Das Grauen fliegt weiter: Russland hat den ersten Prototypen des „Drachen“ gebaut
Wer einatmet, der stirbt – thermobare Munition tötet zweifach. Putins Ingenieure stellen die nächste Generation ihres Flammenwerfers auf die Ketten.
Moskau – „Die Verwüstung, die Russland der Ukraine zufügen will, ist groß“, hatte Oksana Markarowa vor mehr als zwei Jahren gesagt. Und Recht behalten.
Der Tagesspiegel hatte die ukrainische Botschafterin in den USA zitiert im Zusammenhang mit dem ersten Auftauchen des „TOS“-Systems im Ukraine-Krieg. Russland will mit diesem Raketenwerfer Tod und Verderben möglichst breit streuen; jetzt werkeln Wladimir Putins Ingenieure am Prototypen für die dritte Generation, wie beispielsweise das Magazin Militarywatch berichtet.
Der russische Verteidigungskonzern Rostec entwickelt einen Nachfolger für das thermobare 220-Millimeter-Raketenartillerie-System TOS-1A, dessen Einsatz und Feuerkraft im Westen mit Schrecken festgestellt worden war. Derzeit verfügt die russische Armee über zwei schwere Flammenwerfer-Systeme mit unterschiedlichen Eigenschaften und Fähigkeiten – den auf Ketten laufenden TOS-1A Solntsepyok („Sonnenglut“) sowie den radgestützten TOS-2. Russlands Rüstungsindustrie entwickelt diese Projekte weiter und arbeitet an einem neuen Projekt namens TOS-3 „Dragon“. „Bisher hat es die Entwicklungsphase durchlaufen, und es wurde bereits über den Bau eines Prototyps berichtet“, schreibt das russische Magazin Topwar.
Das TOS-System Russlands knackt Bunker und sprengt Infanterie-Verbände
Der britische Geheimdienst hatte schon einige Monate nach dem Überfall auf die Ukraine beobachtet, dass diese Raketen- beziehungsweise Flammenwerfer eingesetzt wurden, um die Luftlandetruppen zu unterstützen, weil die anfangs den höchsten Blutzoll für den schlecht koordinierten Angriff gegen die Ukraine leisten mussten. In dieser Zeit vertrauten die russischen Befehlshaber noch darauf, dass ihre Eliteverbände fähig sein würden, sich gegen die ukrainischen Verteidiger durchzusetzen, wie das Magazin Soldat & Technik schreibt. Inzwischen ist der Krieg weitestgehend stecken geblieben, und insofern werden die als Bunkerknacker tauglichen TOS-Systeme für Russland wichtig; einerseits für den Einsatz gegen Gebäude, andererseits auch, um auf breiter Front angreifende Infanterie-Verbände der Ukraine aufzuhalten.
„Das ist eine Waffe, die, wenn sie explodiert, ihren Sprengstoff, oder ihren Brennstoff, freisetzt und einen Überdruckeffekt erzeugt, der zu einer viel größeren Detonation führt und aufgrund der Schockwelle wirklich verheerend ist.“
International ist dieses System geächtet, weil die Wirkung ungezielt wirkt auf eine breitere Fläche als konventionelle Sprengstoffe. „Natürlich sind alle Waffen furchtbar, aber bei einer Kugel oder einer Fragmentierung, wie bei Sprengstoffen, hat man zumindest die Möglichkeit, sie medizinisch zu behandeln“, hatte der Völkerrechtsexperte Ben Saul von der Universität Sydney dem australischen Fernsehsender ABC zum Einsatz von Aerosol- beziehungsweise Vakuumbomben berichtet. „Das ist eine Waffe, die, wenn sie explodiert, ihren Sprengstoff, oder ihren Brennstoff, freisetzt und einen Überdruckeffekt erzeugt, der zu einer viel größeren Detonation führt und aufgrund der Schockwelle wirklich verheerend ist“, so Jean-Marie Collin, Experte und Sprecher von Ican Frankreich, dem französischen Zweig der Internationalen Kampagne zur Abschaffung von Atomwaffen, gegenüber Euronews Next. Der Unterdruck, den die Explosion erzeugt hat, saugt die zurückströmende Luft wieder an – und mit ihr die Feuerwolke der brennenden Flüssigkeit. Menschen, die die erste Druckwelle überlebt haben und im Unterdruck um Luft ringen, atmen das Feuer geradezu ein. Die thermobare Waffe tötet quasi zum zweiten Mal. Gegen sie besteht kaum Schutz.
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Russlands TOS 3-System: schießt schneller und wechselt schneller die Stellung
TOS-3 basiert laut Topwar auf einem Kettenfahrwerk eines unbenannten Panzer-Modells und erhält außerdem eine neue Trägerrakete. Der „Drache“ soll in der Lage sein, neue Munitionstypen mit erhöhter Schussreichweite zu verwenden. Topwar vermutet, dass die Grundlage des TOS-3 das Chassis des neuen T-14-Armata sein soll – dem Magazin vorliegende Skizzen des neuen Flammenwerfer-Panzers zeigten laut dessen Bericht die spezifischen Proportionen des Armata-Rumpfes sowie dessen charakteristische Bug- und Hecküberhänge. TOS-3 erhält danach 15 Führungen für Raketen – drei horizontale Reihen zu je fünf Schächten. Im Vergleich dazu verwendet der TOS-1A einen 24-Raketen-Stapel mit acht Schächten in jeder Reihe, während der TOS-2 zusammen 18 Patronen auf einer dreireihigen Halterung mit reduzierter Breite trägt.
