Nato-Panzerung im Visier: Beute-Leopard steuert Russland an
Im Rennen um technologische Überlegenheit könnte Russland aufholen. Der erbeutete Leopard 2 A6 wird genau untersucht – die Panzerung steht im Mittelpunkt.
Moskau – „Ein Schwerpunkt der Aufklärungsversuche ausländischer Nachrichtendienste liegt auf den Fähigkeiten und den (Waffen)Systemen der Bundeswehr – insbesondere mit Blick auf die Landes- und Bündnisverteidigung“, schreibt die Bundeswehr auf ihrer Homepage über den jüngsten Bericht des Militärischen Abschirmdienstes (MAD). Russlands Augen richten sich dabei verstärkt auf westliche Militärtechnik, die vor Ort im Rahmen des Ukraine-Krieges eingesetzt wird. Aktuell scheint Wladimir Putins Augenmerk weiter auf dem drei Millionen Euro teuren Nato-Standardpanzer Leopard 2 zu ruhen. Die nächste Version des A6 soll ihm jetzt in die Hände gefallen sein, und dort interessiert ihn womöglich brennend der Panzerstahl, wie das Magazin Military Watch berichtet.
Demnach existiere Filmmaterial, wonach mindestens ein von Deutschland gelieferter Kampfpanzer und von den russischen Streitkräften erbeuteter Leopard 2A6, zur Analyse an Russlands wichtigste Panzerproduktionsanlage Uralvagonzavod geschickt worden sei. Laut Military Watch sollen russische Medien berichtet haben, „dass Spezialisten die Komponenten, Systeme und Subsysteme des Panzers analysieren, um Erkenntnisse über seine Fähigkeiten zu gewinnen, unter anderem um ‚das tatsächliche militärtechnische Niveau verschiedener Systeme und des erbeuteten Fahrzeugs selbst zu bewerten‘“, wie das Magazin schreibt.
Leopard als Beute-Stück: Russland vorgeblich am Stahl interessiert
Die Panzerung eines Kampffahrzeugs sei an sich ein faszinierendes Thema, sagt James Anderton. Aber der vielleicht wichtigste Unterschied zwischen den verschiedenen Kampfpanzern verortet der Redakteur des Fachmagazins Engineering in den Informationssystemen – in den defensiven elektronischen Maßnahmen, beispielsweise gegen Raketenleitsysteme, und in deren Verknüpfung mit eigenen Leitstellen für alle wichtigen Informationen, um Freund und Feind auf dem Gefechtsfeld auseinanderzuhalten und gegen Gefahren schnellstmöglich wirken zu können, wie Anderton zusammenfasst.
Neben Kommunikationstechnik und Optiken bleibe der Panzerstahl dennoch spannend, weil seine Rolle von einer passiven mehr und mehr in eine aktive übergeht. Zum Teil schießen Panzer kleine Projektile ab, um angreifenden Granaten die kinetische Energie zu nehmen, bevor diese die eigentliche Hülle deformieren kann. Oder sie nutzen vorgelagerte Panzerungen, um das Chassis quasi doppelt zu schützen – dieser Stahl ist wohl das, was Russland am Beute-Stück interessiert.
„Es ist daher wichtig, die russische Panzerung in den Kontext zu stellen und zu verstehen, dass sie auf technischer Ebene wahrscheinlich leistungsfähiger ist, als der Krieg in der Ukraine vermuten lässt.“
„Der Leopard 2A6 ist mit Verbundpanzerung der dritten Generation ausgestattet, die hochharten Stahl, Wolfram und Kunststofffüllstoffe mit Keramikkomponenten enthält. Diese modulare Panzerung bietet verbesserten Schutz gegen Panzerabwehrwaffen, indem sie die kinetische Energie eingehender Geschosse effektiv ableitet, was die Verteidigungsfähigkeit russischer Panzer erheblich stärken könnte“, schreibt das Magazin Army Recognition über das mögliche Interesse Russlands an speziell diesen Waffen.

Obwohl neuere russische Panzermodelle wie der T-80 und der T-90 ähnliche Verbundpanzerungstechnologien und reaktive Panzerung nutzten, die zwar gegen Hohlladungen und Panzerabwehrraketen wirksam sind, könnte der Leopard 2A6 insofern dennoch technologische Vorteile versprechen. Moskau liegt im Rennen um die Analyse von auf dem Schlachtfeld erbeuteter Ausrüstung vorn, hatte bereits Mitte des vergangenen Jahres Intelligence Online gemutmaßt – vor allem aufgrund des offenen Umgangs, den Russland mit der Spionage zu pflegen scheint.
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Neue Kniff von Wladimir Putin: West-Waffen erbeuten und „zurückentwickeln“
Allerdings spionierten die westlichen Mächte ebenso – „im industriellen Ausmaß“, wie das Magazin schreibt. Davon abgesehen ist Russland sehr viel stärker auf westliche Technologie angewiesen als umgekehrt. Bereits vor dem Ukraine-Krieg war Russland knapp an modernen Halbleitern, Elektronikkomponenten und Werkzeugmaschinen. Die westlichen Sanktionen und der horrende Verbrauch des Aggressortstaates in diesem Waffengang kommen erschwerend dazu.
Wladimir Putin bezeichnet den T-90 wiederholt und scheinbar fest überzeugt als „den besten Panzer der Welt“, hat aber laut Angaben des Magazins Newsweek auch öffentlich die Qualität westlicher Rüstungsgüter hervorgehoben. In dem Zusammenhang habe er angekündigt, erbeutete westliche Kampfmittel „zurückzuentwickeln“, wie er im staatlichen Fernsehsender Russia-1 gesagt haben soll. „Wenn es eine Möglichkeit gibt, nach innen zu schauen und zu sehen, ob es etwas gibt, das auf uns anwendbar ist, warum nicht?“, habe Putin gesagt.
