„Militär-Präsenz verstärken“ - Nach neuem Sabotage-Akt in der Ostsee steht Nato vor schweren Entscheidungen

In Rostock herrschte am zweiten Weihnachtsfeiertag keine besinnliche Ruhe. Im Gegenteil. Im erst kürzlich aufgestellten Ostsee-Marinekommando, das der Nato ein genaues Lagebild liefern soll, herrschte Hochbetrieb.

Schließlich wurde gerade zum dritten Mal binnen weniger Monate ein wichtiges Unterseekabel zerstört – diesmal zwischen Estland und Finnland, dessen Sicherheitskräfte das Schiff enterten, das aus ihrer Sicht zu Russlands sogenannter Schattenflotte gehört.

Dass dies möglich war, wird unter Nato-Militärs als Ergebnis einer immer engmaschigeren Überwachung der Ostsee und intensiveren Kooperation zwischen den Verbündeten gesehen.

Gerade im Ostseeraum sehen wir die hybride Kriegführung von russischer Seite besonders klar (Carsten Breuer)

Bei einem ähnlichen Vorfall im Sommer war das damals verdächtigte Schiff nicht mehr greifbar, im November konnten dänische Marineeinheiten dann schon den chinesischen Frachter „Yi Peng 3“ verfolgen, sodass nachträglich Ermittler an Bord konnten. Nun erfolgte der Zugriff fast unmittelbar.

„Es war ein Sommer der Sabotage“

Der jüngste Vorfall hat dennoch weiteren Handlungsdruck bei der Nato erzeugt. In den Augen der Alliierten liefert er nicht nur einen weiteren Hinweis auf die Systematik des russischen Vorgehens gegen kritische Infrastrukturen, sondern auch eine Blaupause dafür, wie Moskau im Ernstfall das Baltikum zu isolieren versuchen könnte.

„Gerade im Ostseeraum sehen wir die hybride Kriegführung von russischer Seite besonders klar“, hatte Carsten Breuer, Generalinspekteur der Bundeswehr, dem Tagesspiegel im November gesagt. 

„Die Nato wird ihre militärische Präsenz in der Ostsee verstärken“

„Schon seit dem Sommer ist ein Punkt erreicht, an dem mehr passieren müsste“, heißt es aus der Grünen-Fraktion im Bundestag: „Es war ein Sommer der Sabotage.“

Nun legt das Bündnis nach. „Die Nato wird ihre militärische Präsenz in der Ostsee verstärken“, kündigte Nato-Generalsekretär Mark Rutte am Freitag nach einem Gespräch mit dem finnischen Präsidenten Alexander Stubb an.

„Die Sicherheit in der Ostsee und der dortigen Unterwasserkabel geht uns alle in Europa an“

Schon Anfang Dezember hatte der Niederländer nach einer Außenministersitzung in Brüssel von einem neuen Maßnahmenpaket gesprochen, um den Moskauer Destabilisierungsversuchen etwas entgegenzusetzen. 

„Dazu gehören ein verstärkter nachrichtendienstlicher Austausch, mehr Übungen, ein besserer Schutz kritischer Infrastruktur, eine verbesserte Cyberabwehr und ein härteres Vorgehen gegen Russlands Schattenflotte von Ölexportschiffen“, sagte Rutte.

Solche Strafmaßnahmen gegen Schiffe, mit denen der Kreml die gegen ihn gerichteten Energiesanktionen buchstäblich zu umschiffen versucht, sind Sache der Europäischen Union. „Die Sicherheit in der Ostsee und der dortigen Unterwasserkabel geht uns alle in Europa an“, sagt Nils Schmid, außenpolitischer Sprecher der SPD-Regierungsfraktion.

„Die EU hat erst jüngst Maßnahmen gegen die russische Schattenflotte von Tankern beschlossen und sollte jetzt im Lichte der jüngsten Vorfälle weitere Maßnahmen prüfen“, sagt Schmid. Die Brüsseler Kommission steht dazu schon bereit – mit Unterstützung aus Berlin, wie es aus dem Auswärtigen Amt heißt: „Wir setzen uns stark für weitere Sanktionen gegen die Schiffe aus der russischen Schattenflotte ein.“

Bereits im 15. EU-Sanktionspaket waren Mitte Dezember 52 weitere Schiffe „gelistet“ worden, elf davon auf deutschen Vorschlag hin. 

