„Demütigend“: Heftige Reaktionen auf Ukraine-Großangriff – in Russland zieht man Stalin-Vergleich

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Die Ukraine sorgt mit ihrem Angriff tief in Russland für Wirbel. Und das kurz vor neuen Verhandlungen. International folgen unterschiedliche Reaktionen.

Kiew/Moskau – Am Montag starten die Verhandlungen über ein mögliches Ende des Ukraine-Kriegs. Nur einen Tag zuvor überraschte die Ukraine Russland mit einem großangelegten Angriff auf strategisch wichtige Militär-Stützpunkte. Wolodymyr Selenskyj lobt die Aktion des Geheimdienstes SBU als „absolut brillanten Erfolg“. Fraglich ist jetzt, wie Russland auf den Angriff reagiert – und was dieser für die anstehenden Verhandlungen in Istanbul bedeutet. Die internationale Presse ist sich zumindest in einem Punkt einig: „Aktion Spinnennetz“ trifft Russland hart.

USA: Drohnenangriff zeigt Kiews Entschlossenheit

Zu dem Angriff schreibt die US-Zeitung Wall Street Journal am Montag:

„Der gewagte Drohnenangriff der Ukraine vom Wochenende auf Militärbasen tief in Russland ist ein brillantes Beispiel für Kreativität und Entschlossenheit. Nach ukrainischen Angaben gelang es dem Land, Drohnen durch Russland zu schmuggeln, sie in unmittelbarer Nähe von Luftwaffenstützpunkten einzusetzen und zahlreiche Flugzeuge zu zerstören. Zu den Maschinen gehörten Berichten zufolge auch Bomber, die Marschflugkörper auf die Ukraine abfeuern und einige, die nuklear bestückt werden können.(...)

Die Drohnenangriffe werden den Verlauf des Krieges nicht ändern, aber sie zeigen, dass die Ukraine in der Lage ist, weit von ihrer Grenze zu Russland entfernt zuzuschlagen. Die Geheimdienstinformationen, die für die angeblich seit 18 Monaten geplante Operation erforderlich waren, sind ebenfalls ein Grund für den Kreml, beunruhigt zu sein. Hatte die Ukraine russische Hilfe?(...)

Russland ist immer noch im Vorteil, was die Feuerkraft angeht, insbesondere bei den Raketen, die mit den schwindenden Luftabwehrsystemen der Ukraine abgefangen werden müssen. Die Regierung von (US-Präsident Donald) Trump sagt, sie wolle das Töten stoppen. Aber der beste Weg, dies zu erreichen, ist die Lieferung von mehr Luftabwehrsystemen an Kiew.“

Norwegen: Das passt Putin gerade gar nicht

Die norwegische Boulevardzeitung Verdens Gang (Oslo) kommentiert die Angriffe der Ukraine auf russische Militärflugplätze so:

„Der Aufgalopp zum Treffen zwischen Russland und der Ukraine in Istanbul hätte für Wladimir Putin nicht schlechter sein können. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj wird seine Delegation unterdessen wohl mit einem zufriedenen Lächeln verabschiedet haben, denn die Angriffe vom Wochenende werden Russlands Fähigkeit zur Bombardierung der Ukraine erheblich schwächen. Mit russischen Augen betrachtet, sind sie auch geradezu demütigend. Nicht zuletzt für Putin, der sein gesamtes Prestige darauf verwendet hat, der Mann zu sein, der sich um Russlands Sicherheit kümmert.

Mit einem Überraschungsangriff auf Militär-Stützpunkte in Russland hat die Ukraine Wladimir Putin hart getroffen. (Collage mit Archivbild) © Screenshot Christopher Miller/X//dpa/Alexander Kazakov

In letzter Zeit gab es nicht allzu viele militärische Triumphe für die Ukraine. Deshalb ist dieser so wichtig für die möglichen Friedensverhandlungen. Er verschafft Kiew eine bessere Ausgangsposition als noch 24 Stunden vorher. In jedem Fall ist die Aktion gegen russische Militärflugplätze ein Signal dafür, dass die Ukraine weiterhin in der Lage ist, ihrem einfallenden Nachbarn die Stirn zu bieten.“

Russland: Selenskyjs Politik führt die Welt an einen gefährlichen Punkt

Die russische Boulevardzeitung Moskowski Komsomolez schreibt nach den Angriffen der Ukraine auf russische Militärflugplätze: „Der 1. Juni wurde zu einem schwarzen Tag für Russlands Langstrecken- und Militärtransportflieger. Ukrainische Kamikaze-Drohnen, die aus der Nähe unserer Militärflugplätze starteten, haben die russischen strategischen Bomber attackiert. Die strategischen Atomstreitkräfte haben Schäden erlitten.(...)

