Für seine rotierenden Scheiben ist Regisseur Ulrich Rasche bekannt und berüchtigt. In Salzburg nimmt er sich Donizettis „Maria Stuarda“ vor - und verengt dadurch das Drama. Sehr wohltuend dafür: Kaum etwas klingt nach Belcanto-Klischee.
Zwanzig, dreißig Zentimeter fehlen am Ende. Für eine Berührung, einen demutsvollen Handkuss oder, darauf hätten die Frauen ja am meisten Lust, eine Backpfeife. Im realen Leben sind sich Elisabetta I. und Maria Stuarda bekanntlich nie begegnet, und das tun sie eigentlich auch hier nicht. Jede existiert für sich auf ihrer rotierenden Scheibe, zwei Welten, zwei Universen, Überbrückung nicht möglich. Den Showdown hat sich Vorlagedichter Friedrich Schiller fein ausgedacht, bei Gaetano Donizettis Oper passiert er am Ende von Akt eins. Funkensprühendes soll da den Kehlen entfahren, Koloraturen und Spitzentöne als tönende Damenpistolen. Eine Scheibe ragt etwas höher hinauf, auch Begriffsstutzige kapieren: Elisabetta hat die Oberhand.
Sein Bühnenpersonal lässt Ulrich Rasche bekanntlich nicht in Ruhe. Das muss stets abendfüllend auf langsam rotierenden Theaterkarussells laufen, die der Regisseur selbst entworfen hat. Auch am Münchner Residenztheater verordnete er dem Ensemble schon Unrast und Fitness, man nehme nur Hofmannsthals „Elektra“. Für die Salzburger Festspiele wagt er sich nun zum dritten Mal ins Musiktheater vor. Und das ausgerechnet bei einer Belcanto-Oper, seit Menschengedenken gab es unterm Mönchsberg keine szenische Produktion. Nun also „Maria Stuarda“, diese Rivalinnen drehen durch.
Surrendes Scheibenballett
Zieht man mal das leise Surren, Sirren und Knirschen ab (Wo war das Schmieröl?): Der Wirkung von Rasches Scheibenballett kann man sich nicht entziehen. In virtuoser Langsamkeit kreisen und bewegen sich die Konstruktionen über die Riesenbühne des Großen Festspielhauses. Eine dritte Scheibe hängt darüber, Ort für Farbspiele und Projektionen. Die Motoren treiben Protagonistinnen und (Bewegungs-)Chor an. Die Nebelmaschine arbeitet; wer singt, schält sich aus dem Dunkel. Es ist ein archaisches Theater, monumental, raunend, ritualhaft.
Donizettis Musik wird hier auch szenisch übersetzt. Im sachten Rhythmus müssen sich alle auf den Scheiben bewegen. Weniger Choreografie ist das, sondern ein Schreiten, regelmäßig, genau getaktet – und unsagbar vorhersehbar. Einmal singen Maria und Leicester ihr Duett, plötzlich und endlich verdichtet sich alles zum Slow-Motion-Tanz. Doch wer nach der einzigen Pause zurückkehrt, ahnt: So geht der Abend weiter.
Lisette Oropesa als sehr lyrische Maria
Zwei britische Königinnen im Kampf um die politische Vorherrschaft und denselben Mann, nämlich Leicester: Bessere Zutaten für einen Thriller gibt es kaum. Doch aus dem lässt diese Aufführung die Luft raus – was nicht per se schlecht sein muss. Nehmen wir Dirigent Antonello Manacorda. Der hat wenig Lust, die Donizetti-Rattermaschine anzuwerfen. Dafür liebt er die feine, weiche, geschmackvolle Agogik. Die Belcanto-Formeln werden belebt. Sehr kantabel gedacht ist das und nie überreizt. Akzente und Verdichtungen wirken dadurch umso stärker Manacorda lässt den Wiener Philharmonikern Raum, was ein psychologischer Trick sein kann: Die Salzburger Platzhirschen folgen dem Debütanten.
Auch Lisette Oropesa in der Titelrolle ist keine, die ihre Kunst als Triumph ausspielt. Funkensprühenden Zierrat gibt es bei ihr nicht, auch daher hinkt der Vergleich mit großen Belcanto-Vorgängerinnen. Von Melancholie und Trauer ist diese sehr lyrische Stimme umflort. Ihr Gesang ist aus reicher Mittellage entwickelt, alles ist geschmackvoll und stilsicher phrasiert, nur im Stratosphärenbereich (Premierenstress?) wird es flach. Oropesa, derzeit führend in diesem Fach, stellt ihre Partie nicht aus, sondern empfindet sie. Eine Spur intensiver, offensiver geht die Kollegin vor. Kate Lindsey verfügt als Elisabetta über einen energiereichen Mezzosopran. Das Blaublut-Biest, die Intrigantin nimmt man ihr ab, vokal ist dagegen viel Kontrolle und wie abgefangene Dramatik zu hören, als ob da eine Sängerin im letzten Moment die Handbremse anzieht.
Erotischer Kitsch und Eifersucht
Bekhzod Davronov (Leicester) kann sich mit hellem Tenorstrahl mühelos Raum und Gehör verschaffen, doch fällt seine Figur hier fast durchs Raster. Dafür singt sich Aleksei Kulagin mit Granit-Bass in den Vordergrund und bringt das Kräftedreieck mit dieser Präsenz etwas durcheinander. Die Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor ist nur antikes Kommentarkollektiv und teils weit oben in Bühnenlogen postiert. Koordinationsarbeit verlangt das. Szenische Wirkung war offenkundig wichtiger als musikalische Erfordernis – wie so vieles in dieser Aufführung.
Für Elisabettas Hass hat Ulrich Rasche eine simple Erklärung. Immer wieder sieht man auf den Videos von Florian Hertz, wie Männer Maria befingern. Später wird sie von halbnackten Jünglingen dem Himmel entgegengestreckt. Auch Elisabetta leistet sich eine Leibwache in transparenten Shirts (Kostüme: Sara Schwartz). Ein Erotik-Kitsch, der die politische Dimension, auch die dynastische Rivalität der Königinnen ausblendet. Alles also nur Eifersucht? Wobei Rasche Charakterisierung ohnehin nicht über Psychogramme, sondern über Situatives, über Bildwirkungen und Schauwerte sucht. Bei Stücken mit antiker Wucht mag das funktionieren, hier wird alles formalisiert, abstrahiert und ästhetisiert. Wer die Produktion erleben will, muss sich warm anziehen: Dieser Donizetti lässt frösteln.