Alles im Leben von Silvia K. war geordnet – Dann gerät ihr Leben aus den Fugen und sie verliert ihre Wohnung
Alles im Leben von Silvia K. war bestens geordnet. Dann aber brach fast gleichzeitig alles zusammen, was ihr Stabilität verliehen hatte.
Bad Tölz-Wolfratshausen – Wohnsituation, Familienleben, Partnerschaft, Job, Finanzen – mit einem Mal war nichts mehr, wie es war. Heute versucht Silvia K., die Kontrolle über ihr Leben zurückzugewinnen und sich etwas Neues aufzubauen. Sie ist zuversichtlich, dass es ihr mit etwas Starthilfe auch gelingt.
„Lernen ist für mich leben“: Silvia K. zog aus Norddeutschland in den Landkreis Bad Tölz-Wolfratshausen
„Lernen ist für mich leben“: So beschreibt Silvia K. ihre Lebenseinstellung. Deswegen bildete sich die Akademikerin auch ständig fort, ließ sich etwa zur Tierheilpraktikerin ausbilden, arbeitete im sozialen Bereich mit Kindern und Jugendlichen, gab Bewerbungstrainings und mehr. Sie war immer eine, die andere unterstützte. Das sollte sich ins Gegenteil verkehren.
Der Liebe wegen zog Silvia K. vor einigen Jahren in den Landkreis. In ihrer Heimat in Norddeutschland sei sie sozial „gut integriert“ gewesen, sagt sie. „Ich hatte viele Kontakte.“ In Bayern allerdings fiel es ihr eher schwer, Beziehungen aufzubauen – die sie aber gebraucht hätte, um hier eine eigene Praxis in Schwung zu bringen. Corona erschwerte es bald zusätzlich, Menschen kennenzulernen. Nicht besser erging es Silvia K.s Tochter, die wegen der Kontaktbeschränkungen „keine Chance hatte, andere Jugendliche zu treffen“, wie die Mutter sagt.
„Ich bin zusammengeklappt“: Tochter verlässt Silvia K.
Wie ein Kartenhaus fiel bald alles zusammen. Sie hatte einen Job als Buchhalterin in einem Maschinenbaubetrieb. Die Firma geriet in der Corona-Krise in Schieflage, führte Kurzarbeit ein, wurde schließlich verkauft. Und Silvia K. hatte mit den neuen Chefs große Probleme.
Zur gleichen Zeit erkrankte ihr Partner schwer. Das bedeutete auch, dass dem Selbstständigen die Einnahmen wegbrachen. Obendrein beschloss Silvia K.s Tochter, heute knapp 18, Bayern zu verlassen und zu ihrem Vater nach Norddeutschland zu ziehen. Von ihr getrennt zu sein, war für Silvia K. „kaum auszuhalten“, sagt sie. „Ich bin zusammengeklappt.“
Alles kam auf einmal, es war einfach zu viel.
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Als sei all das nicht genug, bekamen sie und ihr Partner auch noch vom Vermieter eine Eigenbedarfskündigung für ihre Wohnung. „Alles kam auf einmal, es war einfach zu viel.“ Das mental ohnehin angeschlagene Paar hatte laut Silvia K.s Schilderung „keine Kraft“, sich gegen die Kündigung zu wehren. Auch nicht, um auf dem umkämpften Mietmark etwas Neues zu ergattern – zumal Silvia K.s Partner nun ein barrierefreies Zuhause brauchte.
Unter all diesen Belastungen zerbrach schlussendlich die Beziehung. „Ich war überfordert, es war alles viel zu viel, und ich musste die Notbremse ziehen“, sagt Silvia K. Wer selbst nicht stabil sei, sei auch nicht in der Lage, einen anderen zu stützen.
Als Wohnung diente ihr nun zeitweise ein Wohnwagen. „Im Winter war das lausekalt“, sagt sie. All ihr Hab und Gut packte Silvia K. in einen Bauwagen, den sie bis heute in einer Scheune in Norddeutschland stehen hat. „Ich reise mit kleinem Gepäck“, erklärt sie mit einem Lächeln.
Silvia K. hofft, beruflich wieder an Boden zu gewinnen – und eine Wohnung zu finden
Silvia K. suchte Hilfe bei einem Therapeuten – hatte dabei aber nach eigener Schilderung ausgesprochenes Pech. Der Ansatz der Therapie sei für sie völlig kontraproduktiv gewesen. Psychisch geriet sie immer tiefer in eine Abwärtsspirale. Arbeitsfähig war sie nicht mehr, verbrachte schließlich vier Monate in einer psychosomatischen Klinik. „Ganz schlimm war für mich, dass ich nicht mehr auf meinen eigenen Kopf zurückgreifen konnte und dass ich vollständig die Kontrolle verloren habe.“
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In der Klinik habe sie viel Unterstützung bekommen. Doch zum Arbeiten fühlte sie sich auch danach weiter nicht in der Lage. Die Wohnsituation ist ebenfalls nach wie vor prekär. Silvia K. bleibt vorerst nichts anderes, als bei ihrem Ex-Partner auf dem Sofa zu schlafen. Wenn sie schläft. „Ich liege noch immer oft die ganze Nacht wach.“
Das neue Jahr soll vieles ändern. Silvia K. macht eine Ausbildung zur Traumatherapeutin. Nach dem Abschluss hofft sie, beruflich wieder Boden zu gewinnen. Und eine neue Wohnung zu finden. „Ich wünsche mir, dass ich wieder in meine Kraft komme, gut schlafen kann und mein Leben meistere.“ (ast)
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