Wo früher Soldaten für den Ernstfall trainierten, steht heute in Kiel neuerdings ein Baumhaus. Gebaut haben es diese Woche Aktivisten der TKKG, was für „TurboKlimaKampfGruppe Kiel“ steht. So lustig der Name, so ernst ihr Anliegen. Das ehemalige Gelände des Marinefliegergeschwader 5 soll wie geplant in Wohnraum umgewandelt werden.
Seit 1958 waren die Flieger im Kieler Stadtteil Holtenau stationiert, 2012 wurde das Areal im Zuge der Abrüstung der Bundeswehr geräumt. Erst vergangenes Jahr hatte die Stadt Kiel ein Zukunftskonzept verabschiedet, das unter anderem ein neues Wohnquartier mit 2250 Einheiten, Parks sowie ein Startup-Zentrum vorsah. Doch jetzt will die Bundeswehr das Gelände zurückkaufen und wieder militärisch nutzen. Die Stadt zeigt sich verhandlungsbereit, Anfang 2026 soll eine Entscheidung gefällt werden. Das passt vielen Anwohnern nicht.
Größte konventionelle Armee Europas
Der Streit um das Gelände in Kiel-Holtenau steht dabei exemplarisch für etwas, was in den kommenden Jahren häufiger in Deutschland passieren dürfte. Die Milliardensummen, die die Bundesregierung künftig in die Verteidigung investieren will, fließen schließlich größtenteils in physische Dinge wie Drohnen, Kampfflugzeuge, Schiffe, Panzer, Munition und alles was nötig ist, um diese Dinge zu warten, zu transportieren und zu reparieren.
Solche Gerätschaften müssen genauso irgendwo untergebracht werden wie die zehntausenden neuen Rekruten, die in den kommenden Jahren ihren Dienst antreten sollen. Von allem wird es eine Menge geben, schließlich soll der Verteidigungsetat auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandproduktes anwachsen – das wären nach heutigem Stand rund 150 Milliarden Euro pro Jahr. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) plant, aus der Bundeswehr die größte konventionelle Armee Europas zu machen.
200 Liegenschaften dürfen nicht mehr umgewandelt werden
Doch flächenmäßig hat die Bundeswehr seit dem Ende des Kalten Krieges und noch einmal verstärkt nach der Aussetzung der Wehrpflicht 2011 abgebaut. Klar, für immer weniger Material und Personal musste man auch nicht dieselben Flächen vor und in Schuss halten. So wurden viele der Liegenschaften der Bundeswehr verkauft und wie es offiziell heißt, der zivilen Nutzung überführt. Auf dem ehemaligen Gelände der Lützow-Kaserne im kleinen Ort Schanewede in Niedersachsen entstanden seit 2017 zum Beispiel 500 Wohnungen, ein Seniorenheim, Gewerbeflächen und Parks. Die Wilhelm‑von‑Nassau‑Kaserne in Diez an der Lahn in Rheinland-Pfalz ist heute Sozialwohnungen, Schulen, Kindergärten und Behörden gewichen, der Ort Külsheim in Baden-Württemberg hat die ehemalige Prinz‑Eugen‑Kaserne in einen Gewerbepark umgewandelt.
Von einst rund 400 Liegenschaften der Bundeswehr wurden so über die Jahre rund 150 umgewandelt. Die jeweiligen Städte und Anwohner profitierten davon. Doch damit ist jetzt Schluss. Das Bundesverteidigungsministerium hat die Umwandlungspläne für 187 Liegenschaften gestoppt. Sie werden jetzt einer "strategischen Liegenschaftsreserve" zusammengefasst. Dazu zählen auch 13 Flächen, die die Bundeswehr noch aktiv betreibt, deren Ende aber schon beschlossen war. Sie bleiben jetzt im Besitz der Armee. Nicht immer handelt es sich dabei um Kasernen. Auch Teile von Flughäfen, etwa in Tegel in Berlin und in Fürstenfeldbruck bei München bleiben jetzt im militärischen Besitz.
Platz für 80.000 Menschen wird benötigt
Dort, wo die Bundeswehr aufrüstet, ist das aber mit Nachteilen für die Bürger und Städte verbunden. Zwar sollen in Fällen wie in Kiel, wo schon Pläne für den Umbau des Geländes bestehen, Kompromisse zwischen Verteidigung und Stadt gefunden werden, doch bundesweit bedeutet der Ausbau der Bundeswehr eben auch, dass Flächen nicht für die zivile Nutzung zur Verfügung stehen.
Tausende Wohnungen, die so in den kommenden Jahren hätten entstehen können, werden deswegen nicht gebaut. „Das ist für die betroffenen Kommunen eine riesige Herausforderung“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Christian Schurchardt, gegenüber der Mediengruppe Bayern – gerade dort, wo Pläne schon so weit fortgeschritten waren, dass die Gemeinden signifikante Geldsummen bereits ausgegeben oder Verträge mit Baufirmen unterschrieben hatten. In Kiel etwa hat die Stadt für den Kauf des Geländes und die Planungen des Zukunftsquartiers bereits mehr als 30 Millionen Euro ausgegeben. Das Geld fehlt jetzt an anderer Stelle, wenn die Planungen über Bord geworfen werden müssten. Zudem hätte sich mit 2250 neuen Wohnungen auf der Mietmarkt in Kiel ein wenig entspannt. Von 2019 bis 2024 stiegen die Mieten hier durchschnittlich um 25 Prozent – stärker als im bundesweiten Durchschnitt, selbst unter Großstädten.
