Estlands Außenminister warnt Putins Russland: „Wir werden sie abschießen“

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Estlands Außenminister will den Druck auf Russlands erhöhen. Die EU solle der Ukraine russisches Vermögen überweisen. Zudem nennt Tsahkna weitere Schritte. Eine Analyse.

Tallinn/Andelsbuch – Während Russland und die USA über einen Frieden in der Ukraine verhandeln, sitzen die Europäer nicht mit am Tisch. Im Interview mit der Frankfurter Rundschau von Ippen.Media fordert der estnische Außenminister Margus Tsahkna mehr Verantwortung von Europa.

Margus Tsahkna steht an einem Rednerpult und spricht.
Margus Tsahkna, Außenminister von Estland, fordert stärkeren Druck auf Russland. © dpa

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat sich zu Wahlen während des Krieges bereit erklärt. Geht er damit auf russische und amerikanische Forderungen ein, oder wie erklären Sie sich diese Entscheidung?

Selenskyj hat immer gesagt, dass er für Wahlen bereit ist, wenn die Bedingungen stimmen. Aber die Sicherheit für Wähler, Kandidaten und weitere Beteiligte mitten im Krieg zu organisieren, ist sehr schwierig. Ich glaube, Selenskyj will mit seiner Bereitschaft signalisieren, dass er nicht das Problem ist, sondern Russland. Wladimir Putin will keinen Frieden. Sobald der Krieg in der Ukraine beendet sein wird, wird es dort demokratische Wahlen geben.

Estlands Außenminister fordert mehr Druck auf Putins Russland

Also ist Selenskyjs Ankündigung für Sie keine Überraschung?

Nein, für mich ist das nicht neu. Für mich ist wie für Selenskyj entscheidend, dass wir die Ukraine noch stärker unterstützen. Und das ist Europas souveräne Entscheidung. Es ist problematisch, dass die Europäer nicht wirklich an den Friedensgesprächen beteiligt sind, denn es geht bei den Verhandlungen nicht nur um einen Waffenstillstand in der Ukraine, sondern um die gesamte Sicherheit in Europa.

Wie könnten die europäischen Staaten eine Führungsrolle bei den Friedensverhandlungen übernehmen?

Indem wir handeln und mehr Verantwortung übernehmen. Estland fordert seit drei Jahren, dass wir das eingefrorene russische Vermögen in Belgien nutzen und damit die Ukraine unterstützen. Und endlich sind wir so weit, dass die meisten europäischen Staats- und Regierungschefs das auch so sehen. Die Ukraine benötigt solide finanzielle Garantien und ich finde es schwierig, den europäischen Steuerzahlern zu erklären, dass wir der Ukraine ihr Geld geben – und nicht das Vermögen von Russland. Die Ukraine braucht das Geld dringend für Waffen, Investitionen und die Wirtschaft. Gleichzeitig müssen wir den Druck weiter auf Russland erhöhen.

Wie?

Mit einem weiteren EU-Sanktionspaket, mit dem wir noch härter durchgreifen. Ich bin sehr zufrieden, dass wir uns für eine Ölpreisobergrenze und die Sanktionierung von Putins Schattenflotte entschieden haben. Zudem sollte es auf alle russischen und belarussischen Importe höhere Zölle geben. Das könnte die EU-Kommission ohne den Rat beschließen und das wäre ein wirksamer Schritt im Kampf gegen Russland.

Estland zeigt sich bereit für Bodentruppen in der Ukraine nach Waffenstillstand

Welche Sicherheitsgarantien könnte Europa der Ukraine geben?

Das ist für Präsident Selenskyj die wichtigste Frage. Es ist offensichtlich, dass sich Europa daran beteiligen muss. Wir müssen uns engagieren. Die estnische Regierung hatte bereits im März beschlossen, dass sie im Rahmen der Koalition der Willigen Bodentruppen in die Ukraine schicken würde. Dass Putin auf solche Ankündigungen behauptet, dass Europa dann eine Kriegspartei wird, ist Quatsch. Mit solchen Aussagen versucht er, die USA und Europa zu spalten.

Glauben Sie, dass die USA ihre Unterstützung für die Ukraine komplett beenden, sollten die aktuellen Friedensverhandlungen scheitern?

Eine Sorge, die die Ukrainer uns gegenüber geäußert haben, ist, dass sie zwar mit den USA sprechen können, diese Gespräche aber sehr schwierig sind. Ohne die USA werden die Ukrainer die Russen von ihrem Staatsgebiet wohl nicht vollständig vertreiben können. Aber die Ukraine kann einigen Punkten des sogenannten Friedensplans nicht zustimmen. Wir können der Ukraine keine Beschränkungen hinsichtlich ihrer Militärgröße auferlegen – auch nicht hinsichtlich einer NATO- oder EU-Mitgliedschaft. Im Gegenteil: Russland sollte Beschränkungen auferlegt werden. Putin sollte seine Truppen vollständig abziehen und eine Frieden garantieren. Anders können wir keinen dauerhaften Frieden in Europa erreichen.

