Russlands „Pearl Harbor“: Putin-Blogger sehen „Grund, um Atomangriff zu starten“

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Mit einer Geheimoperation trifft die Ukraine Russlands Luftwaffe schwer. Moskaus Militärblogger schäumen vor Wut und sehen die Zeit für nukleare Waffen gekommen.

Moskau – Istanbul ist einmal der Ort der Hoffnung auf einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg. Wie vor einigen Tagen sollen am Bosporus erneut Delegationen Russlands und seines überfallenen Nachbarlandes zusammentreffen. Zumindest offiziell lautet das Ziel: einen Weg finden, um das Blutvergießen zu beenden und Frieden zu für beide Seiten annehmbaren Konditionen zu schließen.

Die Zweifel der Welt, wie ehrlich diese Bemühungen wirklich sind, begleiten die Vertreter Moskaus und Kiews jedoch an den Verhandlungstisch. Und sie sind womöglich größer als jemals zuvor. Nachdem Kreml-Chef Wladimir Putin die Ukraine mehrere Tage und Nächte lang mit den umfangreichsten Luftattacken seit Beginn der Invasion überziehen ließ, schlugen die Verteidiger um den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj nun heftig zurück – mit den aufsehenerregenden Drohnen-Angriffen auf Militärbasen tief in Russland.

Atomangriff im Ukraine-Krieg? Militärblogger fordern heftige Reaktion von Putin

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU beziffert den durch die Operation „Spinnennetz“ angerichteten Schaden auf sieben Milliarden US-Dollar. Gut ein Drittel der „strategischen Marschflugkörperträger auf den wichtigsten Flugplätzen der Russischen Föderation“ seien getroffen worden. Im Westen wurden bereits Vergleiche zum japanischen Luftangriff auf den US-Marinestützpunkt Pearl Harbor auf Hawaii im Zweiten Weltkrieg gezogen.

Lässt er sich zu einem Atomschlag hinreißen? Russlands Präsident Wladimir Putin wird von Militärbloggern zum Schlag mit Massenvernichtungswaffen aufgefordert. © IMAGO / Zoonar, IMAGO / SNA

Teilweise wird von einem echten Coup Kiews gesprochen. Immerhin wurden Dutzende Flugzeuge zerstört, die Putin nun nicht mehr für seine Angriffe zur Verfügung stehen. Die damalige Attacke auf Pearl Harbor – wenn auch mit Hunderten zerstörten Fliegern, mehreren gesunkenen Schlachtschiffen und mehr als 2400 Toten ungleich schwerwiegender – hatte allerdings den Kriegseintritt der USA zur Folge.

Und auch der laut Selenskyj seit mehr als einem Jahr geplante Schlag gegen Russlands Militär könnte eine heftige Reaktion heraufbeschwören. Gerade in den Stunden des Treffens in Istanbul sinniert Moskau womöglich darüber, ob eine weitere Eskalation in die Wege geleitet werden sollte. Die Ukraine befürchtet offenbar schon seit Tagen eine neue Großoffensive. Während der Kreml die einmal mehr schweren Verluste offenbar totschweigen möchte, fordern Experten und auch mehrere Militärblogger bereits den Griff zu nuklearen Waffen.

Putin und die Antwort auf Russlands „Pearl Harbor“: Blogger für Zerstörung von Kiew

So wütete der Telegram-Kanal „Zwei Majors“ in einem Post mit Aufnahmen der Zerstörungen: „Dies ist ein Grund, um einen Atomangriff auf die Ukraine zu starten.“ Später wurde hier sogar präzisiert, wohin die Massenvernichtungswaffe gesteuert werden sollte: „Kiew muss als Demonstration zerstört werden. Sonst wird die ganze Welt denken, dass man Russland so behandeln könnte.“

Der Militärblogger Roman Alekhin schrieb, der 1. Juni 2025 könnte als „russisches Pearl Harbor“ in die Geschichte eingehen, und warf der Führung unter anderem „Schlamperei“ vor. Die Zeit für eine Antwort sei auch wegen der anstehenden Verhandlungen knapp, doch er schlägt vor: „Es sollten keine Andeutungen sein, es sollte keine Angeberei sein wie beim letzten Mal mit Oreschnik, sondern es sollte eine Antwort sein, die zeigt, dass die nächste die Ukraine vollständig zerstören wird.“

Das sogenannte „Z-Komitee“ verwies auf Telegram auf die vier Bedingungen, die einen russischen Atomschlag rechtfertigen würden. Darunter fallen demnach auch feindliche Angriffe auf „wichtige staatliche oder militärische Einrichtungen Russlands“ sowie Attacken mit konventionellen Waffen, wenn diese die Existenz des Staates bedrohen.

