Pflegeversicherung vor der Pleite: Für Steuerzahler wird es bald noch übler – wen es am härtesten trifft
In allen Bereichen der Sozialversicherung – Rente, Krankenkasse, Pflege – drohen in den nächsten Jahren höhere Beiträge. Die Unternehmen schlagen Alarm. Haben sie recht?
Berlin – In dieser Woche vermeldete die Ampel-Koalition eine tiefe Krise in der Pflege: Wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) aus Koalitionskreisen erfuhr, steht die Pflegeversicherung vor der Zahlungsunfähigkeit. Es würden Gespräche geführt, um die bevorstehende Pleite im Februar zu verhindern. Nach Rechnungen der Pflegeversicherung müssten dazu die Beiträge um bis zu 0,3 Prozent ansteigen, um den Bedarf zu decken.
Nicht nur die Pflegeversicherung braucht mehr Geld: Auch die Krankenkassen haben steigende Beiträge für 2025 angekündigt – sowohl bei den privaten als auch den gesetzlichen Kassen drückt der Schuh. Und gerade versucht die Ampel-Koalition mit ihrem Rentenpaket II eine Erhöhung der Rentenbeiträge ab 2028 zu beschließen. Die Abgabenlast würde damit auf ein Hoch steigen, das es in den vergangenen 30 Jahren nicht gegeben hat.
Deutschland zahlt vergleichsweise viel für Soziales: Im Ranking auf Platz 5
Für Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen bedeuten höhere Beiträge im Wesentlichen: Sie werden weniger Geld im Monat zur Verfügung haben. Und auch die Unternehmen schlagen Alarm, denn auch sie sind von den Beitragserhöhungen betroffen. In der Regel zahlen Arbeitgeber und Arbeitnehmer die Hälfte der Sozialversicherungsbeiträge.
Deutschland ist dabei eines der Länder mit den höchsten Aufwendungen für Sozialversicherungen weltweit. Ein Vergleich der größten Industrienationen zeigt, dass Deutschland im Jahr 2022 etwa 14,6 Prozent des Bruttoinlandsproduktes für Sozialversicherungsleistungen ausgegeben hat. Damit war Deutschland auf Rang fünf im weltweiten Ranking – hinter Frankreich und Österreich, aber noch vor Polen, Italien, Belgien, die Niederlande und Spanien.
Deutsche zahlen besonders viele Steuern und Abgaben: Familien werden stark entlastet
Blickt man jedoch nur auf den Anteil dessen, was einem Arbeitnehmer nach Abzug aller Steuern und Beiträge übrig bleibt, führt Deutschland nach Belgien das Ranking an. Nach Zahlen der Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit (OECD) hat ein Single-Haushalt in Deutschland im Jahr 2022 rund 47,8 Prozent seines Lohns für Soziales und Steuern abgeben müssen. In Belgien sind die Arbeitskosten höher, bei 53 Prozent - in allen anderen Nationen allerdings niedriger.
Für Paare mit Kindern ist es allerdings nicht ganz so übel. In Deutschland werden Familien stark entlastet, sodass der Anteil der Abgaben bei dieser Gruppe lediglich 32,9 Prozent beträgt - in vielen Ländern, wie Belgien, Italien, Finnland, der Türkei, Griechenland, Spanien und Norwegen werden Familien weniger stark entlastet.
Single-Haushalte zahlen die Sozialversicherungen: Rente, Krankenkasse und Pflege werden teurer
Es sind also insbesondere Singles, die in Deutschland die Last tragen müssen. Diese Last soll nun weiter steigen, vor allem für sie Sozialversicherungen. Erst kürzlich berichtete der Verband der Privaten Krankenversicherungen in der Süddeutschen Zeitung von einer Erhöhung von durchschnittlich 18 Prozent im neuen Jahr. Im Frühjahr hatten die gesetzlichen Krankenkassen auch Alarm geschlagen: Einer Untersuchung der DAK Gesundheit zufolge müssten bis 2035 die Beiträge auf 20,6 Prozent steigen. Aktuell liegt der Beitragssatz bei 16,3 Prozent im Schnitt (variiert leicht je nach Kasse). Hinzu kommen steigende Beiträge für die Rentenversicherung (bis 22,3 Prozent in 2035) und höhere Pflegebeiträge (4,7 Prozent bis 2035).
