Koalitionsvertrag: Union und SPD planen viele neue Ausgaben – doch woher soll das Geld kommen?
Der Koalitionsvertrag von Union und SPD steht und er sieht hohe Belastungen für den Bundeshaushalt vor. Geplant sind folgende Vorhaben:
- Die Einkommensteuer soll ab 2027 für niedrige und mittlere Einkommen gesenkt werden – vermutlich über eine Anhebung des Grundfreibetrags und der Grenze für den Spitzensteuersatz. Damit würden rund 90 Prozent der Erwerbstätigen weniger Steuern zahlen. Gleichzeitig sollen die Kinderfreibeträge und Kindergeld künftig im Gleichschritt erhöht werden. Nach Berechnungen des IW Köln kostet das den Staat allein Steuereinnahmen von bis zu 46 Milliarden Euro im Jahr.
- Die Körperschaftsteuer soll ab 2028 schrittweise um einen Prozentpunkt pro Jahr gesenkt werden, insgesamt um 5 Prozentpunkte auf dann nur noch 10 Prozent. Das IW hatte die Einnahmeverluste dafür mit 20 Milliarden Euro pro Jahr berechnet.
- Die Stromsteuer soll auf das europäische Mindestmaß gesenkt und die Netzentgelte reduziert werden. Das führt laut IW zu Mindereinnahmen beziehungsweise Mehrausgaben von zusammen rund 10 Milliarden Euro pro Jahr.
- Den Satz für die Mehrwertsteuer in der Gastronomie dauerhaft von 19 auf 7 Prozent zu senken, wird rund 4 Milliarden Euro pro Jahr kosten.
- Die Ausweitung der Mütterrente mit einem dritten Rentenpunkt für alle Berechtigten schlägt nach Angaben der deutschen Rentenversicherung mit 4,45 Milliarden Euro pro Jahr zu Buche.
- Die Verlängerung der Haltelinie bei den Renten wird ebenfalls mit mehreren Milliarden Euro pro Jahr bezahlt. Allerdings ist hier noch unklar, inwieweit das über Zuschüsse aus dem Bundeshaushalt oder höhere Beiträge zur Rentenversicherung finanziert wird.
Insgesamt summieren sich also allein diese Vorhaben bereits auf rund 85 Milliarden Euro extra pro Jahr – wenngleich in vollem Umfang erst ab 2033. Diese Summe muss irgendwie gegenfinanziert werden. Hinzu kommen noch die Zinskosten für das Sondervermögen Infrastruktur, welche bis 2035 schrittweise auf geschätzte 13 Milliarden Euro pro Jahr ansteigen. Auch die Schulden aus dem Sondervermögen der Bundeswehr müssen ab etwa 2031 getilgt werden. Es gibt hier noch keinen konkreten Tilgungsplan, ausgehend von Regeln für andere Sondervermögen dürften die Kosten aber bei rund 3,2 Milliarden Euro pro Jahr liegen. Die jetzige Koalition müsste also eigentlich Wege finden, bis zu 100 Milliarden Euro pro Jahr zu finanzieren.
Diese Mehreinnahmen sind geplant
Doch das Koalitionspapier bleibt in dieser Hinsicht sehr dünn. Folgende Maßnahmen sind geplant:
- Die Einführung einer Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene soll unterstützt werden. Nun ist erstens unklar, ob eine solche gemeinsame Steuer überhaupt jemals kommen wird, denn die 27 EU-Mitglieder konnten sich bisher nicht auf ein eigenes Modell einigen. Frankreich und Italien haben deswegen bereits nationale Steuern beschlossen. Die Einnahmen einer solchen Steuer lassen sich zudem schwer berechnen, wenn ihre Details unklar sind. Das IW Köln rechnet beim SPD-Modell aus dem Wahlkampf mit 7 Milliarden Euro pro Jahr. Dabei würde eine Steuer von 0,2 Prozent beim Handel mit Aktien eines Konzerns mit mehr als einer Milliarde Euro Marktkapitalisierung fällig.
- Die Bundesverwaltung soll reduziert, sowie Förderprogramme und Beiträge für internationale Organisationen gekürzt werden. Zusammen würde das rund eine Milliarde Euro einbringen.
- Alle Subventionen sollen „eingehend“ überprüft werden. Welche dadurch tatsächlich abgeschafft werden könnten, ergibt sich aus diesem Satz nicht. Potenzial wäre hier vorhanden. Für umstrittene Staatshilfen wie das Dieselprivileg (8,5 Milliarden Euro), die Kerosinsteuer-Befreiung (rund eine Milliarde Euro), das Dienstwagenprivileg (5,5 Milliarden Euro) und die Mehrwertsteuerbefreiung für internationale Flüge (rund eine Milliarde Euro) gibt der Bund rund 16 Milliarden Euro im Jahr aus oder verzichtet auf Einnahmen. Unwahrscheinlich ist allerdings, dass die neue Koalition am Ende Subventionen in dieser Höhe streicht.
