Taurus-Marschflugkörper für Ukraine: Polen mit Kanzler-Nein unzufrieden
Liefern oder nicht liefern, das ist beim Taurus weiterhin die Frage. Der polnische Außenminister wirbt erneut für eine deutsche Abgabe der Waffe an die Ukraine – und Baerbock reagiert.
Slubice – Monatelang diskutierte Deutschland das Für und Wider einer Lieferung des Taurus-Marschflugkörpers an die Ukraine. Am Ende lag die Entscheidung bei Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) – und der sagte Nein. Das Thema ist damit aber längst noch nicht vom Tisch. Der polnische Außenminister Radoslaw Sikorski warb bei einem Treffen mit Amtskollegin Annalena Baerbock (Grüne) am Mittwoch (1. Mai) erneut für eine Lieferung der Abstandswaffe.
Polen wirbt für deutsche Lieferung des Taurus – und verweist auf die Atacms aus den USA
Der polnische Außenminister rief Deutschland beim Treffen mit Baerbock nicht direkt zu einer Taurus-Lieferung auf, machte seine Meinung aber „durch die Blume“ klar. Er werde nicht in die internen Angelegenheiten eines befreundeten Landes eingreifen, so Sikorski in Slubice bei einer Pressekonferenz anlässlich des 20. Jahrestags des EU-Beitritts Polens. Die amerikanische Entscheidung könne aber für andere auch eine Inspiration sein. Damit bezog sich der Außenminister auf die Meldung von vergangener Woche, dass Kiew eine Lieferung von Atacms-Raketen größerer Reichweite aus den USA erhalten hatte.
Sikorski hatte bereits in der Vergangenheit für eine Lieferung Deutschlands geworben. Baerbock machte am Mittwoch keine Versprechen. „Mit Blick auf Taurus, das wissen Sie auch, gibt es bei uns eine intensive Debatte“, sagte Baerbock an Journalisten gerichtet, wie dpa berichtete. „Wie das in Demokratien so ist, muss man gemeinsam entscheiden.“ Sie verwies auf die neue Initiative mit Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD), mit Blick auf die Luftverteidigung im Ukraine-Krieg weltweit weitere Systeme zu bekommen.
Bringt die Atacms-Lieferung der USA neue Bewegung in die Taurus-Debatte?
Die Ukraine hatte bereits im vergangenen Jahr Atacms von den USA erhalten und diese im Oktober 2023 erstmals eingesetzt. Dabei handelte es sich jedoch um Raketen mit kürzerer Reichweite als die jetzt gelieferten Modelle. Die neuen Atacms Kiews haben laut US-Verteidigungsministerium eine Reichweite von bis zu 300 Kilometern. Auch die Storm Shadow aus Großbritannien und die französischen Scalp schaffen diese Distanzen. Dies ist insofern relevant, als die große Reichweite des Taurus von Gegnern einer Lieferung als Gegenargument angeführt wurde – auch von Scholz. Die Befürchtung: Deutschland könne in den Angriffskrieg hineingezogen werden.
Zudem argumentiert der Kanzler, dass er keine weitreichenden Waffen liefern wolle, „die nur sinnvoll geliefert werden können, wenn sie auch mit dem Einsatz deutscher Soldaten auch außerhalb der Ukraine verbunden wären.“ Der Bundeswehr-Abhörskandal brachte ans Licht, dass der Taurus – ein entsprechendes Training vorausgesetzt – auch ohne Hilfe deutscher Soldaten in der Ukraine zum Einsatz kommen könnte. Die Mehrheit der deutschen Bevölkerung steht allerdings hinter der Entscheidung des Kanzlers: Wie die Umfrage RTL/ntv Trendbarometer Ende April ergab, sind 56 Prozent dagegen und nur 37 Prozent dafür.
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Militärexperten halten die Lieferung des Taurus aus operativen Gründen für sinnvoll. Durch die große Reichweite des Taurus von rund 500 Kilometern könnte die ukrainische Armee die Waffe aus großer Entfernung von der Front abfeuern und so eigene Truppen und Material schützen. Der Marschflugkörper kann zudem etwas, was die Atacms aus den USA nicht vermögen: Der „Bunkerbrecher“ Taurus kann gehärtete Ziele wie Bunker oder Brücken nachhaltig zerstören. Die Ukraine habe bislang die Auflage eingehalten, „dass mit den westlichen Systemen keine Ziele in Russland selbst angegriffen werden sollen. Wenn man das infrage stellt, ist das aus meiner Sicht ein nicht gerechtfertigtes Misstrauen [...]“, betonte der frühere Nato-General Erhard Bühler in seinem Podcast. (Bettina Menzel, dpa)