Resilienz-Boni als „Abartige Überförderung“ – 1KOMMA5°-Chef kritisiert „Old Solar“
Die deutsche Solarbranche steht unter heftigem Druck. Große Hersteller verlangen schnelle Hilfe vonseiten der Politik. Mehrere Solar-Start-ups gehen gegen die sogenannten Resilienz-Boni auf die Barrikaden.
Berlin – „Die Methodik ist fahrlässig und missbräuchlich.“ Mit deutlichen Worten kritisierte Philipp Schröder, Geschäftsführer des Solarunternehmens 1KOMMA5°, die Resilienz-Boni, nach denen Hersteller wie Meyer Burger seit Wochen verlangen. Innerhalb der Solarbranche sind diese Boni tatsächlich umstritten; es haben sich Lager herauskristallisiert, die jeweils unterschiedliche Arten der politischen Einflussnahme bevorzugen. Gegenüber Ippen.Media verriet Schröder, wo er die Probleme sieht.
Anteil chinesischer Wertschöpfung an Photovoltaik-Herstellung | 80 Prozent (weltweit) |
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Mindestvoraussetzung europäische Wertschöpfung an Photovoltaik für die Förderung durch Resilienz-Bonus | 50 Prozent (Vorschlag Fraunhofer ISE) |
Jährlicher Zubau an Solarenergie in Deutschland | 14,1 Gigawatt (vbw) |
Langfristiges Ziel des jährlichen Solarenergie-Zubaus | 20,0 Gigawatt |
Deutsche Solarbranche steht nach wie vor unter Druck
Der Hintergrund ist bekannt: Chinesische Hersteller verkaufen solche Mengen an Solarmodulen, und das auch noch zu so niedrigen Preisen, dass die traditionellen deutschen Produzenten beim Preiskampf nicht mehr mithalten können. Der chinesische Anteil an der globalen Photovoltaik-Herstellung beträgt rund 80 Prozent. Weil dieser Druck im Jahr 2023 in bislang ungekannter Weise zugenommen hatte, entschieden sich mehrere große Hersteller, darunter Heckert Solar und Solarwatt, die Produktion zurückzufahren. Meyer Burger zog gar eine Werksschließung in Betracht und drohte mit der Abwanderung in die USA.

Nun sucht ein Teil der Solarunternehmen ihr Heil in politischer Einflussnahme. Sogenannte Resilienz-Boni sollen Kunden belohnen, die Solarmodule aus europäischer Herstellung kaufen. Mehrere Unternehmen hatten sich davon distanziert, darunter Enpal, 1KOMMA5°, Energiekonzepte Deutschland (EKD) und Zolar. Sie warnten vor einem höheren Druck auf das Kleinanlagensegment und vor einer unwillkommenen Monopolbildung am deutschen Markt. Stattdessen müsste der Staat Resilienz-Ausschreibungen einsetzen, um die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie zu stärken.
Geteilte Meinungen – Resilienz-Boni oder lieber Ausschreibungen?
Solche Ausschreibungen sind bereits im Net Zero Industry Act (NZIA) verankert, allerdings auf europäischer Ebene. Dieser sieht vor, dass bei 30 Prozent der Ausschreibungsvolumina im Photovoltaikbereich Technologie aus der EU zum Einsatz kommen soll. Im Grunde handelt es sich also um Auktionen, bei denen diejenigen Unternehmen besser abschneiden, deren Module einen höheren Anteil europäischer Teile aufweisen oder eben innerhalb Europas gebaut sind.
Ähnlich sollen die Boni funktionieren: Unternehmen mit „tieferer Wertschöpfung“, also mit einem höheren Anteil deutscher Teile oder deutscher Produktion, sollen Einspeisevergütungen erhalten. Für 1KOMMA5° schien das eine gute Lösung zu sein, immerhin stellt das Unternehmen selbst Module mit deutschem Polysilizium her und lässt in China zusammenbauen. Laut Philipp Schröder benachteiligte der erste Entwurf für die Resilienz-Boni jedoch genau solche Unternehmen. Nach dem ersten Vorschlag, der im Dezember vorlag, habe 1KOMMA5° nur ein Zehntel der Fördersumme von Meyer Burger erhalten, einem Unternehmen, das die Bestandteile in China kaufe und dann in Deutschland zusammenbaue. Auf Anfrage hatte sich Meyer Burger dazu noch nicht geäußert.
Auch Neueinsteiger am Markt hätten es schwer. Anpassungsvorschläge durch 1KOMMA5°, wenigstens Wachstumsmaßnahmen wie Fabrikbau oder Investitionsachweise ebenfalls über die Boni zu belohnen, blieben ungehört.