- Die Ausweitung der Finanzkontrolle Schwarzarbeit soll ebenfalls Mehreinnahmen bringen. Die dürften aber gering ausfallen. 2023 deckten die Zoll-Ermittler Schäden in Höhe von 615 Millionen Euro auf, wobei davon aber ein Teil den Sozialversicherungen zusteht. Selbst, wenn die Bundesregierung diesen Erfolg also verdoppeln könnte, würden die Mehreinnahmen wohl unter einer Milliarde Euro liegen.
- Ein möglicher Trick könnte darin bestehen, Verteidigungsausgaben künftig verstärkt in ein Sondervermögen zu verschieben. Festgelegt ist, dass Ausgaben von mehr als einem Prozent des BIP künftig auf diese Weise finanziert werden dürfen. 2024 lag der Etat des Bundesverteidigungsministeriums bei 53,25 Milliarden Euro. Ein Prozent des BIP entsprach etwa 43 Milliarden Euro. Entsprechend könnte die Koalition also 10 Milliarden Euro pro Jahr hier einfach verschieben. Gespart würde dadurch jedoch kein Cent.
- Eine unbekannte Summe dürfte zudem dadurch eingespart werden, dass die Zahl der Asylbewerber reduziert werden soll. Allerdings ist das Potenzial hier gering. 2023 gab Deutschland rund 6 Milliarden Euro für 523.000 Asylbewerber netto aus. Hinzu kommen die Bürgergeldkosten für die ukrainischen Flüchtlinge in Höhe von 11 Milliarden Euro pro Jahr. Diese Summen werden aber kaum komplett verschwinden. Selbst, wenn Sie um ein Viertel gekürzt werden könnten, wären das nur rund 4 Milliarden Euro pro Jahr.
Insgesamt kommt die Bundesregierung also auf Mehreinnahmen und Einsparungen von maximal 39 Milliarden Euro pro Jahr. So viel dürfte es aber bei weitem nicht werden, weil dafür wirklich alle potenziellen Maßnahmen umgesetzt werden müssten. Und selbst wenn, fehlten immer noch rund 61 Milliarden Euro pro Jahr.
Das ist insofern interessant, als die drei Parteien im Koalitionsvertrag extra darauf hinweisen, dass alle aufgelisteten Projekte unter Vorbehalt stehen und nur umgesetzt werden sollen, wenn eine adäquate Gegenfinanzierung besteht. Das bedeutet etwa, dass vor der Einführung der Mütterrente III erst eine Maßnahme beschlossen werden müsste, die an anderer Stelle entweder die notwendigen 4,45 Milliarden Euro einspart oder für Mehreinnahmen in dieser Höhe sorgt.
Hier könnte zusätzliches Geld herkommen
Eine große Hoffnung der Koalitionäre dürfte darin liegen, dass die Wirtschaft durch ihre Maßnahmen wieder schneller wächst als bisher. Dazu müsste sich die vom Internationalen Währungsfonds IWF Wachstumsrate von durchschnittlich 1,0 Prozent pro Jahr bis 2029 aber schnell und deutlich erhöhen. Wie sich eine wachsende Wirtschaft genau auf das Steueraufkommen auswirkt, ist schwer vorherzusagen. Tendenziell steigen die Steuereinnahmen etwas stärker als die Wirtschaft wächst. Im besten Fall könnte das ausreichen, um die Lücke im Bundeshaushalt zu schließen.
Möglich wären noch eine Reihe anderer Maßnahmen gewesen, die im Koalitionspapier nicht einmal erwähnt werden, wie zum Beispiel:
- Eine Erhöhung des Spitzensteuersatzes um drei Prozentpunkte auf 45 Prozent und des Reichensteuersatzes von 45 auf 47 Prozent würde nach Berechnungen des IW Köln die Entlastungen für untere und mittlere Einkommen ausgleichen, also 46 Milliarden Euro einspülen.
- Eine Wiedereinführung der Vermögensteuer nach dem Modell der SPD aus dem Wahlkampf brächte 5 Milliarden Euro extra. Ein schärferes Modell, wie es etwa die Linke vorschlug, hat ein Potenzial von bis zu 123 Milliarden Euro pro Jahr.
- Eine Reform der Erbschaft- und Schenkungsteuer, bei der hohe Erbschaften und Schenkungen stärker besteuert werden, könnte laut IW Köln zwischen 3 und 17 Milliarden Euro pro Jahr einbringen.
Allein diese drei Dinge würden also ausreichen, um alle Pläne der neuen Koalition zu finanzieren. Sie fanden aber wegen CDU/CSU keine Mehrheit.