„Feindliche Kräfte“: Wie China unter Xi Jinping den Westen bekämpft

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Xi-Jinping-Propaganda in einem Militärmuseum in Peking: Chinas Staatschef will das Land unabhängiger vom Westen machen. © Greg Baker/AFP

Für Chinas Staatschef Xi Jinping ist der Westen ein gefährlicher Gegner. USA und Europa sind für ihn vor allem Mittel zum Zweck, China reich und stark zu machen.

Wenn Chinas Propagandaapparat eine Botschaft unters Volk bringen will, gräbt er gerne alte Reden von Staats- und Parteichef Xi Jinping aus, die irgendwie zum Zeitgeist passen. Nach dem Motto: Was Xi schon vor Jahren gesagt hat, gilt heute umso mehr. Anfang September war es wieder so weit, die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua hievte eine Rede von Xi aus dem Jahr 2018 auf ihre Homepage. Sperriger Titel: „Heranbildung von sozialistischen Erbauern und Nachfolgern mit einer umfassenden Entwicklung von Moral, Intelligenz, Fitness und Ästhetik“.

Chinas Bildungssystem dürfe keine Menschen hervorbringen, die zwar aussehen wie Chinesen, aber „keine chinesischen Herzen, keine chinesischen Gefühle und keinen chinesischen Geschmack haben“, erklärte Xi in der Rede. „Feindliche Kräfte“ arbeiteten hart daran, Chinas Jugend zu „verwestlichen“, die Kommunistische Partei müsse deshalb „wachsam sein“.

Was klingt wie das ewige Lamento über eine Jugend, die angeblich nichts taugt, passt zur Stimmung, die seit einigen Jahren in China herrscht. „Xi Jinping will die Menschen, vor allem die jüngere Generation, gegen vermeintlich feindliche Ideen aus dem Westen rüsten“, sagt Katja Drinhausen von der Berliner China-Denkfabrik Merics. Chinas Staats- und Parteichef glaube, dass westliche Ideen wie Presse- oder Meinungsfreiheit das Zeug hätten, „das Land von innen heraus zu spalten“.

Xi, so Drinhausen, sei getrieben von der Angst, die Kommunistische Partei könnte eines Tages von einer „Farbenrevolution“ hinweggefegt werden. Also aus Sicht der Partei von einer Bewegung, die von ominösen ausländischen Mächten gesteuert wird. „Er ist überzeugt davon, dass der Westen es darauf angelegt hat, China einzudämmen und letztendlich einen Systemwechsel herbeizuführen.“

75 Jahre nach der Staatsgründung schottet sich China immer weiter ab

Schon kurz nach seinem Amtsantritt 2012 ließ Xi Jinping unter Parteikadern ein Geheimpapier verteilen, das sogenannte „Dokument Nummer 9“. In dem später geleakten Papier warnte er vor sieben vermeintlichen Gefahren aus dem Westen, vor denen China sich hüten müsse, etwa der Verbreitung demokratischer Werte oder der Förderung der Zivilgesellschaft. „Das Dokument Nummer 9 war eine Kampfansage an die Gefahren der Verwestlichung“, sagt Drinhausen.

Also schottet sich China, 75 Jahre nach Gründung der Volksrepublik, zunehmend ab. Schulbücher warnen, die vermeintlichen Angriffe aus dem Westen kämen unter dem Deckmantel von „Populärkultur wie Pop- und Rockmusik“ daher, Homosexualität wird als schädlicher West-Import diskreditiert. Und in chinesischen Kinos laufen immer weniger Filme aus Hollywood: Nach einer Auswertung der New York Times kamen in China noch 2011 sechs der zehn erfolgreichsten Kinofilme aus der US-Traumfabrik, im vergangenen Jahr kein einziger. Anfang 2024 trat zudem ein „Gesetz zur patriotischen Erziehung“ in Kraft, das dem Volk die Liebe zum Land und zur Kommunistischen Partei vorschreibt. Auch die politischen Ideen von Staatschef Xi werden an Chinas Schulen gelehrt.

Die chinesischen Medien haben sich der staatlich verordneten Kampagne gegen den Westen angeschlossen. „Sie zeichnen das Bild von einer Welt, in der China und Russland die Retter der Weltgemeinschaft sind, während der Westen Kriege nährt und selbst in interner Orientierungslosigkeit versinkt. Insbesondere die USA werden mit Gewalt und Drogen assoziiert“, sagt Drinhausen. „Gerade in Zeiten, in denen es wirtschaftlich nicht so gut läuft, verfängt dieses Wir-gegen-die-Welt-Narrativ.“ Tatsächlich steckt Chinas Wirtschaft in der Krise. Das Wachstum hat sich verlangsamt, die Arbeitslosigkeit ist hoch, der Immobiliensektor ist ins Taumeln geraten. „Es ist bezeichnend, dass China seit Mitte letzten Jahres einen viel stärkeren Fokus auf patriotische Erziehung, auf nationale Identität und die Konfrontation mit dem Westen legt“, sagt Drinhausen.

