Dreiviertelblut brauen jetzt Bier – und stoßen aufs Leben an.

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Geben die Hoffnung nicht auf: Gerd Baumann (li.) und Sebastian Horn. © Bert Heinzlmeier

Dreiviertelblut sind unter die Bierbrauer gegangen. Auch sonst feiern sie auf ihrem neuen Album „Prost Ewigkeit“ das Leben im Hier und Jetzt.

München – Dreiviertelblut beschreiten neue Wege – die bayerische Band um Filmkomponist Gerd Baumann und Sänger Sebastian Horn ist ja tendenziell eher für düstere Romantik bekannt. Doch auf dem an diesem Freitag erscheinenden Album „Prost Ewigkeit“ schlagen die beiden einen hoffnungsvollen Ton an – textlich wie musikalisch. Sogar unter die Bierbrauer seien sie gegangen, erzählen Baumann und Horn im Interview. Das Album feiert am 20. Mai im Circus Krone große Live-Premiere. Karten gibt’s noch im Vorverkauf.

Die Welt geht vor die Hunde – vom Klimawandel über Krieg bis zum globalen Erfolg der Populisten –, und Sie stoßen an: „Prost Ewigkeit“. Dürfen wir das ironisch auffassen?

Gerd Baumann: So fühlt sich unsere Zeit auf eine merkwürdig ironische Art an. Man kann es auf verschiedene Arten lesen: düster oder sehr positiv. Die Destruktivität in Politik und Gesellschaft frustriert mich zutiefst. Es ist wie ein Bazillus, an dem der ganze Erdball krankt. Aber es nützt ja nichts, zu sagen, wir geben auf. Solange wir da sind, müssen wir positiv bleiben. Oder was meinst Du, Wastl?
Sebastian Horn: Ganz meine Meinung. Je älter ich werde, desto mehr leuchtet mir der buddhistische Spruch ein: Du wirst an diesem einen Tag geboren, du lebst an diesem einen Tag, und du stirbst an diesem einen Tag. Es gibt nur das Jetzt. Und „Prost Ewigkeit“ umarmt diesen Zustand. Wir feiern das Leben – trotz aller Ohnmachtsgefühle.

Schon beim ersten Stück „Aufm Mond“ heben Sie ab. Würden Sie selber gerne dorthin abhauen – oder wen würden Sie am liebsten auf den Mond schießen?

Baumann: Es ist entstanden, als ich Gitarre spielend auf dem Sofa saß – und die Wahlergebnisse aus Österreich im Fernsehen kamen. Es sah so aus, als würde unser direkter Nachbar eine rechtsextreme Regierung bekommen. Ich habe das Lied geschrieben, mit dem Gefühl: Leckt uns. Jetzt hauen wir ab, wir fliegen auf den Mond. Wir haben ein sehr schönes Video dazu gedreht – wir versuchen auf dem fliegenden Traktor abzuheben.

Das Album fühlt sich auch musikalisch leichter an als viele ihrer früheren Platten. Täuscht das?

Horn: Gar nicht, das ist so. Selbst düstere Stücke wie „Honigtopf“ oder „Kummer“ tragen eine Leichtigkeit in sich.

In vielen Liedern geht es um Licht, ums Fliegen. Dazu gesellen sich fast schon Haindling-artige Bläser. „Nichts außer Licht“ flirrt fast wie ein Disco-Stück.

Baumann: Haindling ist mir gar nicht so sehr geläufig. Aber die Bläser spielen eine immer größere Rolle bei uns, das stimmt. Weil wir als Septett so zusammengewachsen sind. Das hat sich eher zufällig ergeben, vor acht Jahren hätte keiner gedacht, dass wir als Band in der Form wirklich zusammenbleiben. Wenn ich schreibe und arrangiere, dann auch spezifisch für diese Musiker. Ich kenne den Sound der Band und die Lust, mal Genres auszuprobieren, ohne dass man irgendwelche Stile kopiert. Das macht unheimlich Spaß – und reißt auch Bilder für die Texte auf.
Horn: Mich nimmt dieses Bild gefangen, dass unser Heimatplanet bei einer Supernova entstanden ist, in der alle Atome gebildet wurden, die es in unserem Planetensystem gibt. Wir sind eigentlich Lichtwesen, alles ist aus Licht geboren. So was wie wir, das ist eine extreme Rarität. Und umso wertvoller. Und umso größer das Unverständnis: Was machen wir Menschen da eigentlich?

Und was halten Sie dem entgegen?

Horn: Wir machen Liebe. Auch wenn’s manchmal düster ist. Ich habe auch privat eine Entwicklung mitgemacht, dank meiner Frau. Ich hatte das Gefühl, nie zu genügen. Da hat sie mich rausgebracht. Wir sind ja wirklich eine Ausnahme-Band, aber ich dachte immer: Ist das wirklich gut? Anstatt zu sagen: Was für ein Geschenk! Geil! Prost, Ewigkeit! Übrigens: Wir haben ein Bier gebraut.

Wirklich? Eine Halbe Dreiviertelblut?

Horn: Genau. Der Markus vom Hoppe-Bräu war Feuer und Flamme, als er gehört hat, wie unser Album heißt. Und wollte uns gleich was brauen. Auf meinen Wunsch hin ist es ein rotes Bier. Es schmeckt richtig gut – und hat ein abgefahrenes Design.
Baumann: 140 Kästen gibt es, fast ein bisschen wenig.
Horn: Stimmt. Ich werd schon dauernd danach gefragt. Nächste Woche soll es auf den Markt kommen.

