleben die Menschen Migration im Alltag. Im Migrationsbericht der Bundesregierung steht, dass 2022 2,7 Millionen Menschen nach Deutschland kamen. Zugleich fehlen in unserem Land bis zu 800.000 Wohnungen und 380.000 Kita-Plätze. Zudem haben wir im ländlichen Raum Probleme, eine angemessene medizinische Versorgung zu ermöglichen. Migration ist etwas Positives, wenn sie in den Arbeitsmarkt erfolgt, gesteuert und begrenzt werden kann und die Integration gelingt. Wenn das aber nicht der Fall ist und Parallelgesellschaften entstehen, dann ist Migration ein Problem, das die Menschen nicht nur in ihrem Alltag spüren, sondern zugleich enorme gesellschaftliche Fliehkräfte erzeugt.