Ein Bild von einem Mann: „Fliegender Holländer“ in Nürnberg

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Begegnung mit dem eigenen Ich: Jochen Kupfer als Holländer in der Inszenierung von Anika Rutkofsky. © Pedro Malinowski

Alles eine Vision Sentas: Die Idee für den „Fliegenden Holländer“ ist nicht der letzte Regie-Schrei. Dennoch gibt es in Nürnberg aparte szenische Wendungen – und musikalisch Bemerkenswertes.

Kann gut sein, dass sie sich künftig auf Stillleben konzentriert. Oder auf Landschaften, vielleicht von der Sonne heiß geküsste Bergansichten mit Palmen, das wäre jedenfalls die Aussicht von der Terrasse ihres Vaterhauses. Das Projekt Traummann ist für diese Senta nämlich gescheitert. Jahrelang, das erfahren wir am Staatstheater Nürnberg, hat sie sich den Kerl im Wortsinn ausgemalt. Einen prächtigen spanischen Conquistador, der einst auszog, um Länder zu erobern, einige Frauen inklusive.

Es ist nicht der letzte Regie-Schrei, Richard Wagners „Fliegenden Holländer“ aus der Perspektive Sentas zu schildern. Die Erzählung von der selbstbewussten Maid, die dank eines Mannes ihrer muffigen Familie entfliehen will (mit tödlichen Folgen), legt das nahe. Anika Rutkofsky gewinnt diesem Grundkonzept in ihrer Inszenierung eine aparte Wendung ab. Sie lässt mit Julius Theodor Semmelmann (Bühne) und Adrian Bärwinkel (Kostüme) zwei Zeitalter aufeinanderprallen: das 16. Jahrhundert mit den Entdeckern auf Raubzügen und das 19., in dem es sich deren Nachfahren in Lateinamerika bequem gemacht haben.

Realität und Traum scheinen sich dabei zu durchdringen, so ganz wird das an dem Abend nicht klar und szenisch entwickelt. Da ist einmal die obsessive Malerin Senta, die diesen spanischen „Holländer“ in unzähligen Variationen auf ihre Leinwände brachte, und da ist die tatsächliche Begegnung mit ihrer Imagination. Es ist eine surreale Welt Sentas, in der sie lebt und die sie sich kraft ihrer Kunst erschaffen hat. Auch den Schluss, als Freunde und Familie von Dämonen besessen verröcheln, sich blutig ritzen oder die Augen ausstechen (Gift in der Hochzeitstorte?), hat sie bereits vorab gemalt und geahnt. Frustriert von der gescheiterten Traumbeziehung überpinselt sie alles mit Schwarz und löscht ihre Illusion aus.

Gesellschaft ist von bösen Geistern besessen

Oft ist in dieser Premiere Rutkofskys Konzept stärker als das, was wir tatsächlich sehen. Vieles wird nach vorn zur Rampe verhandelt, man fragt sich zum Beispiel, was Holländer und Senta im Zentralduett eigentlich aneinander finden. Immer wieder, das wird dagegen spitzfindig inszeniert, gibt es in dieser Gesellschaft kleine Alarmzeichen. Vor allem der Steuermann, von Hans Kittelmann singdarstellerisch beglaubigt, scheint von einem bösen Geist getrieben, der bald auf alle anderen übergreift. Und dann gibt es wieder Genre-Momente, mit fast individuell geführten Choristen, die aus einem Drehbuch Loriots entstammen könnten. Ausgerechnet die Titelfigur wird hier zum Dasein als Projektion Sentas verdammt – was im Falle von Bariton Jochen Kupfer besonders betrüblich ist.

Er hat sich den heikel gelagerten Holländer zurechtgelegt und an seine Stimme herangeholt. Mit großem Textbewusstsein, Klang-Erz in der mittleren und tieferen Lage und (riskanter) Attacke in den Ausbrüchen. Kupfer weiß, dass er über kein Heldengeschütz verfügt, und dosiert Intensität so klug wie genau. Anna Gabler taxiert als Senta manche Passagen ab. Die Stimme ist üppig und reich, tritt auch gern über die Ufer. Für die Schluss-Eruptionen hat sie sich einiges aufgespart, und ihrem Spiel sieht man an: Das Konzept gefällt ihr.

Taras Konoshenko singt Papa Daland mit mobilem, in jeder Lage gerundeten Bass. Und ein Sonderfall ist Christoph Strehl. Eigentlich kennt man ihn als Mozart- und Schubert-Tenor, hier gestaltet er einen ungewöhnlich lyrischen Erik. „Zu leicht besetzt“, das könnten Traditionalisten einwenden. Doch die vokale Intelligenz, mit der er jede Phrase plausibel macht, fasziniert dann doch.

Musikalisch starker zweiter Aufzug

Generalmusikdirektor Roland Böer weiß um die heikle Akustik seines Hauses. Mit Wagners lautestem Stück droht in Nürnberg Radau, Böer langt mit der Staatsphilharmonie daher nur an ausgewählten Stellen zu. Manches ist anfangs tempogemütlich. Doch spannend wird es in Akt zwei, wo sich Böer mit seinem Orchester für die Spielopern-Verwurzelung des „Holländers“ interessiert. Sehr phrasengenau wird das umgesetzt, flexibel in den Tempi und trennscharf in den klanglichen Schichtungen. Der dritte Akt wird dann mit dem machtvollen, präzisen und spiellaunigen Chor zugespitzt – eine Steigerung, die sich szenisch nicht ganz widerspiegelt: Nachdem Senta auf ihrem Bild alles zerstört hat (auch der parallel heruntergelassene Gaze-Vorhang schwärzt sich ein und verdeckt das blutige Finale), geht sie einfach ab. Für Wagners Orchesterglühen hat diese Frau nur ein Schulterzucken übrig.

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