Inwiefern Putin sich, seine Macht und sein Reich tatsächlich bedroht sieht, entscheidet letztlich er allein. Wobei festzustellen ist, dass der Präsident selbst oder Dmitrij Medwedew als sein stellvertretender Leiter des Sicherheitsrates bereits häufiger mit einer atomaren Antwort gedroht haben, es in dieser Hinsicht aber bislang immer beim Säbelrasseln blieb.

Militärblogger nach Drohnen-Angriff auf Putins Luftwaffe außer sich: Heftige Kritik an Militärführung

Einigen kriegslüsternen Militärbloggern geht das aber nicht weit genug. Sie fiebern einem Atomschlag regelrecht entgegen und wagen daher sogar offene Kritik an Russlands Militärführung und damit letztlich auch Putin. So wettert der für seine extreme Einstellung bekannte Voenkor Kotenok, Moskau würde den Völkermord an seinen eigenen Bürgern geschehen lassen und es dem Feind erlauben, die Streitkräfte systematisch und gezielt zu zerstören.

„Die Weigerung, unter Kriegsbedingungen schwierige Entscheidungen zu treffen, und die Unfähigkeit, Sabotageakte zu verüben, können zu Enttäuschung, Verwirrung und sogar Misstrauen führen“, stachelt er seine Leser regelrecht auf und legt nach: „Wir warten nun schon das vierte Jahr darauf, dass die Nazis, die unsere Kinder ermordet haben, bestraft werden, und im Gegenzug werden uns Versprechungen über Verhandlungen mit einem leeren Kokainaffen gemacht.“

Kotenok stellt sogar „mangelnden politischen Willen in der Führung“ Russlands fest. Derweil schrieb der Propagandist Alexander Kots, der für die Boulevardzeitung Komsomolskaja Prawda berichtet, von einem „schwarzen Tag für unsere strategische Luftfahrt“. Seine Forderung: „Wir müssen den Mantel des letzten Ritters des Planeten ablegen und zuschlagen, ohne Rücksicht auf die Konsequenzen.“

Feuerwolke an Flugzeug, Rauchschwaden im Himmel
Russlands Luftwaffe in Flammen: Diese Bilder treffen Kreml-Chef Wladimir Putin und die Militärblogger schwer. © Screenshots Telegram

Russland der mögliche Atomschlag: „Können Planeten Erde mehrfach zerstören“

In einem weiteren Post stellt er die russische Luftwaffe jener der USA gegenüber und kommt letztlich auf Massenvernichtungswaffen zu sprechen. Dabei stellt Kots fest: „Selbst der Verlust der Hälfte unseres nuklearen Potenzials bei Gegenschlägen bewahrt uns theoretisch die Möglichkeit, den Planeten Erde mehrfach zu zerstören.“

Sergej Markow schaut differenzierter auf die Situation. Der Politikwissenschaftler verbreitet zwar auf Telegram ebenfalls die Meinung: „Ein derart großangelegter Angriff auf Komponenten des strategischen Nuklearpotenzials könnte gemäß der russischen Nukleardoktrin ein Grund für den Einsatz von Atomwaffen durch Russland sein.“

Allerdings mutmaßt der einstige Putin-Berater auch, dass sich Selenskyj und der Westen freuen würden, sollte Moskau so weit gehen. Er befürchtet in der Folge „eine tatsächliche politische und wirtschaftliche Isolation“ Russlands in der Welt, denn ein Atomkrieg sei „eine Herausforderung für die gesamte Menschheit“. Selbst die Moskau freundlich gesinnten Staaten würden es ablehnen, wenn eine Atommacht eine andere Atommacht attackiert.

Putin und Selenskyj vor Istanbul-Verhandlungen: Stärke demonstrieren als Erfolgstaktik

Auch von Putin ist bekannt, dass er zumeist Entscheidungen mit Weitsicht trifft und mögliche Folgen einkalkuliert. Entsprechend dürfte er sich wohl hüten, als Antwort auf die ukrainische Drohnen-Mission die Büchse der Pandora zu öffnen.

Vermutet wird allerdings auch, dass Kiews Timing kein Zufall war, Selenskyj vor den neuesten Verhandlungen die Position seines Landes stärken und Russland zu Zugeständnissen zwingen will. Mutmaßlich also die gleiche Taktik, die auch Putin mit den umfangreicheren Luftangriffen auf die Ukraine fährt.

Beide Kriegsparteien lassen also die Muskeln spielen, was auch Auswirkungen auf die Gespräche in Istanbul haben wird. Fragt sich nur, wem die Entwicklungen am Ende mehr nutzen. (mg)

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