Im Februar hatte Topwar noch gemutmaßt, der „Dragon“ würde auf dem Raupenfahrwerk der Panzer T-72 oder T-90 stehen. Diese Wahl der Plattform stünde für die notwendige Zuverlässigkeit und Mobilität des Systems auf dem Schlachtfeld. Russland setzt offenbar auf eine verkürzte Feuerbereitschaft und schnellere Fähigkeit zum Stellungswechsel. Die Weiterentwicklung solle ausgestattet sein mit einem vom TOS-2 übernommenen Abzugsmechanismus, der sich durch sein integriertes Munitionsladesystem auszeichne – die Erwartung liege in einer verkürzten Nachladezeit. Darüberhinaus solle der „Dragon“ eine erhöhte Reichweite bieten. Die erzwungene Nähe zum Zielgebiet der Vorgängermodelle die durch eine maximale Schussreichweite von zwölf Kilometern bedingt war, umreisst die taktischen Szenarien, die für den TOS-3 „Dragon“ vorgesehen sind.
TOS 3-System ist fähig, in einem konzentrierten Gebiet beispiellose Zerstörung anzurichten
Der Einsatz des TOS-3 im Ukraine-Krieg ist allerdings fraglich – zumindest auf Basis des neuen T-14-Panzers, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland schon Anfang März aufgrund russischer Quellen berichtet hat: „Russlands neuester Kampfpanzer Armata ist dem Hersteller zufolge zu teuer für einen Einsatz im Krieg gegen die Ukraine. ‚Von seiner Funktionalität her ist er den existierenden Panzern weit überlegen, aber er ist zu teuer und deswegen wird ihn die Armee jetzt wohl kaum einsetzen‘, sagte der Chef der staatlichen Rüstungsholding Rostec, Sergej Tschemesow, der staatlichen Nachrichtenagentur Ria Nowosti.“
Der strategische Wert der TOS-Familie läge in ihrer Fähigkeit, in einem konzentrierten Gebiet beispiellose Zerstörung anzurichten, was sie zu einer gefürchteten Waffe gegen Truppenformationen, Verteidigungsstellungen und leichte Fahrzeuge mache, urteilt das Magazin Armyrecognition; danach seien die psychologischen Auswirkungen einer solchen Waffe, die mit einer einzigen Salve immense Verwüstung anrichten kann, nicht zu unterschätzen. TOS-1 und TOS-1A hatten 220-mm-Granaten der ersten Generation verwendet mit einer Flugreichweite von rund vier Kilometern. Anschließend erhielt die Variante Solntsepyok verbesserte Munition und flog sechs Kilometer. Für TOS-2 wurde eine neue TBS-M3-Rakete mit einer Reichweite von mindestens rund zwölf Kilometern entwickelt. Die Rakete für das System der neuen Generation wird also sowohl an Sprengkraft als auch an Reichweite zulegen.
Putins Flammenwerfer helfen, den ukrainischen Staat in Asche zu verwandeln
Die Entwicklung der neuen Raketenwerfer-Generation symbolisiert die verbissene Doktrin Russlands, die sich auch rhetorisch immer wieder Bahn bricht. Im Sommer hatte Russlands Ex-Präsident Dimitri Medwedew explizit davon gesprochen, die ukrainische Führung in Asche zu verwandeln. Der Vertraute von Präsident Wladimir Putin hatte in einem Beitrag auf seinem Telegram-Kanal von einem „Selbsterhaltungskrieg“ gesprochen. „Entweder werden wir ihre feindliche Führung zerstören, oder der kollektive Westen wird Russland am Ende auseinanderreißen. In diesem Fall wird er mit uns sterben“, warnte der stellvertretende Leiter des russischen Sicherheitsrates. Um zu überleben, müsse also der komplette ukrainische Staat „vernichtet“ werden, sodass „nur noch Asche übrig bleibt“.
TOS-3 wäre ein Mittel der Wahl: Topwar rechnet mit deutlichen Verbesserungen in der Navigationsleistung des Fahrzeuges, der Interoperabilität mit anderen Einheiten und der Feuerkontrolle jedes einzelnen Werfers, so dass die Kadenz des einzelnen Werfers erhöht würde. Gleichzeitig werden die Größe des Werfers und der Rakete reduziert. Dies könnte auf die Entwicklung eines neuen verstärkten Gefechtskopfs hindeuten, der die Kraft des Salvenfeuers auf dem gleichen Niveau hält oder die Wirkung einzelner Abschüsse verstärkt.
Das TOS-3-Projekt habe das Stadium des Baus eines experimentellen Kampffahrzeugs erreicht, und der Hersteller Omsktransmash sollte bald mit der Erprobung beginnen, schreibt Topwar. Die Produktion eines serienreifen Modells würde aber vermutlich mehrere Jahre dauern, und erst danach wäre der „Drache“ bereit, an die Truppe ausgeliefert zu werden. Noch leistungsfähigere thermobare Munition würde das Grauen des Krieges deutlich verstärken, wie Jean-Marie Collin betont: „Sie kann mit einem einzigen Schuss mehrere Häuserblocks in schwelende Trümmer verwandeln.“