Es stehen ernsthafte Ermittlungen innerhalb des Militärs und anderer im vierten Kriegsjahr für strategische Objekte verantwortliche Sicherheitsorgane bevor. Die Militärstaatsanwaltschaft wird in den nächsten Tagen sicher zu tun haben. Wir leben natürlich in humanen Zeiten, aber unter Stalin wären für solche Fehler sicher ein paar Kommandeure an die Wand gestellt worden.

Aber es gibt bedeutendere, man kann sagen für das Land lebenswichtige Fragen, die nicht unbeantwortet bleiben dürfen. Die wichtigst: Mit wem kämpfen wir und warum kämpfen wir mit diesem Gegner nicht anders? Wie anders zeigt Israel. Man kann denen vieles vorwerfen, aber sicher keinen Mangel an Entschlossenheit und Härte. Ich erinnere mich nicht, dass Israel direkte Verhandlungen mit der Hamas führte, die es für terroristisch hält. Aber dass die Führung dieser Gruppierung mit den raffiniertesten Methoden ausgeschaltet wurde, davon habe ich gehört. Vielleicht sollte man genauso mit Selenskyj und seiner terroristischen Umgebung verfahren? Für mich ist das eine rhetorische Frage.“

Niederlande: Ukrainische Angriffe in Russland sind legitim

Zum Angriff der Ukraine auf russische Militärflugplätze heißt es am Montag in der niederländischen Zeitung De Telegraaf: „In einer gewagten Operation hat die Ukraine tief in Russland zugeschlagen. Bei einem beispiellosen Drohnenangriff wurden 40 russische Militärflugzeuge getroffen. Die Drohnen waren offenbar in Lastwagen nach Russland geschmuggelt worden. Zu den Zielen gehörten strategische Bomber auf vier Luftwaffenstützpunkten, die teils Tausende von Kilometern von der Frontlinie entfernt sind. (...) In dem seit mehr als drei Jahren andauernden Krieg musste die Ukraine auf Drängen der westlichen Verbündeten, die eine Eskalation befürchteten, lange Zeit auf Angriffe auf russische Gebiete verzichten. Der spektakuläre Drohnenangriff, der sich gegen legitime militärische Ziele in Russland richtete, fällt vollständig unter das Recht auf Selbstverteidigung. Viel zu lange ist die Ukraine bei der Ausübung dieses Rechts von verängstigten Politikern im Westen ausgebremst worden.“

Schweiz: Zeitpunkt des ukrainischen Angriffs war kein Zufall

Zu den Angriffen der Ukraine auf russische Militärflugplätze heißt es am Montag in der Neuen Zürcher Zeitung: „Der Angriff fand am Vortag der zweiten Runde der ukrainisch-russischen Gespräche in Istanbul statt. Dass die Ukraine einen seit mehr als einem Jahr geplanten Großangriff ausgerechnet jetzt durchführt, ist kein Zufall. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj gab nur kurz nach den ersten Meldungen bekannt, auf welcher Grundlage sein Land die Gespräche führen möchte. Die ukrainische Delegation, die erneut der Verteidigungsminister Rustem Umerow anführt, werde demnach einen sofortigen, bedingungslosen Waffenstillstand, die Freilassung aller Gefangenen und die Rückkehr der nach Russland entführten ukrainischen Kinder fordern. Dass der Kreml bisher kein vergleichbares Memorandum geteilt hat, wertet Selenskyj als weiteren Beweis dafür, dass Russland kein Interesse daran hat, den Krieg zu beenden. Was die Eskalation vom Sonntag für die Gespräche am Montag und die Bemühungen um eine diplomatische Lösung des Konflikts im Allgemeinen bedeutet, ist unklar. Russland und die Ukraine sind bemüht, gegenüber dem amerikanischen Präsidenten Donald Trump ihren Friedenswillen zu beweisen.“ (dpa/rjs)

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