Mit Alphorn und ABBA am Ammersee: Der Kapellentag feiert sein Zehnjähriges

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St. Johannes beim Raistinger Radom: In der kleinen Kapelle fanden beim Kapellentag rund um den Ammersee vier der „Ammertaler Alphornbläser“ Platz. © Greiner

Wenn im August kleinste Kapellen rund um den Künstler- und Bauernsee ihre Türen öffnen, gibt es was auf die Ohren: Der Kapellentag im Rahmen der AMMERSEErenade ist inzwischen überregional bekannte und geliebte Tradition. Und so waren auch beim Zehnjährigen zahlreiche Musikinteressierte auf Achse – trotz Kälte und Dauerregen.

Ammersee – Eigentlich darf sich das Geburtstagskind was wünschen. Der Kapellentag würde da sicher ‚gutes Wetter‘ ganz oben auf die Liste schreiben. Um auf den vier vorgeplanten Routen – Nord, Süd, West und Ost – oder mit selbst ausgetüfteltem Zeitplan die diversen Konzerte in teils abgelegensten Orten rund um den Ammersee zu besuchen, wäre das Fahrrad ideal. Beim Blick aus dem Fenster am vergangenen Sonntag bestehen aber nur hartgesottene Radler auf ihren Pedalen: Niesel- bis Dauerregen und niedrige Temperaturen lassen die Kapellentag-Teilnehmer umsteigen – auf den Pkw. Weshalb gleich beim ersten Konzert der Nordroute, in St. Jakob in Schondorf, Parkplätze Mangelware sind. Aber auch das Innere der Pilgerkirche ist lange vor dem Startschuss um 11 Uhr schon proppevoll: Der Kapellentag ist beliebt. Egal, was der Wettergott sagt.

Auch letztes Jahr war das Wetter beim Kapellentag nicht wirklich gut. Mehr dazu lesen Sie hier.

Kapellentag 2024 Schondorf St. Jakob
In der Pilgerkapelle St. Jakob in Schondorf sind die Plätze für das Eröffnungskonzert des Kapellentags auf der Nordroute schon früh belegt. © Greiner

Zehnjähriges des Kapellentags rund um den Ammersee: Geschichte und Klang

Zu hören ist das Beethovenquartett in C-Dur, gespielt vom „Ammerseequartett“, den Dießener Streicherinnen Regine Noßke, Stefanie Hauser und Sanna Müller mit dem Münchener Cellisten Tobias Melle. Der erste unheilvolle Akkord mischt sich noch mit Gesprächsfetzen und Handy-Klingeltönen – ganz so streng wie in ‚klassischen‘ Konzerten läuft es beim Kapellentag nicht. Aber als sich das Unheilvolle des Anfangs zum strahlenden C-Dur erhebt, lauscht auch das Publikum vor der Tür aufmerksam dem Ensemble, das sich alle Beethoven-Streichquartette auf die Fahnen geschrieben hat.

Nicht nur Musik steht beim Kapellentag auf dem Programm: Es geht auch um die Räume. Vor jedem Konzert gibt es Historisches zur Entstehung. So darf sich das 1149 erbaute Kleinod St. Jakob zu den ältesten romanischen Kirchen im Pfaffenwinkel zählen. Die nächste Station auf der Nord-Route, St. Martin in Hechenwang mit ihrem markanten Doppelzwiebel-Turm, steht der romanischen Kargheit St. Jakobs diametral entgegen: Der Wessobrunner Architekt und Stuckateur Joseph Schmutzer lebte sich in der 1714 vollendeten – und deutlich größeren – Kirche samt Deckengewölbe in Rosa, Hellblau und Hellgelb lustvoll aus. Dementsprechend besonders ist auch die Musik: Das Münchener Duo „Euphoric“ mit Pianistin Wei Lee und Lin Ling an der Querflöte füllt den Kirchenraum mit östlichem Impressionismus: Programmmusik, die Natur mit Tönen malt. So zaubert Pianistin Lee in „Wolken“ von Tan Dun mit leichten Kadenzen und darüber ziehenden Tönen im Kopf der Zuhörer entsprechende Bilder; Ling ahmt Trommeltöne mittels der Flötentasten nach und versetzt in die Weiten Südchinas; und auch im Duett „Gedicht für Flöte“ auf Basis eines Poems von Gao Shi gehen die beiden exzellenten Musikerinnen auf eine Reise in ferne Kulturen – und nehmen ihr Publikum mit großer Spielfreude mit.

Euphoric in Hechenwang beim Kapellentag 2024
Trotz Regen folgten zahlreiche Besucher den musikalischen Routen beim Kapellentag. St. Martin in Hechenwang bot im Gegensatz zu manch kleinerer Kapelle viel Platz für die Zuhörer des Münchener Duos „Euphoric“. © Greiner

Pausen gehören zum Kapellentag – wobei einige der Kirchengemeinden Getränke und teilweise auch Kuchen sowie Herzhaftes anbieten. Die Spenden der Zuhörer bei den kostenlosen Konzerten sind rein für den Erhalt der jeweiligen Kapellen bestimmt. Die Musizierenden erhalten ihre Gage vom Veranstalter, dem Verein „Kunst am Ammersee“.