Was aber könnte nach Ruttes Ankündigung noch auf Nato-Ebene geschehen? „Es ist gut, dass bilaterale Gespräche stattfinden und die Nato-Präsenz in der Ostsee erhöht werden soll“, sagt Sicherheitsexperte Nico Lange. „Aufgrund der Häufung und der Schwere der Angriffe brauchen wir jetzt aber formelle Artikel-4-Konsultationen der Nato.“

Carlo Masala von der Bundeswehr-Uni in München hielte es für „vernünftig, dass Finnland oder einer der baltischen Staaten Konsultationen gemäß Artikel 4 im Rahmen der Nato einberuft“ – sonst bleibe das Problem auf bilateraler Ebene.

Grundsätzlich ist die Allianz bereit, auf diese Art der Kriegführung zu reagieren, wie erst im Sommer beim Nato-Gipfel schriftlich festgehalten wurde: „Wir bekräftigen, dass hybride Operationen gegen Verbündete so schwerwiegend wie ein bewaffneter Angriff sein und dazu führen könnten, dass der Nordatlantikrat Artikel 5 des Vertrags von Washington ausruft.“

Die russische Aggression – etwa gegen Datenkabel in der Ostsee – macht den Charakter des Kriegstreibers im Kreml deutlich (Marcus Faber)

Da die Alliierten für diese Fälle gar die Beistandspflicht nennen, werden sie erst recht der in Artikel 4 niedergelegten Konsultationspflicht nachkommen, „wenn nach Auffassung einer von ihnen die Unversehrtheit des Gebietes, die politische Unabhängigkeit oder die Sicherheit einer der Parteien bedroht sind“, wie in Artikel 4 steht.

„Die Nato-Staaten sollten weiter besonnen reagieren und ihr Verhalten abstimmen“

Im Bundestag mag bisher niemand solche offiziellen Gespräche einfordern, da es an jedem Mitgliedstaat selbst ist, diese zu beantragen. Gleichwohl verlangt der FDP-Politiker Marcus Faber eine engere Kooperation. „Die russische Aggression – etwa gegen Datenkabel in der Ostsee – macht den Charakter des Kriegstreibers im Kreml deutlich“, so der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses: „Die Nato-Staaten sollten hier weiter besonnen reagieren und ihr Verhalten abstimmen.“

In Nato-Militärkreisen ist dennoch Skepsis angesagt, da Artikel 4 die Erwartung konkreter Ergebnisse wecken würde, die nur schwer eingehalten werden könnte. Das Militär könne zwar bei der Überwachung helfen und abschreckend wirken, die direkte Auseinandersetzung mit der Schattenflotte müsse jedoch Sache der zivilen Küstenwachen bleiben.

„Im Kalten Krieg besaß die Deutsche Marine noch ganz andere Fähigkeiten zur Nachverfolgung fremder Schiffe“

Der Bundeswehr-Wissenschaftler Masala könnte sich als Ergebnis möglicher Konsultationen aber gerade mehr Datenaustausch, eine stärkere Koordination nationaler Küstenwachen und einen verstärkten Einsatz maritimer Verbände zum besseren Schutz kritischer Unterwasserinfrastruktur vorstellen. Inwieweit das bereits Teil der neuen Ansage des Nato-Generalsekretärs ist, war am Freitag noch unklar.

Für bedeutsamer als die Form der Gespräche innerhalb der Nato hält CDU-Außenpolitiker Jürgen Hardt die militärische Ausrüstung ihrer Mitgliedstaaten. „Im Kalten Krieg besaß die Deutsche Marine noch ganz andere Fähigkeiten zur Nachverfolgung fremder Schiffe in der Ostsee und zum militärischen Tauchen“, so der außenpolitische Sprecher der Unionsfraktion.

„Diese Fähigkeitslücken müssen wir in Abstimmung und gemeinsam mit unseren Verbündeten schließen.“ Dies habe Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) bisher nicht vermocht.

Von Christopher Ziedler