Hallenbäder am Limit – was sie am Laufen hält, ist ein Kraftakt auf Zeit

Jetzt, wo die Freibäder geschlossen sind, verlagert sich alles ins Hallenbad. Und hier sieht man deutlicher denn je, wie sehr wir vom Ehrenamt abhängen. Kindergruppen im Nichtschwimmerbecken, daneben die Bahn der Vereine, am Beckenrand Freiwillige, die nach Feierabend ins Bad eilen, um den Schwimmkurs zu betreuen.

Das Ehrenamt ist das Rückgrat unserer Schwimmausbildung

Während draußen die Straßenlaternen früh angehen, stehen drinnen Männer und Frauen in roter Vereinskleidung am Wasser. Sie zählen Bahnen, reichen Bretter, trösten Kinder, die sich nicht ins tiefe Wasser trauen. Das alles, obwohl sie am Morgen schon im Büro oder auf der Baustelle waren. Viele Ehrenamtliche leisten 30 - 40 Stunden in der Woche – zusätzlich zu Job und Familie. Ohne sie würde kaum ein Kind rechtzeitig schwimmen lernen.

Wenn Freiwillige fehlen, bleiben Kinder draußen

Im Winterhalbjahr spitzt sich die Lage zu. Alle wollen ins Hallenbad: Schulen, Vereine, Familien. Wer keinen Platz bekommt, steht auf langen Wartelisten. Ich habe es erlebt: Ein Becken, 40 Kinder, zwei Ehrenamtliche. Mehr geht nicht. Aber die Nachfrage ist doppelt so hoch.

Und wenn die Ehrenamtlichen nicht mehr können, fällt alles zusammen. Ein ausgefallener Kurs bedeutet: wieder zehn Kinder mehr, die kein Seepferdchen machen können. Wieder zehn Elternpaare, die verzweifelt anrufen und keinen Ersatz finden.

Ich kenne Väter, die Urlaub nehmen, nur um ihre Kinder noch irgendwo unterzubringen. Ich kenne Mütter, die jedes Jahr aufs Neue versuchen, einen Platz zu ergattern – und am Ende entmutigt aufgeben.

Ehrenamt darf keine Ersatzstruktur sein

Fast 70 Prozent der Schwimmausbildung in Deutschland wird von Vereinen getragen. Das bedeutet: Der Staat rechnet fest damit, dass Ehrenamtliche einspringen, wo Kommunen und Schulen keine Kapazitäten haben.

Im Hallenbad ist das besonders deutlich. Städte kürzen Wasserzeiten, Schulen drängen sich in den wenigen Stunden, die verfügbar sind. Vereine kämpfen darum, überhaupt Bahnen zu bekommen. Und die Politik sagt: „Die Vereine machen das schon.“

So einfach ist es aber nicht. Wer im Hallenbad steht, sieht die Realität: überfüllte Bahnen, gestresste Trainer, Kinder, die durchrutschen, weil niemand mehr Zeit für sie hat.

Und das alles, während Millionen in Prestigeprojekte fließen. Thermen, Spaßbäder, Wellnessoasen – für ein paar Auserwählte. Aber die kleinen Lehrschwimmbecken, in denen Integration und Sicherheit wirklich beginnen, verfallen oder werden geschlossen.

Hinter jeder Stunde steckt ein Mensch

Ich kenne Ehrenamtliche, die nach acht Stunden Arbeit direkt in die Schwimmhalle fahren. Die ihre eigenen Kinder mitbringen, damit sie wenigstens noch zusammen Zeit verbringen. Die am Wochenende Wettkämpfe organisieren, Prüfungen abnehmen, Urkunden schreiben.

Viele machen das jahrelang. Und viele hören irgendwann auf – nicht aus Bequemlichkeit, sondern weil es einfach zu viel wird. Niemand fragt, wie es ihnen geht. Niemand ersetzt sie, wenn sie gehen.

Ehrenamt heißt oft: riesige Verantwortung, kaum Anerkennung.

Und wenn dann noch Anfeindungen dazukommen – Eltern, die sich beschweren, weil das Abzeichen nicht sofort geschafft wurde, oder Gäste, die ungeduldig werden – dann ist es kein Wunder, dass manche die Pfeife an den Nagel hängen.

Ralf Großmann wuchs im Schwimmbad auf und lebt Bäderbetrieb seit Kindheitstagen. Auf H2ohero.de teilt er seine Erfahrung aus deutschen Bädern – authentisch, alltagsnah und mit Herz für Sicherheit und Qualität. Er ist Teil unseres Experts Circle. Die Inhalte stellen seine persönliche Auffassung auf Basis seiner individuellen Expertise dar.

Die stille Gefahr

Die Folgen sieht man in den Zahlen. 2025 hat die DLRG gewarnt: Rund 60 Prozent der Zehnjährigen in Deutschland können nicht sicher schwimmen. Das ist kein Randproblem – das ist ein Risiko.

Und jeder Kurs, der wegen fehlender Ehrenamtlicher ausfällt, verschärft diese Zahl. Jedes Kind, das im Winter keinen Schwimmkursplatz bekommt, trägt das Defizit ins nächste Jahr. So wächst eine Generation heran, die im Ernstfall im Wasser nicht sicher ist.

Ich habe schon Kinder erlebt, die am Ende der Grundschule noch nicht einmal eine Bahn durchschwimmen konnten. Nicht, weil sie es nicht wollten – sondern weil sie nie die Chance auf richtigen Unterricht hatten.

Ehrenamt ersetzt keine Verantwortung

Im Hallenbad wird deutlich: Ohne Ehrenamt würde vieles gar nicht mehr laufen. Aber genauso klar ist: So darf es nicht bleiben.

  1. Ehrenamtliche sind wertvoll, aber sie sind nicht unerschöpflich.
  2. Vereine sind engagiert, aber sie können keine fehlenden Lehrschwimmbecken ersetzen.
  3. Freiwillige können entlasten, aber sie dürfen nicht allein die Last tragen, die eigentlich bei Staat und Kommunen liegt.

Mein Appell 

Ehrenamt ist ein Schatz. Aber es darf nicht die Basis unserer Schwimmausbildung sein. Kinder schwimmen zu lehren, ist Grundversorgung.

Wenn wir weiter zuschauen, bricht das Ehrenamt Stück für Stück weg – und mit ihm die Chance, dass eine ganze Generation sicher schwimmen lernt.

Politik muss handeln: Lehrschwimmbecken offen halten, Hallenzeiten sichern, Personal finanzieren und Ehrenamt entlasten. Alles andere ist ein Spiel mit der Sicherheit unserer Kinder.