Aber dazu wird Putin vermutlich nicht bereit sein.

Das stimmt. Wir sehen, dass er nicht einmal einen einzigen winzigen Schritt in Richtung Waffenstillstand geht. Putin hat dem Wort Frieden seine Bedeutung geraubt. Wenn er von Frieden spricht, meint er leider mehr Krieg. Estland wird eine gewaltvolle Grenzverschiebung niemals akzeptieren.

Trotz Putins Russland: Estland fühlt sich dank starker NATO sicher

Fühlt sich die estnische Bevölkerung angesichts der Bedrohung durch Russland sicher?

Ja, weil deutsche Truppen in den baltischen Staaten stationiert sind. Deutschland und alle anderen NATO-Staaten würden uns ab der ersten Sekunde verteidigen. Allerdings ist Russland zurzeit nicht in der Lage, um eine groß angelegte Aggression gegen Estland oder einen anderen NATO-Staat zu führen. Dafür gibt es überall in Europa hybride Attacken. Wir müssen verstehen, dass Russland bereits Aggressionen gegen unsere demokratischen Gesellschaften ausübt. Russland testet uns. Und noch ein wichtiger Punkt: In ganz Europa gibt es die Diskussion, was wir machen, wenn die grünen Männchen über unsere Grenze kommen? Das kann ich Ihnen klar beantworten: Wir werden sie abschießen. Denn Estland ist unser Territorium.

Glauben Sie, dass Russland Estland nicht nur auf hybride Weise angreifen wird, sondern auch militärisch?

Das glaube ich nicht, weil die NATO stark ist. In unserer Region haben wir britische, französische und US-amerikanische Truppen. Und wir Esten investieren viel in unsere Sicherheit. In Litauen sind deutsche Truppen stationiert und mittlerweile sind auch Finnland und Schweden in der NATO. Weil Russland konventionell nicht stark genug ist, spielt Putin mit unseren Ängsten, indem er immer wieder über Atomwaffen spricht.

Estlands Außenminister spricht über möglichen russischen Atomwaffen-Einsatz

Befürchten Sie, dass Putin irgendwann Atomwaffen tatsächlich einsetzen könnte?

Das glaube ich nicht, weil das politischer Selbstmord wäre. Dann würden sich selbst China und Indien von Russland abwenden. Aber: Sollte der Krieg in der Ukraine enden, wäre Russland in der Lage, seine militärischen Kapazitäten in einigen Jahren für eine groß angelegte Invasion aufzubauen. Wir beobachten, dass Russland stark in seine militärische Infrastruktur an der NATO-Ostflanke investiert. Ein mögliches Motiv für Russland könnte auch sein, dass Schweden und Finnland nun in der NATO sind. Aber Europa muss verstehen, dass Russland keine Scherze macht und wir uns vorbereiten müssen.

Sind Sie sich wirklich sicher, dass die Amerikaner Estland im Bündnisfall verteidigen? Immerhin wollen die USA laut ihrer neuen Sicherheitsstrategie ihr Engagement in Europa weiter zurückfahren.

Ich habe keinen Grund daran zu zweifeln, dass die USA uns verteidigen würden. Die USA haben sich klar zur NATO bekannt. Aber uns allen sollte mittlerweile klar sein, dass Europa mehr Verantwortung übernehmen muss. Wir alle müssen verstehen, dass die militärische Bedrohung durch Russland real ist. Wir können nicht wie alte Bonzen sein und darauf warten, dass jemand kommt und Milch in unsere Kanne gießt.

Glauben Sie, dass Europa mittlerweile verstanden hat, mehr Verantwortung zu übernehmen?

Ich denke, dass dieses Verständnis vorhanden ist. Ein Beleg dafür ist, dass sich die NATO-Partner im Sommer in Den Haag auf das Fünf-Prozent-Ziel geeinigt haben. Ich sehe viele große und positive Veränderungen. Beispielsweise, dass in Litauen dauerhaft eine vollwertige deutsche Brigade stationiert ist.

Erwarten Sie von Deutschland in der NATO eine Führungsrolle?

Es gibt keine Führungsrollen. Die NATO ist ein kollektives Verteidigungsbündnis. Aber ich freue mich, dass Deutschland mehr in militärische Fähigkeiten investiert. (Quellen: eigene Recherche) (Interview: Jan-Frederik Wendt)