Statt auf jene Weltoffenheit, die Chinas beispiellosen wirtschaftlichen Aufstieg ermöglicht hat, setzt das Land unter Xi auf Nationalismus. Nach außen sucht das Land die Nähe zu Ländern des Globalen Südens, aber auch zu anderen Gegnern des Westens wie Russland und Iran. Dass sich China und der Westen während der Corona-Pandemie entfremdet haben, spielt Xi dabei in die Hände.

Xi Jinpings „Chinesischer Traum“: ein reiches, starkes Land

Lautete das Versprechen der Kommunistischen Partei über Jahrzehnte, für stetes Wachstum zu sorgen, gilt heute vor allem: Die Partei führt China zu nie dagewesener Macht. Und die kommt aus China selbst – einem Land mit „einer Million Jahre Menschheitsgeschichte, 10.000 Jahren Kulturgeschichte und 5000 Jahren Zivilisationsgeschichte“, wie Xi behauptet. Bis 2049 soll China reich und stark sein, so sieht es Xis „Chinesischer Traum“ vor. Einziger Garant dafür sei die Kommunistische Partei. „Um die Modernisierung im chinesischen Stil voranzutreiben, müssen wir an der Führung der Kommunistischen Partei festhalten“, forderte Xi anlässlich des 75. Jahrestags der Staatsgründung am 1. Oktober.

Der Westen ist für Xi Jinping dabei vor allem Mittel zum Zweck. Denn ganz ohne Wirtschaftswachstum geht es nicht, und dazu braucht China weiterhin das Ausland. Laut einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) lag der Anteil des Westens an chinesischen Warenimporten 2021 bei 53 Prozent. „Der westliche Anteil ist bei vielen wichtigen Schlüsselprodukten wie Maschinen, hochspezialisierten Instrumenten und Halbleitern auf hohem oder sehr hohem Niveau. Das wichtigste chinesische Importprodukt – Halbleiter – wird zu 68 Prozent aus dem Westen und Taiwan eingeführt“, heißt es in der Studie. Zwar sei China in einigen wenigen Bereichen technologisch führend oder zumindest den USA ebenbürtig, meist hinke es aber hinterher. Das gelte vor allem für die Bereiche Luftfahrt und Auto, Maschinenbau, Medizin und Teile der Informationstechnologie, so die Studienautoren.

„China will wirtschaftlich und technologisch unabhängiger vom Westen werden“, sagt die Ökonomin Wan-Hsin Liu vom Kiel Institut für Weltwirtschaft. „Die Regierung arbeitet mit verschiedenen politischen Maßnahmen daran, die Selbstständigkeit Chinas in Wissenschaft und Technologie zu verbessern, sein Industriesystem umfassend zu modernisieren und seine Selbstversorgungssicherheit in möglichsten vielen Bereichen langfristig zu stärken“, so Liu. „Gleichzeitig will China den westlichen Markt weiter mit chinesischen Produkten bedienen.“

China will den Westen wirtschaftlich abhängig machen

Das bedeutet: Während China versucht, wirtschaftlich vom Westen loszukommen, will es das Ausland noch abhängiger von seinen eigenen Gütern machen. „China verfolgt hier eine klare Strategie“, sagt Liu. „Ideologie und nationale Sicherheit gehen vor.“ Allerdings gehe das „auch auf Kosten von wirtschaftlicher Effizienz“. Denn China gerate selbst in eine Abhängigkeit: In Bereichen, die Peking stark gefördert hat und in denen Überkapazitäten entstanden sind, ist die Volksrepublik auf die Nachfrage aus dem Ausland angewiesen. Man sehe das derzeit, so Liu, etwa bei Solarmodulen und E-Autos, die in großem Stil westliche Märkte fluten.

Ohne Abnehmer in Europa oder den USA würden viele chinesische Hersteller wohl pleitegehen. Dafür nimmt China die Konfrontation mit den USA und der EU in Kauf, die der Produktschwemme aus der Volksrepublik mit Ausgleichszöllen Herr werden wollen. Xi ficht das allerdings nicht an. „Die Wiedergeburt Chinas“, sagte er in seiner Rede zum 1. Oktober, „ist ein historischer Prozess, der nicht rückgängig gemacht werden kann.“ Man sollte das als Drohung verstehen.

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