Mistral vs. OpenAI: Wie drei europäische Forscher das Silicon Valley herausfordern

Sie nennen sich die französische Antwort auf OpenAI. Doch Mistral AI ist mehr als das: Es ist der Beweis, dass Europa im KI-Rennen nicht nur mitspielen, sondern die Regeln neu schreiben kann. Von null auf demnächst zehn Milliarden Dollar Bewertung innerhalb von zwei Jahren lautet ihre Bilanz. Fast 400 Mitarbeiter. Frankreichs beliebteste KI-App. 

Drei Aussteiger, ein Ziel: Eine KI, die allen gehört

Die Geschichte dahinter geht so: Während die Welt noch über ChatGPT staunt, machen drei französische Forscher im April 2023 ihr eigenes Ding: Arthur Mensch, Guillaume Lample und Timothée Lacroix verlassen ihre Traumjobs bei Google DeepMind und Meta – und gründen Europas Antwort auf OpenAI. Sie nennen sie Mistral nach dem starken, kalten Wind, der durch das Rhônetal in Südfrankreich weht.

Es ist nicht zufällig Frankreich, in dem Mistral seine Basis findet. „Frankreich gilt als Mutterland der Industriepolitik“, schreibt Ifo-Präsident Clemens Fust in einem Beitrag über europäische Industriepolitik und spannt einen weiten Bogen vom Überschallflugzeug Concorde bis zur Gründung des europäischen Flugzeugherstellers Airbus gemeinsam mit Deutschland. Dennoch war die Ausgangslage für die Mistral-Grüner eher bescheiden. Europas KI-Anwender hängen zu dieser Zeit komplett am Tropf amerikanischer Tech-Giganten, Datenschutz ist ein Fremdwort, und KI wird hinter verschlossenen Türen entwickelt. Das Ziel der drei Franzosen? Nichts Geringeres als die Demokratisierung der Künstlichen Intelligenz. „Wir wollen Frontier AI in die Hände aller bringen“, erklärt das Trio seine Mission. Klingt nach Marketing-Blabla? Von wegen. Heute, zwei Jahre später steht das Unternehmen kurz vor einer 10-Milliarden-Dollar-Bewertung und sammelt gerade eine weitere Milliarde Dollar bei Investoren ein.

Open Source statt Geheimniskrämerei

Während Konkurrent OpenAI seine Modelle wie ein Staatsgeheimnis hütet, macht Mistral das genaue Gegenteil: Open Source first nennt sich die Methode. Viele Mistral-KI-Modelle sind frei verfügbar, was eine Kampfansage an die Geheimniskrämer im Silicon Valley ist und gleichzeitig eine Strategie, um Entwickler und Kunden, die es hassen, nicht eingeweiht zu sein, auf die eigene Seite zu ziehen. Das Geschäftsmodell? Die Basis-Modelle gibt’s gratis, für die Premium-Versionen zahlen Unternehmen. Mehr als 100 Millionen Dollar Jahresumsatz sprechen eine klare Sprache: Europa kann KI nicht nur entwickeln, sondern auch verkaufen. 

Mistral sammelt nicht nur Geld, sondern baut ein komplettes KI-System mit allem Drum und Dran: „Le Chat“ ist inzwischen die populärste Chatbot-App in unserem Nachbarland, die dort sogar ChatGPT in die Defensive bringt. Seit Mai 2025 gibt’s „Le Chat Enterprise“ für Business-Kunden, damit Mistral auf seine Kosten kommt. Seit dem vergangenen Monat ist mit Voxtral ein Audio-Modell hinzugekommen, die europäische KI kann damit endlich in den meisten europäischen Sprachen sprechen. „Pixtral“ Large versteht Text und Bilder gleichzeitig. Codestral ist die Mistral-KI für Entwickler und „Magistral“ ein nachdenkliches Tool, das die KI nicht nur plappern, sondern denken lässt.