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„Industriepolitischer Unfug“ – 1KOMMA5°-Chef kritiisert Resilienz-Boni
Allerdings blieb es nicht dabei. „Hinter verschlossenen Türen“ habe der Bonus, der ursprünglich aus der Feder des European Manufacture Council stammt, verschiedene Updates erhalten. Im Februar lag dann eine Version vor, in der Verbraucher vom Resilienz-Bonus nur dann profitieren, wenn sie auch einen europäischen Wechselrichter kaufen (ein Gerät, das den vom Solarmodul auf dem Dach hergestellten Gleichstrom in nutzbaren Wechselstrom umwandelt).
Kurios dabei: Für dieses Gerät war keine Vorgabe hinsichtlich der Wertschöpfung vorgesehen, es könnte also auch aus chinesischen Bauteilen bestehen und trotzdem die volle Förderung erhalten. Schröder betonte, dass 1KOMMA5° teure Wechselrichter in den USA und in Israel kaufe. Eine vollständige Produktion ganz ohne China sei jedoch nicht möglich.
Das klingt zunächst widersinnig – Unternehmen, die sich aktiv gegen chinesische Teile entscheiden, erhalten Nachteile bei einem Resilienz-Bonus, der ihre Branche grundsätzlich vor chinesischen Unternehmen schützen soll. „Das konnte uns dann keiner erklären, wollte uns auch keiner erklären“, kommentierte Schröder. Resilienz-Boni seien „auch geostrategisch und industriepolitischer Unfug.“
Anpassungen beim Resilienz-Bonus
Im Februar legte dann das Fraunhofer ISE einen weiteren Vorschlag nach. Bis dahin habe es „keinerlei Informationen“ darüber gegeben, wie der Bonus aussehen sollte. Auch die Politik habe keine entsprechenden Daten gehabt. Im neuen Vorschlag ging es nicht mehr nur um eingespeisten Strom, der eine Förderung erhalten sollte, sondern um produzierten Strom. „Das Fraunhofer ISE hat dem BMWK mit der vorliegenden Untersuchung eine zeitlich gestaffelte Roadmap zur Einführung europäischer Produkte in den Markt durch Resilienz-Boni vorgestellt und eine konkrete inkrementelle Ausgestaltung vorgeschlagen“, teilte das Institut dazu mit.
Dafür empfahl das Fraunhofer ISE eine Mindestvoraussetzung von 50 Prozent europäischer Wertschätzung, was zum Beispiel durch den Wechselrichter oder das Modul funktionieren sollte. „Dieser Ansatz steht im Einklang mit dem Vorschlag des Europäischen Rates zum NZIA“, hieß es weiter. Im NZIA ist von Resilienz-Boni jedoch keine Rede, sondern von der „Anwendung von Resilienzkriterien bei Vergabeverfahren und Auktionen“.
„Der entscheidende Punkt ist, man hat den Fördereffekt verdoppelt durch diese Produktionsklausel“, kritisierte Schröder, und zog einen Vergleich zum Tomatenanbau. In diesem Szenario würde ein Bauer, der die Tomate ins Netz verkauft, noch eine Extra-Vergütung erhalten, wenn er sie selbst esse. Der 1KOMMA5°-Chef findet: „Das ist eine abartig kranke Überförderung.“ Weder die Politik noch die vierte Gewalt hätten Widerworte geleistet, während geschickte Lobbyarbeit den Resilienz-Bonus zur „Selbstbedienung“ gemacht habe.
Marktkonsolidierung in der Solarbranche?
Die deutsche Solarbranche steht nun am Wendepunkt. „Wir kritisieren nicht das Ziel“, stellte Schröder klar. Die Methodik sei aber die falsche. „Wenn man das Richtige tut, dann muss man auch in Kauf nehmen, dass der Markt sich vielleicht kurz einmal konsolidiert. Aber dieses Instrument, das hier gebaut wurde, das ist eine absolute Farce.“
Beim Bundesverband Solarwirtschaft herrscht dagegen Unverständnis. „Keinesfalls nachvollziehbar ist die Kritik des Start-ups, wie Maßnahmen für mehr Diversifizierung und Resilienz in der von uns empfohlenen Form einer Monopolbildung Vorschub leisten sollen“, teilte der Verband auf Anfrage von Ippen.Media hin mit. Die Empfehlungen zur Einführung einer Resilienz-Komponente im EEG seien so ausgestaltet worden, dass „ungewollte Marktverzerrungen oder Attentismus-Effekte“ im Photovoltaik-Markt vermieden würden. Für Hersteller, Handel und Handwerk entstehe gleichermaßen ein Win-Win-Situation. Es gehe um einen befristeten Nachteilsausgleich.
Wie geht es weiter? Derzeit steht das Solarpaket I in den Startlöchern, das unter anderem Bürokratie abbauen soll. In einer Bundesratssitzung vom 2. Februar hieß es weiter, dass die Resilienz-Ausschreibungen zumindest ausgetestet werden sollen. Obwohl eine Entscheidung in der zweiten Februarhälfte angekündigt war, läuft die Produktion von Meyer Burger in Freiberg noch. 1KOMMA5° steht hier bereit, um das Werk zu übernehmen. Das letzte Wort der Politik ist noch nicht gesprochen.