Auswirkungen auf Immobilienpreise und Mieten
Welchen Einfluss genau die Planungen der Bundeswehr auf Immobilienpreise und Mieten haben werden, lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt kaum vorhersagen. Schließlich ist noch nicht klar, wo und wie genau das Verteidigungsministerium Liegenschaften aufkaufen und/oder ausbauen wird. Vieles wird auch an Orten geschehen, die für Wohnungen sowieso wenig geeignet sind. Gerade für Munitionslager etwa müssen aus Sicherheitsgründen Standorte gefunden werden, die weit weg von Wohnvierteln liegen. Wo Häfen, Flughäfen, Bahnstrecken oder Logistik-Terminals ausgebaut werden, würden wahrscheinlich auch ohne Engagement der Bundeswehr keine Wohnungen entstehen.
Allerdings plant das Ministerium bis 2031 den Bau von 40.000 neuen Plätzen für Rekruten. Die brauchen nicht nur Betten, Küchen und Bäder, sondern auch Platz für die Ausbildung und zum Training. Hinzu kommen Einrichtungen für junge Menschen, die über die neue Wehrpflicht jedes Jahr eingezogen werden könnten. Insgesamt könnte so Platz für 80.000 zusätzliche Personen notwendig sein.
Fluglärm wird zum Problem
Aber es muss nicht nur um Immobilienpreise oder das Angebot derer gehen, damit Sie den Ausbau der Bundeswehr hautnah spüren. In Büchel in Rheinland-Pfalz sollen die neuen Kampfflieger vom Typ F-35 stationiert werden. Die werden ihr Leben nicht nur im Hangar verbringen, sondern auch regelmäßig geflogen werden. Und damit beginnen die Probleme: „Ein Kampfflugzeug im Flüsterton wird es nicht geben“, sagt Generalleutnant Ingo Gerhartz schon 2023 beim Neujahrsempfang der örtlichen CDU.
Was das bedeutet, zeigt ein Blick nach Norwegen. Auf der Halbinsel Ǿrland kaufte das Militär 150 Häuser in der Einflugschneise auf, nachdem dort F-35-Flieger stationiert wurden. Sie wurden abgerissen, niemand wollte mehr dort wohnen. Bei bis zu 200 Bauernhöfen wurden die Bewohner ebenfalls umgesiedelt oder der Schallschutz der Häuser massiv verbessert. Auch in den Niederlanden und den USA gab es viele Beschwerden über den Fluglärm der neuen Kampfflieger. Messungen aus der Schweiz, wo es ähnliche Sorgen wie in Deutschland gibt, zeigen, dass der Lärm um bis zu fünf Dezibel höher liegt als bei bisherigen Fliegern. Das klingt wenig, Sie müssen aber bedenken, dass die Dezibel-Skala eine logarithmische Skala ist. Eine Erhöhung um fünf Dezibel entspricht deswegen bereits mehr als einer Verdopplung des Schalldrucks. Das Gehör empfindet das etwa als 50 Prozent höhere Lautstärke.
Bürgerbeteiligung soll geschwächt werden
Die Eifel ist dabei nicht die einzige Region in Deutschland, in der sich Bürger Sorgen um die Lebensqualität machen. Auch rund um den Fliegerhorst Holzdorf nahe Schönewalde in Brandenburg und dem Fliegerhorst Nordholz in Niedersachsen gibt es Beschwerden und Bürger-Initiativen. Der Protest weitet sich auch auf Straßen aus. In Schleswig-Holstein etwa wird der Bau der Nordseeautobahn A20 neuerdings auch militärisch begründet. Die Schnellstraße sei, so Ministerpräsident Daniel Günther (CDU), notwendig. „Allein aus sicherheitspolitischen Aspekten können wir überhaupt nicht mehr mit dem Bau warten“, sagte er im März vor der IHK. Geplant ist das Projekt seit den 1990er Jahren, bisher haben Naturschutzverbände es erfolgreich behindert. Nur für 2 von 18 Bauabschnitten gibt es bisher eine Genehmigung.
Solche Verzögerungen möchte die Bundesregierung in Zukunft vermeiden. Im Sommer hatte sie ein neues Beschaffungsgesetz verabschiedet. Darin ist auch der Abbau von viel Bürokratie vorgesehen, damit neues Gerät schneller genehmigt und angeschafft werden kann. Doch das Beispiel zeigt, dass Bürokratieabbau nicht immer vorteilhaft ist. So dürfen etwa Flugplätze mit militärischer Nutzung künftig ohne Bürgerbeteiligung gebaut oder ausgebaut werden. Es obliegt der Bundeswehr, ob sie Anwohner davon vorher wie genau unterrichtet. Auch in anderen Bereich wurden die Möglichkeiten von Bürgerbeteiligungen eingeschränkt, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.