Russlands Diktator ist neugierig auf alles, was ihm in die Finger gerät, und offenbar lässt er die Welt das auch mit Nachdruck wissen. Im August vergangenen Jahres hatte er einen schwedischen Schützenpanzer CV-90 unbeschädigt erbeutet. Propaganda-Videos zufolge inspizierte der damalige russische Verteidigungsminister Sergej Schoigu persönlich die Ausrüstung. Der estnische Rundfunk EER hatte dann die Befürchtung geäußert, das bedeute vielleicht sogar eine Schwächung des estnischen Militärs, weil auch dort das Fahrzeug eingesetzt wird.
Verluste an Panzern: nachrichtendienstlich zu verschmerzen
„Selbst bei Kampffahrzeugen kann die Innenausstattung von Land zu Land erheblich variieren“, sagte Vladimir Kolotõgin gegenüber dem estnischen Rundfunk. „Die Esten verwenden Geräte eines bestimmten Typs. Jede Nation konstruiert die Maschine auf ihre eigene Art. Eine Maschine kann nicht genau die gleichen grundlegenden Ergebnisse erzielen wie eine andere“, erläuterte der Stabschef eines Infanteriebataillons, das den CV-90 einsetzt.
Seinen nachrichtendienstlichen Quellen zufolge wisse der Gegner schon aus dessen vorheriger Feindaufklärung eine ganze Menge über die westlichen militärischen Systeme – der Verlust sei also nachrichtendienstlich zu verschmerzen. „Wenn wir das gesamte russische Material analysieren, das aus öffentlichen Quellen in unseren Besitz gelangt ist, stellen wir fest, dass sie bereits eine große Zahl an Hinweisen angesammelt haben. Allein auf Grundlage dieses CV-90 würde ich nicht sagen, dass es irgendwelche grundlegend neuen Erkenntnisse gibt“, sagte Kolotõgin. Darüber hinaus würden die Russen möglicherweise schnell lernen, aber sie bräuchten sicher Jahre, um die Erkenntnisse umzusetzen.
Erbeuteter Bradley: angeblich kein Vergleich zum Moskauer Schützenpanzer BMP-3
Allerdings scheinen ohnehin die Fertigungsvorhaben unterschiedlich zu sein: Während der Westen Wert auf Qualität legt, hat Russland bisher immer schiere Masse produziert – mit einem vermeintlichen Qualitätsprodukt wie dem T-14-Armata haben sie ihre Schwierigkeiten, weil wohl auch die Elektronik auf westliche Halbleiter angewiesen ist und Russland insofern diesen Mangel kompensieren muss.
Im August hatten die Russen bereits US-amerikanische Bradley-Schützenpanzer erobert, wie das Magazin Defense Post berichtet hatte. Gegenüber russischen Medien sollen russische Ingenieure aber propagiert haben, dass der Bradley keinen Vergleich zum Moskauer Schützenpanzer BMP-3 darstelle.
Roman Chromow zeigte sich gegenüber der Öffentlichkeit als vom Fahrzeug wenig beeindruckt. Laut Russlands stellvertretendem Exekutivdirektor für staatliche Verteidigungsbeschaffung und militärisch-technische Zusammenarbeit seien die Fahrzeuge US-amerikanischer Produktion den russischen Schützenpanzern in der Feuerkraft, der Mobilität, Wartung und dem Bedienkomfort „deutlich unterlegen“, wie ihn Defense Post wiedergab. Die russischen Ingenieure sollen kritisiert haben, „dass elektronische Komponenten eine Schwachstelle der amerikanischen Schützenpanzers seien und ein Ausfall dazu führen könne, dass die Panzerfahrzeuge ihre Feuerkraft völlig verlören.“
Als Studienobjekt ungeeignet: Abrams wohl kein Panzer, wie ihn Russland bauen würde
Angesichts des Desasters mit dem neuen Standard-Schützenpanzer Puma der Bundeswehr eine möglicherweise zutreffende Kritik. Im Gegensatz zu den russischen Pendants mag das Fahrzeug auf dem Papier ein Champion sein, hat aber als Waffensystem noch kein Gefecht gesehen. Und wenn das Fahrzeug in ein Gefecht marschieren würde, warteten dort sicher Bedrohungen, die seinen Ingenieuren während seiner Entwicklung keines Gedankens wert gewesen sein mochten.
Auch der US-amerikanische M1A1-Abrams wäre wohl ein Kampfpanzer, wie ihn Russland nie bauen würde – obwohl der in fast allen Belangen russischer Technik überlegen wäre. Auch seine Erfolge gegen russische T-72-Panzer im Irak-Krieg sind weniger im Duell entstanden, als vielmehr auch der US-Luftüberlegenheit zu verdanken gewesen. Insofern bleibt fraglich, ob die in der Ukraine erbeuteten Leopards eher einen Prestige-, denn einen Erkenntnisgewinn versprechen, was Sam Cranny-Evans und Sidharth Kaushal aufwerfen.
Oder wie die Analysten des britischen Thinktank Royal Services Institute (RUSI) formulieren bezüglich der Leopard-Panzerung: „Es ist daher wichtig, die russische Panzerung in den Kontext zu stellen und zu verstehen, dass sie auf technischer Ebene wahrscheinlich leistungsfähiger ist, als der Krieg in der Ukraine vermuten lässt.“