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Damit würden die Beiträge in die Sozialversicherungen – ohne die Steuern hinzugerechnet – im Jahr 2035 bei 48,6 Prozent des Bruttolohns liegen, so die DAK in ihrer Studie. Aktuell beträgt der Anteil des Bruttoentgelts, das ein Arbeitnehmer nur an die Sozialversicherungen abgeben muss, 40,9 Prozent (Arbeitgeber- und Arbeitnehmerteil zusammen).
In den 2000er Jahren haben Arbeitnehmer mehr gezahlt: besonders für Arbeitslose
Das wäre der höchste Anteil, der seit den 1990er Jahren jemals gezahlt werden musste. Die aktuelle Abgabenlast von 40,9 Prozent ist aber keinesfalls einzigartig. Wie aus Daten des Portals sozialpolitik-aktuell.de hervorgeht, lag die Abgabenlast für Sozialversicherungen vor 2006 nochmal höher als heute. Zwischen 1996 und 2005 schossen die Beiträge für Soziales auf über 41 Prozent des Lohns hoch, zeitweilig lag die Last sogar bei über 42 Prozent.

Das hatte zwei wesentliche Gründe: Zum einen lagen die Beiträge in die Arbeitslosenversicherung deutlich höher als heute, zum anderen waren auch die Rentenbeiträge höher. Von 1995 bis 2006 lag der Arbeitslosenbeitrag bei 6,5 Prozent des Lohns - heute liegt der Beitrag bei nur 2,6 Prozent. Das liegt natürlich an der niedrigeren Arbeitslosenquote (knapp 6 Prozent); in den Nachwendejahren waren bis zu 20 Prozent der Bevölkerung ohne Arbeit. Bei der Rente wurde bis 2011 fast 20 Prozent des Lohns eingefordert, heute liegt der Beitragssatz bei 18,6 Prozent.
Pflege- und Krankenversicherung waren früher jedoch günstiger. In den frühen 2000er Jahren wurden 1,7 Prozent des Lohns für die Pflege aufgewendet - heute sind es 3,4 Prozent bzw. für Kinderlose sogar 4,0 Prozent. Die durchschnittlichen Beiträge zur Krankenversicherung lagen damals zwischen 13,6 und 14,8 Prozent.
Höhere Beiträge fressen das Gehalt auf: Steuerentlastungen der Ampel verpuffen
Auch wenn die Beitragslast aktuell im historischen Vergleich nicht so übel ist: Ein Sprung auf 48 Prozent des Bruttolohns wäre eine ganz andere Hausnummer - schließlich kommen da noch die Steuern drauf. Weiter steigende Beiträge bedeuten für die arbeitende Bevölkerung immer weniger Geld. Die steuerlichen Entlastungen, die durch den Abbau der „kalten Progression“ in den vergangenen zwei Jahren realisiert wurden, würden damit verpuffen.
Davor warnt im Handelsblatt nun auch Finanzwissenschaftler Frank Hechtner: „Sollten 2025 der Zusatzbeitrag in der Krankenversicherung oder die Pflegeversicherung steigen, ist zu befürchten, dass von den angedachten Steuerentlastungen wenig bis gar nichts mehr bei den Bürgern ankommt“.
Und bei noch weiter steigenden Arbeitskosten wird der Standort Deutschland im Zweifel noch unattraktiver. Die hohen Lohnnebenkosten werden nach Angaben der Deutschen Industrie- und Handelskammer von über der Hälfte der Unternehmen schon jetzt als Standortrisiko wahrgenommen. Und das in einer Zeit, in der die Wirtschaft ohnehin vor einer Rezession steht.