Ein Pudel mit Einhorn prangt auf dem Etikett: So sieht die Dreiviertelblut-Hoibe aus.
Ein Pudel mit Einhorn prangt auf dem Etikett: So sieht die Dreiviertelblut-Hoibe aus. © Millaphon

Herr Horn, im Stück „Dackelmo“ erwähnen sie den „Zündkerzen-Steckerkabel-Naggel-Trick“. Was ist das denn?

Horn: Das ist tatsächlich was, das ich erfahren habe, weil ich eine „Quickly“ von 1954 habe...

Das Moped, das Ottfried Fischer in FX. Bogners TV-Serie „Irgendwie & Sowieso“ fährt...

Horn: Ich hab sie von einem uralten Motorradl-Tandler. Der hat mir von dem Trick erzählt: Sie haben früher mit Mädels angebandelt, indem sie bei deren Mofas vor dem Freibad heimlich dieses Kabel gelockert haben. Was zur Folge hatte, dass das Mofa nicht anspringt. Und sie konnten dann als Retter daherkommen – und haben das Kabel einfach wieder reingedrückt. Das Mofa sprang an, und sie waren die Helden.

Eine besondere Zusammenarbeit: Sebastian Horn und Gerd Baumann von Dreiviertelblut vor ihrem Tonstudio.
Eine besondere Zusammenarbeit: Horn und Baumann vor ihrem Tonstudio. © Bert Heinzlmeier

Jedenfalls ein sehr schöner Ausdruck – genauso wie dem Dackelmo „das Herz mit Diamanten paniert“ ist, weil er sich verliebt. Gibt es denn ein Vorbild für diesen Herrn?

Horn: Den Dackelmo gibt’s, in Lenggries. Er geht bei jedem Wetter mit seinem Hund raus, hat immer das Gleiche an. Weil der immer so zwider schaut, habe ich mir überlegt: Was müsste dem passieren, damit sein Leben zu „Prost, Ewigkeit“ wird? Und dann wird’s richtig erotisch.

Auch das letzte Lied klingt sehr leicht – es handelt vom Davonfliegen –, ist aber schwerste Trauerarbeit, oder?

Baumann: Es hat einen sehr tragischen Hintergrund. Ein Freund von mir hat seine Frau verloren und ich habe das alles sehr, sehr eng begleitet. An dem Abend, an dem die Urne kam, bin ich hierher ins Studio gefahren und hatte zum ersten Mal einen Heulanfall. Dann habe ich das Lied für sie geschrieben. Und ich finde es unglaublich, wie der Wastl imstande ist, das so intensiv zu singen. Bei mir wäre das schlimmster Kitsch.

„Nachtross“ ist eine sehr persönliche Geschichte von der Geburt Ihres Großvaters, Herr Horn. Wie ein „Erlkönig“ unter umgekehrten Vorzeichen: Eine werdende Mutter reitet durchs Moor zur Niederkunft.

Horn: Die Grundgeschichte stimmt: Es gab dieses Ross, Jakob hieß es, und es war tatsächlich so, dass meine Uroma gerade alleine auf dem Hof war, weil alle auf einer Kirchweih waren – und dann ging’s los. Was sollte sie machen? Ich habe zwei Hebammen in meinem Bekanntenkreis, die haben gesagt, dass Bäuerinnen früher mitunter 20 Kilometer mit dem Radl zur Hebamme gefahren sind. Handys waren da halt einfach noch ned so verbreitet.

Das Lied hat einen besonderen Refrain – mit viel „Simsalabim“ und „Belladonna“ klingt er fast wie eine Beschwörung.

Horn: Da hatte ich einen ganz anderen Refrain. Und Gerd meinte: Na, der gefällt mir nicht. Dann fiel uns dieses wunderschöne alte Kinderlied ein: „Auf einem Baum ein Kuckuck saß.“ Das kennt jeder.
Baumann: Dann sind wir total abgegangen, es klang wie bei Loriot, weil wir die ganze Zeit diese Laute wiederholt haben.
Horn: Am Ende haben wir uns abgeklatscht und waren glücklich. Wir haben gespürt: Die ursprüngliche Idee über Bord zu werfen, war genau die richtige Entscheidung. Das macht unsere Zusammenarbeit aus: Ich bestehe ich drei, vier Momente drauf, dann merke ich: Das bringt jetzt nix. Dann hängen kurz graue Wolken in unseren Gemütern, und dann überlegen wir, was wir stattdessen machen.

Das Cover der neuen Dreiviertelblut-Platte „Prost Ewigkeit“.
Das Cover der neuen Dreiviertelblut-Platte „Prost Ewigkeit“. © Millaphon

Sie sind ja nun eine echte Kultband. Läuft man da nicht Gefahr, einem Image entsprechen zu müssen?

Horn: Na, überhaupt ned.
Baumann: Wir haben ein sehr inniges Publikum, ja. Aber wir haben ja keinen Radio-Hit und spielen in Zehntausender-Hallen. Die Band wächst langsam und beharrlich. Das ist ein Riesen-Vorteil.

Bekommen Sie all Ihre anderen Aktivitäten und Dreiviertelblut noch unter einen Hut?

Baumann: Klar. Im Gegenteil: Ich genieße meine Professorentätigkeit an der Musikhochschule. Ich habe so sehr viel mit der neuen Generation zu tun und kriege auch mit, was man vielleicht sonst an neuen Strömungen und Entwicklungen versäumen würde.
Horn: Bei mir ist es das Geschenk von fünf Kindern, die groß werden und alle ihren eigenen Musikgeschmack haben. So bin ich mehr oder weniger freiwillig am Puls der Zeit. Es ist immer das Gleiche: Die Kunst ist ein vibrierendes System, weil jede Generation nichts mit der vorangegangenen zu tun haben, sondern das Rad neu erfinden will. Mittlerweile haben wir schon ganz schön viele Räder. Ich bin gespannt aufs nächste.

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