„Hidden Champion“ Vincorion: „Sehen uns nicht nur als reiner Rüstungskonzern“

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Demonstration am 50 kw-Stromerzeuger: (v.l.) Martin Eisenschmid, Sascha Brüning und Alexander Ackermann. © Boris Forstner

Für das vor allem im Rüstungsbereich tätige Unternehmen Vincorion aus Altenstadt hat die seit dem Ukraine-Krieg ausgerufene politische Zeitenwende auch spürbare Folgen im Geschäft.

Altenstadt - Schon beim Betreten des Werksgeländes ist die Verbindung zwischen Vergangenheit und Moderne sichtbar: Eine alte Fertigungshalle steht zwischen den noch bestehenden Towern, die Überbleibsel des kurz vor dem Zweiten Weltkrieg erbauten Militärflugplatzes. Wenige Schritte daneben steht eine 2011 errichtete, moderne Halle. Rund 230 Mitarbeiter sind an dem Standort beschäftigt, der schon oft seinen Namen gewechselt hat (siehe Kasten unten). Rund 500 sind es in der Firmenzentrale in Wedel bei Hamburg, der Rest am dritten Standort in Essen.

„Wir sehen uns nicht nur als reiner Rüstungskonzern“, sagt Sascha Brüning, der den Titel „Vice President Development & Sales“ trägt. Man sei auch in den Bereichen Luftfahrt und Bahn tätig und fertige dort ebenfalls Generatoren, elektrische Motoren und Antriebe. Rund 60 Prozent des Umsatzes, der zuletzt 163 Millionen Euro betrug, gehen aber auf den Bereich Rüstung – und es könnten noch mehr werden, wenn die offiziell ausgegebenen 100 Milliarden Euro aus dem Sonderfonds der Bundesregierung bei den Betrieben ankommen.

Denn dass endlich Geld in die Bundeswehr investiert wird, dürfe nicht nur ein Strohfeuer sein. In der Vergangenheit seien die aus Sicht des Unternehmens notwendigen Schritte nicht gemacht worden. „Wir hatten gelernt, immer weiter zu schrumpfen“, sagt Brüning. Man habe in Deutschland dank des 100 Milliarden-Pakets gerade mal den Rückstand aufgeholt, der sich aufgebaut hatte. Das müsse verstetigt werden.

Herausforderung, Produktion schnell hochzufahren - neue Mitarbeiter eingestellt

Es sei nicht einfach gewesen, die Produktion von jetzt auf gleich hochzufahren. „Das war eine Herausforderung, auch eine Zeitenwende im Unternehmen, wenn man so will“, sagt Brüning. Martin Eisenschmid, Director Business Development bei Vincorion, sagt, man habe in den vergangenen beiden Jahren 30 neue Mitarbeiter in Altenstadt eingestellt, „und wir bräuchten weitere 30“. Aber die seien nicht so einfach zu bekommen. Es sei schön, dass sich die öffentliche Wahrnehmung im Bereich der Rüstungsindustrie gerade ändere. „Man hört jetzt schon: Gut, dass ihr dazu beitragt, die Bundeswehr auszustatten. Wir wollen zur Sicherheit Deutschland beitragen“, sagt Brüning.

Teile von Vincorion sind in nahezu jedem wichtigen militärischen Gefährt der Bundeswehr verbaut: „Leopard II, Marder, Boxer, der Hubschrauber NH 90, die Panzerhaubitze 2000, das Luftabwehrgeschütz Iris-T und das Patriot-System“, zählt Brüning auf – früher für den Normalbürger unbekannte Namen, heute wegen des Ukraine-Kriegs in aller Munde.

Air Defenders from Delta Battery, 5th Battalion, 7th Air Defense Artillery, conduct march order and system validation training for the MM-104 Patriot missile system during Juniper Cobra 18 at Mount Eitam, Israel Feb. 27, 2018. The Juniper Cobra series con
Das Patriot-System, hier im Einsatz in Israel: Links der Raketenwerfer, rechts das Radarsystem mit Generatoren von Vincorion. © Vincorion

Firma sieht sich als „Hidden Champion“

Meist baut Vincorion die Stromversorgung für die Waffensysteme, aber auch die Waffenstabilisierung ist im Portfolio. Gut zu sehen auf YouTube, wenn ein Leopard-Panzer mit hoher Geschwindigkeit und einem gefüllten Bierglas auf der Geschützspitze durchs Gelände fährt, ohne einen Tropfen zu verschütten. Der Leopard II ist bekannt dafür, auch in voller Fahrt zielgenau zu feuern.

Man habe eine technologische Nische besetzt und fahre gut damit. „Wir sind in gewisser Weise ein Hidden Champion und bauen Dinge am Rande der technischen Möglichkeiten“, sagt Eisenschmid. „Unsere Geräte müssen 35 bis 50 Jahre halten, und zwar unter härtesten Bedingungen, ob bei 50 Grad in der Wüste oder Minusgraden in Eis und Schnee.“

In den Altenstadter Hallen wird gerade die neue Innovation vorbereitet: Stromerzeugungs- und -speichergeräte für die Bundeswehr mit 20, 50 und 200 Kilowatt, die deutlich weniger Energie und CO₂ verbrauchen als bisherige Geräte. Während die großen Generatoren in Überseecontainern verbaut werden, kommen die kleineren Geräte fast unscheinbar daher, sind aber vollgepackt mit Innovationen.

Stromerzeuger überall einsetzbar

So können die Stromerzeuger zum Beispiel für Gefechts- oder Kommandostände überall eingesetzt werden, weil sie mit allem kompatibel sind: Sie können mit Diesel betrieben werden, mit Strom, sogar PV-Anlagen können angekoppelt werden. Bei Letzterem ist die Anlage natürlich extrem umweltfreundlich, aber sie schlucken auch stark schwefelhaltige oder wässrige Kraftstoffe – was im Krisenfall im Ausland eben zu bekommen ist. „Und sie sind ganz einfach zu bedienen“, sagt Brüning und demonstriert es mit einem kiloschweren Tablet an einem 50-Watt-Generator, der schon bereit ist zum Versand.

Die Bundeswehr soll die neuen Geräte zwei Jahre lang auf Herz und Nieren prüfen, dann sollen sie flächendeckend eingeführt werden. „Wir können uns hier in Altenstadt tatsächlich eine kleine Serienfertigung vorstellen“, sagt Brüning – das wäre Neuland für das Unternehmen. Den nötigen Platz gibt es, direkt nebenan hat sich das Unternehmen schon vor längerer Zeit Flächen der Firma Agfa gesichert.

Viele Namen

Unter dem Namen „Lechmotoren“ wurde das Unternehmen 1947 in Schongau als Fabrik für Wechselstrom-Motoren gegründet und zog bald um an den heutigen Firmensitz in Altenstadt. 1995 wurde das Unternehmen Teil der Euromicron GmbH, 2003 folgte mit der börsennotierten Jenoptik AG ein neuer Eigentümer, der international ausgerichtet war. 2008 wurde das Altenstadter Werk innerhalb von Jenoptik in die Sparte „Defense & Civil Systems“ ausgegliedert, hieß ab 2015 „Jenoptik Power Systems“, ehe 2018 die komplette Sparte in Vincorion umbenannt wurde. 2022 schließlich wurde der Unternehmensteil von Jenoptik verkauft. Neuer Besitzer ist seitdem „Star Capital“, eine europaweit in mittelständische Unternehmen investierende Private-Equity-Gesellschaft.

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