Ausländer krimineller als Deutsche? Expertin widerlegt These
Anfang April ist es wieder so weit: Das Bundeskriminalamt wird die Zahlen zur neuen Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS) veröffentlichen. Schon in den vergangenen Jahren waren Ausländer darin überrepräsentiert. Ein Fakt, der immer wieder zur Schlussfolgerung führt, Migranten seien krimineller als Deutsche.
Dabei sind die Forschungsergebnisse zu diesem Thema längst nicht so eindeutig, wie es auf den ersten Blick scheint. Darauf machte zuletzt auch die Kriminologin Susann Prätor aufmerksam. Sie warnte am Freitag in einem Gespräch mit dem "Mediendienst Integration" davor, "Äpfel mit Birnen zu vergleichen". Prätor ist Professorin an der Polizeiakademie Niedersachen. Ihre Aussagen und Bewertungen bergen Sprengstoff und werden in den kommenden Tagen bei der politischen Bewertung der aktuellen Daten für 2024 sicherlich heftig und kontrovers diskutiert werden.
Zunächst zu den Zahlen: 2023 tauchten in der PKS rund 2,2 Millionen Tatverdächtige auf. Davon waren 923.269 Ausländer, was einem Anteil von 41,4 Prozent entspricht. Klingt viel - aber es gibt auch stichhaltige Erklärungen für diesen Wert. Kriminologin Prätor nannte fünf Hauptgründe.
1. Straftaten, die Deutsche nicht begehen können
Einen großen Anteil an den hohen Zahlen haben Straftaten, "die von Deutschen nicht begangen werden können", weil es sich um Verstöße in Zusammenhang mit der Einreise oder der Beantragung von Asyl handelt, so die Expertin. Rechnet man allein diese Fälle aus den Zahlen von 2023 heraus, sinkt der Ausländeranteil unter den Tatverdächtigen von 41,1 auf 34,4 Prozent.
2. Touristen mit Migranten "in einen Topf geworfen"
Zu den ausländischen Tatverdächtigen würden keinesfalls nur Flüchtlinge und Migranten zählen. "Auch jene, die zum Beispiel als Touristen nach Deutschland kommen und sich einer Straftat verdächtig machen oder jene, die nur deswegen zu uns kommen, um Straftaten zu begehen und dann wieder verschwinden wollen, werden in den Topf mit den anderen geworfen", monierte Prätor. "Das Einzige, was sie miteinander verbindet, ist, dass sie keinen deutschen Pass haben."
Ein Blick auf die Polizeiliche Kriminalstatistik zeigt: Im Jahr 2023 hatten insgesamt 19,5 Prozent der ermittelten ausländischen Tatverdächtigen ihren Wohnsitz im Ausland. Bei weiteren 7,5 Prozent war der Wohnsitz unbekannt.
3. Gefahr einer Strafanzeige für Migranten doppelt so hoch
Studien deuten nach Angaben von Prätor außerdem darauf hin, dass die Wahrscheinlichkeit für einen Ausländer, in Deutschland wegen einer Straftat angezeigt zu werden, "doppelt so hoch ist wie bei einem Deutschen". Das ist wichtig, weil die PKS nur Vorkommnisse erfasst, von denen Polizei und Justiz - meist durch Anzeigen - erfahren haben. Im Fachjargon spricht man vom "Hellfeld".
Dass Ausländer häufiger angezeigt werden als Deutsche, lässt sich vor allem durch Sprachbarrieren und die daraus resultierenden Verständigungsprobleme erklären, sagte Prätor im Gespräch mit dem "Mediendienst Integration". Auch größeres Misstrauen gegenüber "Fremden" und leichtere Möglichkeiten, sich mit einem deutschen Aggressor zu einigen, ohne die Polizei einzuschalten, nannte sie als Gründe.
Forschungsergebnisse stützen diese Annahme. Eine Studie zu Gewaltdelikten unter Jugendlichen des Kriminologischen Forschungsinstituts Niedersachsen (KFN) fand im Jahr 2022 beispielsweise heraus, dass Gewaltopfer in 6,6 Prozent der Fälle eine Anzeige erstatten, wenn der Aggressor ein Deutscher ist. Bei ausländischen Tatverdächtigen waren es 12 Prozent.
4. Hoher Männeranteil verzerrt Aussagekraft der PKS
Als weiteren Faktor nannte Prätor den vergleichsweise hohen Männeranteil unter Migranten. In allen Gesellschaften seien bei Männern, die sich im Übergang vom Jugend- zum Erwachsenenalter befinden, die höchsten Kriminalitätsraten zu beobachten.
Besonders bedeutsam sei dieser Umstand bei der Einordnung der Registrierungshäufigkeit von in den letzten Jahren zugezogenen Asylsuchenden, unter denen sich erheblich mehr Männer in einem "kriminologisch relevanten" Alter befanden als in der Gesamtbevölkerung. Darauf wies Christian Walburg hin, der am Institut für Kriminalwissenschaften der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster zum Thema Migration und Kriminalität forscht.
So erklärt sich nach Ansicht der Experten, dass der Anteil ausländischer Tatverdächtiger bei Gewaltdelikten (Anteil von etwa 39 Prozent) im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtbevölkerung (etwa 15 Prozent) überproportional hoch ist.
5. Persönliche Lebensumstände
Auch die soziostrukturellen Lebensumstände spielen bei der Frage, ob ein Individuum kriminell wird, eine Rolle. "Das betrifft Dinge wie Bildung, Wohnen, prekäre Lebensverhältnisse, aber auch Gewalterfahrungen", so die Kriminologin Prätor.
Die KFN-Studie zur Jugendkriminalität zeigte, dass diese Faktoren völlig unabhängig von der Herkunft das Risiko für kriminelles Verhalten beeinflussen. Auch BKA-Chef Holger Münch hatte Ende vergangenen Jahres in einem Gespräch mit der "Zeit" erklärt, dass Menschen aus anderen Ländern nicht prinzipiell krimineller seien, aber eben häufig verschiedene Risikofaktoren mitbrächten, die es begünstigen, kriminell zu werden. Dazu zählten neben geringer Bildung und Armut auch, arm und jung zu sein und Traumata erlebt zu haben. Wie zum Beispiel Krieg. "Immer dann, wenn Integration nicht zügig gelingt, geht dies mit einem Anstieg der Kriminalität einher", meinte Münch.
Würden all die genannten Punkte berücksichtigt, gäbe es laut Prätor "keine signifikanten Unterschiede mehr" in Bezug auf ein kriminelles Verhalten von Migranten im Vergleich zu Deutschen.