Musik auch in der kleinsten Kirche beim Kapellentag: St. Johannes am Radom

Das Orgel-Konzert in Greifenberg nach der Pause fällt einem kleinen Abstecher zur Südroute, nach Raisting, zum Opfer. Die Schlosskapelle in Greifenberg und Organist Stephan Ronkov aus Dießen sind sicherlich sehens- und hörenswert, aber das Alphornkonzert in der winzigen Kapelle vor dem Radom ist es auch. Der Weg dorthin ist nicht einfach zu finden – Wegweiser gibt es am Kapellentag keine. Dafür aber die Adressen: Das Navi hilft. Statt einem Open-Air-Konzert wie geplant müssen die eigentlich zehn Musizierenden der „Ammertaler Alphornbläser“ wegen Nässe ins Innere der Wallfahrtskapelle St. Johannes der Täufer umziehen – und wegen des kleineren Klangraums reduzieren: „Vier sind schon ganz schön laut für hier drinnen“, sagt ein Mitglied der 1976 gegründeten Gruppe. Das beweisen die zwei Musiker und zwei Musikerinnen auch gleich: mit dem „Alphornruf“ ihrer F-Hörner und dem bekannten „Allgäuer Hirtenruf“, dessen Klänge die ganze Kapelle zum Beben bringen.

Alphornbläser in Kapelle Raisting beim Kapellentag 2024
Vier der eigentlich zehn „Ammertaler Alphornbläser“ haben in der St. Johannes-Kapelle beim Raistinger Radom Platz gefunden. © Greiner

Wer von der Plan-Route abweicht, kommt leicht in Zeitnot. Denn das nächste Konzert der Nordroute findet nur eine halbe Stunde später statt: Die Landsberger Sängerin Amy Bippus singt Jazz-, Soul- und Popsongs in der Pestkapelle St. Sebastian – in Eching. Und der Weg von der Süd- zur Nordspitze des Ammersees ist nicht zu verachten. Dort angekommen, wartet die Pfarrgemeinschaft Eching bereits mit üppigem kulinarischen Angebot. Und nicht wenige Zuhörer lauschen vor der Tür. Im Inneren der kleinen Kapelle stehen alle eng an eng. So eng, dass ständig das Tuten der Alarmanlage Bippus Stimme begleitet. Aber die lässt sich nicht beirren. Mit ausdrucksstarker Stimme und Instrumental-Playback vom Handy interpretiert sie das melancholische „Till Forever falls apart“ von Ashe und Finneas O‘Connell oder das bekannte „What the World needs now is Love“ von 1965: Lagerfeuerstimmung in der (gut beheizten) Kapelle, während Regen aufs Dach trommelt. Bippus liegt das Melancholische – auch wenn ihr „Mamma Mia“ von ABBA viele Zuhörer-Beine zum Mitwippen anregt.

Amy Bippus beim Kapellentag 2024 in Eching
Amy Bippus liegt das melancholische. Das zeigt sie beim Kapellentag in Eching. © Greiner

Zehnter Kapellentag der AMMERSEErenade: Lesung und Lieder

Wer denkt, die Echinger Kapelle sei klein, wird in Algertshausen eines Besseren belehrt: In der Augustinus Kapelle des dortigen Hofguts stehen die Zuhörer schon eine halbe Stunde vor Konzertbeginn so eng, dass der Boden nicht mehr zu sehen ist. Zu hören sind Lieder von Konstantin Wecker, präsentiert von der Schondorfer Sängerin Siso Hagen, Pianist Gerald Süttinger und Johannes Steck, Erzähler bei den Kaltenberger Ritterspielen, der Texte Weckers vorträgt. „Die Texte und Lieder von Wecker tragen Sonne und Frieden in sich“, leitet Siso Hagen ein. „Und eine Art kämpferische Grundhaltung“: ein Aufruf zum Mitdenken, aber auch zum bewussten Leben des Augenblicks. Hagens ganz eigene Interpretation der Wecker-Lieder mit Süttingers Klavierbegleitung und Stecks Lesestimme verbreiten Harmonie. Und bringen das Gedankenkarussell zum Stehen.

Siso Hagen in Algertshausen Kapellentag 2024
Pianist Gerald Süttinger, Sängerin Siso Hagen und Sprecher Johannes Steck präsentieren beim Kapellentag Lieder und Texte von Konstantin Wecker in der kleinen Hofgutkapelle Algertshausen. © Greiner

Wer noch musikalischen Ohr-Raum hat, gönnt sich den Abschluss der Nordroute in der Ottilienkapelle – gleich nebenan. Den Kirchturm kann man schon von Algertshausen aus sehen. Immerhin verspricht das Programmheft „Liedkunst trifft Braukunst“: Brauer und Sänger Stefan Hör präsentiert mit Nicole Winter am Piano Kunstlieder von Brahms, Schumann und Schubert – passend zur jeweiligen Biersorte. Mehr Musik muss aber nicht sein. Denn das Schöne am Kapellentag ist, dass man nicht nur die Konzerte selbst auswählen kann. Sondern auch, wann man aus dem umfangreichen und wie immer begeisterndem Musikkarussell aussteigen möchte.

Der Kapellentag ist traditionell der Auftakt zum Klassikfestival AMMERSEErenade mit Konzerten rund um den See. Los geht es 14. September um 19 Uhr im Florian-Stadl Andechs – mit dem Geigenvirtuosen Alessandro Quarta und dessen Komposition „I 5 Elementi – Die 5 Elemente“. Mehr Infos zum Programm gibt es unter www.ammerseerenade.de.

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