Sicherheits-Ikonen fassungslos über Merz-Koalitionspapier: „Musste mich erst mal ärztlich versorgen lassen“

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Die Koalition will eine freiwillige Wehrpflicht einführen. An diesem Modell und besonders an der SPD gibt es harsche Kritik von Militärexperten.

Berlin – Der Ukraine-Krieg hat die Diskussion um die Wehrpflicht wieder neu entfacht. Ein Krieg tobt nun seit Jahren in Europa, und die neue Regierung aus CDU, CSU und SPD will ein neues Modell einführen: die freiwillige Wehrpflicht. Von Militärexperten gibt es harsche Kritik an diesem Vorschlag. Die Union hatte ursprünglich die vollumfängliche Wehrpflicht verlangt.

Koalition will schwedisches Wehrpflicht-Modell, aber ohne Verpflichtung

In einer Diskussion im ntv-„Salon“ am Donnerstag (11. April 2025) sprach sich Sicherheitsexperte Sönke Neitzel vehement gegen die neue Freiwilligkeit bei der Wehrpflicht aus. „Wir müssen die Wehrpflicht wieder einführen“, äußerte der Militärhistoriker der Universität Potsdam. Er schlug das eigentlich von der Koalition referenzierte schwedische Modell vor, bei dem fünf Prozent eines Jahrgangs zum Heer beordert werden. Doch in dem Modell gibt es einen großen Unterschied zur künftigen deutschen Version: Wenn sich nicht genug Freiwillige melden, werden diejenigen, die nach einem Fragebogen der Musterungsbehörde am besten geeignet erscheinen, verpflichtet.

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) will mit dem neuen Wehrdienst noch in diesem Jahr starten. „Das entsprechende Gesetz ist weitgehend vorbereitet, es könnte noch dieses Jahr in Kraft treten“, sagte er dem Spiegel. Sein Ministerium könne „zügig einen Entwurf vorlegen“. Der SPD-Politiker ist seit Anfang 2023 Verteidigungsminister und könnte auch in einer Koalition mit der Union das Amt fortführen.

Freiwillige Wehrpflicht? „Da musste ich mich erst mal ärztlich versorgen lassen“

Für die Wehrpflicht auf freiwilliger Basis sieht Neitzel keine Chance. „Diese Sache mit der Freiwilligkeit, die die SPD da reingeschrieben hat – da musste ich mich erst mal ärztlich versorgen lassen.“ Pistorius zeigte sich gegenüber dem Spiegel dagegen kürzlich optimistisch: „Wir gehen davon aus, dass wir in den ersten Jahren genügend Freiwillige gewinnen können, über eine Pflicht müssen wir dann gar nicht diskutieren.“

Gleich zwei Waffen in der Hand: Ein junger Soldat der Bundeswehr nimmt an einer Gefechtsübung teil. Deutschlands Armee fehlt es weiterhin bedenklich an Nachwuchs.
Gleich zwei Waffen in der Hand: Ein junger Soldat der Bundeswehr nimmt an einer Gefechtsübung teil. Deutschlands Armee fehlt es weiterhin bedenklich an Nachwuchs. © Klaus-Dietmar Gabbert / dpa

Konkret schreibt die neue Koalition in ihrem Papier: „Wir schaffen einen neuen attraktiven Wehrdienst, der zunächst auf Freiwilligkeit basiert. Für die neue Ausgestaltung dieses Dienstes sind die Kriterien Attraktivität, Sinnhaftigkeit und Beitrag zur Aufwuchsfähigkeit leitend. Wertschätzung durch anspruchsvollen Dienst, verbunden mit Qualifikationsmöglichkeiten, werden die Bereitschaft zum Wehrdienst dauerhaft steigern. Wir orientieren uns dabei am schwedischen Wehrdienstmodell. Wir werden noch in diesem Jahr die Voraussetzungen für eine Wehrerfassung und Wehrüberwachung schaffen.“

Ist Scholz daran schuld, dass es in Deutschland noch kein schwedisches Modell gibt?

Neitzel gibt Olaf Scholz die Schuld, dass das schwedische Modell nicht bereits eingeführt wurde. „Weil Bundeskanzler Scholz es offensichtlich besser weiß und sagte: ‚Wir haben kein Personalproblem.‘ Das war gelogen. Der Mann hat leider, muss man sagen, dem Land schweren, schweren Schaden zugefügt. Denn wir haben einfach ein Jahr Zeit verloren.“ Neitzel vermutet, dass Pistorius für Scholz „zu erfolgreich“ wurde. Pistorius lag in den Beliebtheitswerten stets vor Scholz, doch ließ diesem bei der Bundestagswahl den Vortritt als Kanzlerkandidat.

Männer ab 18 Jahren müssten nach den vereinbarten Plänen künftig einen Fragebogen ausfüllen, erklärte Pistorius. „Das gewährleistet die Wehrerfassung. Dann spricht die Bundeswehr die für sie geeigneten Personen an, ob sie einen Grundwehrdienst ableisten wollen“.

Kritik an SPD: „… der sollte auch kein Regierungsamt übernehmen“

Neitzel fragt sich, wie es der Passus mit der Freiwilligkeit in den Vertrag geschafft habe: „Dieser Vorschlag geht ja hinter Boris Pistorius zurück. Und er saß mit im Verhandlungsteam. Da sieht man, wie die SPD tickt.“ Das schwedische Modell funktioniere nur mit Pflicht, „und wer das nicht begreift, sollte auch kein Regierungsamt übernehmen“. Laut Neitzel ist „die SPD offenbar ein Sicherheitsrisiko.“ Die Union hatte ursprünglich eine Rückkehr zur Wehrpflicht verlangt.

Ganz anders sieht das Pistorius. Am Rande des Verteidigungsminister-Treffens der Ukraine-Kontaktgruppe in Brüssel sagte er, die Bundeswehr werde „optimal“ aufgestellt. „Mit einem neuen Wehrdienst werden wir für Aufwuchs und Durchhaltefähigkeit der Truppe sorgen“, versprach er. „Wir machen die Bundeswehr attraktiver.“

Linkspartei kritisiert Pläne aus einem anderen Grund

Wie Neitzel bezweifelt auch der Professor der Bundeswehr-Universität in München, Carlo Masala, in der ntv-Sendung einen Erfolg des vorgeschlagenen Modells: „Wir kriegen die Lücke zwischen 183.000 Soldatinnen und Soldaten, die aktuell dienen, und den 203.000, die eigentlich dienen sollten, jetzt schon seit zehn Jahren nicht geschlossen.“ Er fordert, dass die Einsatzbereitschaft der Streitkräfte dringend „vollumfänglich hochgezogen werden.“

Die Linkspartei kritisierte die Pläne ebenfalls, aber aus einem anderen Grund: Sie warnte vor einer baldigen Wehrpflicht. „Es fällt auf, dass die Vertreter von Union und SPD immer wieder betonen, dass man ‚zunächst‘ auf Freiwilligkeit setzen würde. Der Wiedereinstieg in eine allgemeine Wehrpflicht ist also offenbar das klare Ziel“, erklärte Fraktionschefin Heidi Reichinnek. Das sei der falsche Weg. „Junge Menschen nach den Krisen der letzten Jahre nun auch noch in den Wehrdienst drängen zu wollen, lehnen wir strikt ab.“ (cgsc mit afp)

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