Datenschutz statt Datenklau

Womit Mistral punktet? Während US-Konzerne europäische Daten absaugen, bauen die Franzosen unter der strengen EU-Regulierung eine souveräne KI-Infrastruktur auf. Ihr Versprechen: Europäische Daten bleiben in Europa. Die Strategie zahlt sich aus. Die Amerikaner investiere mit einmal in Europa. Microsoft gehört zu den Großinvestoren. Nvidia liefert die Chip-Hardware und baut gemeinsam mit Mistral einen KI-Campus in Paris. Regierungen aus Deutschland, Luxemburg und den Niederlanden setzen auf Mistral. Das Münchner Rüstungsstartup Helsing kooperiert intensiv mit den Franzosen.

Die Stars von Paris

Beim Gipfeltreffen zum Thema Künstliche Intelligenz in diesem Jahr in Paris, zu dem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron im Februar geladen hatte, waren die Mistral-Gründer die Stars – gemeinsam mit der deutschen Investorin Jeanette zu Fürstenberg. Sie hat in ihrem jüngsten Buch „Wie gut wir sind, zeigt sich in Krisenzeiten“ ihre Mission so beschrieben: Brücken bauen zwischen der traditionellen deutschen Industrie und den Startups. Sie meint: Deutschland habe das Know-how und die Köpfe, um wirtschaftlich ganz vorne weiter mit dabei zu sein. Was sie nervt, ist die Erzählung vom „kranken Mann“. „Ich will mit daran arbeiten, dass in zehn Jahren drei der weltweit zehn größten Tech-Konzerne europäisch sind."

Und so ein Fall ist Mistral. Es ist nicht zuletzt ihr Werk, wenn zwei der wertvollsten Startups Europas jetzt gemeinsam Großes planen: Mistral und eben das Münchner Rüstungs-Startup Helsing wollen gemeinsam dafür sorgen, „dass Menschen und KI im Krieg besser zusammenarbeiten“. Ziel der Partnerschaft sei die gemeinsame Entwicklung „von KI-Systemen für die Verteidigung Europas“, schreiben beide. Für Mistral ist das ein neuer Schritt, bisher war das Unternehmen anders als Helsing nicht im Bereich Militär und Verteidigung unterwegs. Helsing-Mitgründer Gundbert Scherf betont die Bedeutung der Partnerschaft für Europas Position in der globalen KI-Entwicklung: „Europa muss seine Stärke als globaler Akteur zeigen, und eine führende Rolle in der KI ist dafür entscheidend – sowohl für unsere Sicherheit als auch unseren Wohlstand.“ Sein Chef-Kollege von Mistral Arthur Mensch schwärmt von Verteidigungssystemen, „die Europa stärker und sicherer machen.“

Der Traum vom nächsten Airbus

In der Fantasie sehen Investoren bereits ein nächstes Projekt – eben eines wie Airbus – heranwachsen, was ganz nach dem Geschmack zu Fürstenbergs wäre. Schließlich bezeichnet sie den ehemaligen Telekom-Chef René Obermann als ihren Mentor und der ist Aufsichtsratschef von Airbus. Und sie hat etwas gegen das, was sie in Deutschland seit Jahren beobachtet: „Welle der Selbstentwertung“ nennt sie es. „Wir versagen uns den Mut, unsere Zukunft selbst zu gestalten“, stellt sie fest und fragt: „Wohin soll das führen?“

Der Europäische Weg

Mistral geht den europäischen Weg und versucht vermeintliche Nachteile in Vorteile umzumünzen. So veröffentlichen die Franzosen als erstes KI-Unternehmen überhaupt eine komplette Umweltbilanz. Die US-Konkurrenz, die ihre CO2-Bilanz lieber verschweigt, darf das als Kampfansage verstehen. „Unser Beitrag zu einem globalen Umweltstandard für KI“, nennen die Franzosen das. Klingt langweilig, ist aber revolutionär. Denn während andere über Nachhaltigkeit debattieren, liefert Mistral Zahlen. Und die drei Gründer denken bereits weiter. Ein Börsengang steht mittelfristig auf dem Plan, komplett verkaufen will aber niemand. Ihr selbstbewusstes Motto „Wir bauen nicht für den Exit, sondern für die Ewigkeit.“