Barrierefreiheit bei Jobcentern: Amt stellt absurde Forderung an blinde Empfängerin
Das Bürgergeld muss überarbeitet werden, darin sind sich CDU und SPD einig. Ein grobes Fehlverhalten von Jobcentern zeigen Beispiele. Die Agentur für Arbeit reagiert.
München – Bald könnte das Bürgergeld Geschichte sein: Die CDU will es durch die Grundsicherung ersetzen. Das Bürgergeld sei „beschäftigungsfeindlich, zementiert Menschen in der Arbeitslosigkeit fest und ist bürokratisch“, sagte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt zur Bild-Zeitung.
Blinde Arbeitslosengeld-Empfängerin: Jobcenter begegnet ihr mit Ignoranz
Ob es Union und SPD in ihren Koalitionsverhandlungen gelingt, eine bessere Lösung zu erarbeiten, bleibt abzuwarten. Doch klar ist: Die Jobcenter sind in ihrer Organisation, und in wie sie Einzelfälle behandeln, bestimmt nicht perfekt. Ein Beispiel aus dem Jahr 2015, also bevor es das 2023 eingeführte Bürgergeld gab, machte jüngst die Seite gegen-hartz.de publik. Ein Jobcenter verpasste seine Chance, sich auf die Person und ihre speziellen Bedürfnisse einzulassen. Konkret: Tatjana K. ist blind, doch das Jobcenter wollte, dass sie einen Führerschein macht.
Seit frühester Kindheit hat die damalige Arbeitslosengeld-II-Empfängerin demnach kein Sehvermögen mehr. Trotzdem sei es ihr gelungen, Tourismusmanagement zu studieren und dieses Studium mit dem Bachelor abzuschließen. Sie habe bei einer Messegesellschaft arbeiten wollen, doch alle Versuche, sich bei Firmen zu bewerben, seien ins Leere gelaufen. Deswegen suchte sie Hilfe beim Jobcenter und bewarb sich für die staatliche Hilfe.
Strukturelle Diskriminierung in Jobcentern kein Einzelfall
Die Betreuung habe durch einen speziell für die Arbeit mit Schwerbehinderten ausgebildeten Reha-Berater stattgefunden. Er habe Tatjana im Jahr 2015 eine Stelle vermittelt, auf die sie sich bewerben sollte. Als sie ihn darauf hingewiesen habe, dass in der Stellenbeschreibung ein Führerschein gefordert werde, sagte er demnach: „Das ist alles kein Problem.“ Das Amt würde den Führerschein finanzieren. Tatjana habe ihn schließlich noch einmal darauf hingewiesen, dass sie blind sei. Daraufhin habe der Sachbearbeiter gesagt: „Ach, da war doch was ...“

Die Website berichtet auch über weitere strukturelle Diskriminierung in Jobcentern. So soll sich eines geweigert haben, einem Blinden namens Tim seine Post barrierefrei zuzustellen. Es ist allerdings unklar, zu welchem Zeitpunkt dies geschehen ist. Auf Anfrage der Seite habe das Center geantwortet: „Leider ist es dem Jobcenter noch nicht möglich, Unterlagen in Blindenschrift zu versenden.“ Auch die Internetseiten der Jobcenter und der Arbeitsagentur seien nicht barrierefrei, monierte Thomas Plück von der Interessenvertretung behinderter Menschen „Selbstbestimmt leben” gegenüber gegen-hartz.de.
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Wäre ein solcher Fall heute noch denkbar? Arbeitsagentur bekennt sich zur Inklusion
Die Arbeitsagentur äußerte sich auf Anfrage von IPPEN.MEDIA zu dem Thema. Sie stellte klar, dass sie die Agentur zur Inklusion bekenne und verpflichte. „Inklusion wird in der BA als Querschnittsaufgabe mitgedacht, gestaltet und gelebt. Wir richten unsere geschäftspolitischen Entscheidungen konsequent an einem inklusiven Leitgedanken aus“, heißt es. Auch viele Beispiele dafür, wie besondere Servicestellen für Menschen mit Behinderungen, werden genannt. Dennoch gibt die Agentur zu, dass sie an der Umsetzung der Barrierefreiheit in den einzelnen Jobcentern „keinen Einfluss“ habe. Diese seien selbst in der Verantwortung.
Auch auf die Frage, ob Post in Jobcentern mittlerweile in Blindenschrift versendet werden könne, antwortet die Arbeitsagentur, dass dies ebenfalls in der Verantwortung der Center liege. Die Jobcenter werden „zumeist als gemeinsame Einrichtungen mit der jeweiligen Kommune betrieben“. Im digitalen Bereich bietet die Agentur barrierefreien Zugang zu ihren Angeboten an, und dies sei ihr „besonders wichtig“. Man habe das Angebot diesbezüglich in den letzten Jahren „stark erweitert“.
CDU kritisiert Bürgergeld: „Bürokratiemonster“
Kai Whittaker, CDU-Bundestagsabgeordneter, kritisierte das Bürgergeld bereits als „Bürokratiemonster“. Die Sozialleistung verschlinge „Milliarden im Verwaltungsdschungel“. „Statt Menschen in Arbeit zu bringen, versinken Jobcenter in Aktenbergen, Formularlawinen und absurden Rechenexzessen.“ Die „endlosen Einzelfallberechnungen“ müssten „endlich aufhören“, forderte der CDU-Politiker weiter. Nötig seien klare Pauschalen, Automatisierung und Digitalisierung. „Mit der neuen Grundsicherung müssen wir das System vom Kopf auf die Füße stellen – damit Geld nicht in Papierkram, sondern in echte Vermittlung fließt.“
Union und SPD hatten sich in ihrem Sondierungspapier auf eine Reform des Bürgergelds geeinigt. Daraus soll nach Angaben von CDU-Chef Friedrich Merz ein neue „Grundsicherung für Arbeitssuchende“ werden. Leistungsbeziehern, die jegliche Arbeitsaufnahme verweigern, sollen demnach künftig alle Leistungen vollständig entzogen werden.
5,4 Millionen Menschen beziehen in Deutschland Bürgergeld
Aktuell beziehen in Deutschland rund 5,4 Millionen Menschen Bürgergeld. 2,7 Millionen davon stehen dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung, etwa weil sie nicht erwerbsfähig sind oder sich in einer Weiterbildung befinden. Weitere 830.000 Menschen sind Aufstocker, das heißt, sie arbeiten zwar, ihr Einkommen reicht aber nicht zum Leben. 1,9 Millionen Menschen sind tatsächlich arbeitslos. (cgsc/afp)