Deutsche Truppen in der Ukraine? Kiesewetter kontert Wadephul und regt zu Wehrpflicht-Debatte an
In der Debatte über Sicherheitsgarantien für die Ukraine ist man sich in Berlin uneinig. Kiesewetter plädiert dafür, keine Option auszuschließen – die Grünen wollen eine Sondersitzung.
Berlin/Kiew – Wie könnte ein Frieden in der Ukraine abgesichert werden? Die Debatte um diese Frage hat angesichts der jüngsten diplomatischen Entwicklungen im Ukraine-Krieg erneut an Fahrt aufgenommen. Für Kiew ist die Antwort auf die Frage essenziell: Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj betont immer wieder die Bedeutungen von Sicherheitsgarantien für sein Land – und für die Sicherheit Europas. Diskutiert werden dabei verschiedene Szenarien: Eine Nato-Mitgliedschaft, ein Nato-ähnliches Schutzversprechen und auch die Entsendung von Truppen in die Ukraine.
Sicherheitsgarantien für die Ukraine – Kiesewetter fordert: Bundeswehr-Entsendung nicht ausschließen
US-Präsident Donald Trump hat bereits deutlich gemacht: Letztere Aufgabe würde den Europäern zufallen. Die USA wären bereit, sich an der Sicherung des Luftraums zu beteiligen; nicht aber Bodentruppen in die Ukraine zu entsenden, sagte Trump im Fox News-Interview. Aber: hat Donald Trump recht – wäre Deutschland bereit, Truppen zur Friedenssicherung in die Ukraine zu entsenden? CDU-Außenpolitiker Roderich Kiesewetter plädiert dafür, die Option nicht vom Tisch zu nehmen.
„Wir sollten aufhören, Moskau öffentlich Einblick in unsere strategischen Planungen zu gewähren. In Verhandlungen geht man geschwächt, wenn man von vornherein bestimmte Handlungsoptionen ausklammert“, erklärt Kiesewetter gegenüber Merkur.de von IPPEN.MEDIA. „Zur glaubwürdigen Abschreckung Russlands und zum Schutz der Ukraine darf keine Möglichkeit vorzeitig vom Tisch genommen werden.“ Die Entsendung von Soldaten sei derzeit „meilenweit entfernt“, so der CDU-Abgeordnete: Dennoch „sollten wir uns diese Option offenhalten, ohne unsere Pläne öffentlich zu debattieren“.
Deutsche Soldaten in der Ukraine? Wadphul skeptisch – Kiesewetter regt Wehrpflicht-Debatte an
Die Union ist in Sachen Friedenssicherung durch Bundeswehrsoldaten uneins: Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) etwa argumentierte jüngst gegen deutsche Bodentruppen in der Ukraine. Auch Außenminister Johann Wadephul hatte sich skeptisch geäußert, was die Entsendung von Bundeswehrsoldaten in die Ukraine betrifft. Der Minister argumentierte dabei mit den Kapazitäten des deutschen Militärs. „Deutschland kann sich seiner Verantwortung als wirtschaftlich stärkste Nation Europas nicht entziehen“, hält Kiesewetter dem Argument seines Parteikollegen entgegen. „Hier geht es um das Fundament der europäischen Sicherheit und die Architektur unserer gemeinsamen Verteidigung. Dafür ist die Bundeswehr da.“
Dennoch gibt auch Kiesewetter zu bedenken: „Gleichzeitig wird deutlich, dass wir für eine effektive Abschreckung eine personell stärkere Truppe brauchen.“ Dass die sogenannte Zeitenwende „bei weitem noch nicht“ greife, zeige auch die Aussage von Wadephul: „Auch nicht im Mindset und der strategischen Kultur Deutschlands“, so Kiesewetter. Der CDU-Außenpolitiker verweist dabei auf die Debatte um die Wehrpflicht oder einen allgemeinen Gesellschaftsdienst; diese sei vor diesem Hintergrund besonders „dringlich“.
Nach Ukraine-Gipfeln: Grüne berufen Sondersitzungen ein – Linke gegen Entsendung von Nato-Truppen
Über die Entsendung von Truppen könnte nicht einfach die Bundesregierung unter Kanzler Friedrich Merz entscheiden. Der Bundestag müsste darüber abstimmen. Außenminister Johann Wadephul (CDU) sagte im Deutschlandfunk über eine Beteiligung der Bundeswehr an einer möglichen Friedenstruppe müsse auch mit der Opposition gesprochen werden.
Die Grünen haben nach den jüngsten Verhandlungen im Ukraine-Krieg bereits eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses und des Auswärtigen Ausschusses beantragt. Nach Gipfeltreffen in Alaska und Washington „stellen sich viele Fragen, die von zentraler Bedeutung für die Zukunft der Ukraine und Europas sind“, erklärten Sara Nanni, Sprecherin für Sicherheitspolitik, und Luise Amtsberg, Obfrau im Auswärtigen Ausschuss, in einem Statement: „Eine Befassung mit Fragen von solch hoher Tragweite, die nicht zuletzt auch die Sicherheit Deutschlands und Europas direkt berühren, kann nicht bis nach der parlamentarischen Sommerpause warten.“
Die Linkspartei positioniert sich unterdessen gegen eine Entsendung von Bundeswehrsoldaten in die Ukraine. Cansu Özdemir, außenpolitische Sprecherin der Fraktion Die Linke, erklärt gegenüber unserer Redaktion: „Wir glauben, dass die Entsendung von Nato-Truppen nicht die notwendige Sicherheit bringt, und lehnen sie daher ab.“ Bei Sicherheitsgarantien sei entscheidend, „dass sie wirklich Sicherheit bringen“, so die Linken-Abgeordnete. „Nato-Soldaten und russische Soldaten würden sich gegenüberstehen – diese Situation birgt enorme Gefahren.“ Die Linke fordere daher „den Einsatz von unbewaffneten UN-Blauhelmsoldaten sowie die Schaffung einer multilateralen Sicherheitsstruktur unter Einbeziehung Chinas“.
Kiesewetter sieht „nur eine wirklich verlässliche Sicherheitszusage: die Vollmitgliedschaft in der Nato“
Sicherheitsgarantien gegen weitere russische Angriffe gelten als eine Grundvoraussetzung dafür, dass die Ukraine in Verhandlungen mit Russland Zugeständnisse macht. Deutschland und seine Partner arbeiten nach den Worten von Verteidigungsminister Boris Pistorius mit Hochdruck an Details. Was die Ausgestaltung der Sicherheitsgarantien für die Ukraine betrifft, argumentiert Kiesewetter für einen Nato-Beitritt: „Für die Ukraine gibt es letztlich nur eine wirklich verlässliche Sicherheitszusage: die Vollmitgliedschaft in der Nato.“
Allein eine Nato-Mitgliedschaft biete „den entscheidenden nuklearen Schutzschild gegen russische Aggression und Erpressungsversuche“. Dabei verweist Kiesewetter auf die Erfahrungen der Vergangenheit: „Insbesondere das gescheiterte Budapester Memorandum von 1994 und die beiden Minsker Abkommen von 2014 und 2015 haben gezeigt, dass vertragliche Zusicherungen ohne eine starke militärische, insbesondere nukleare Komponente wirkungslos bleiben.“
Russland lehnt Nato-Truppen für Kiew ab: „Warum sollten wir dem Aggressor ein Vetorecht einräumen?“
Russland lehnt einen Nato-Beitritt der Ukraine strikt ab. Ebenso kündigte Moskau an, keine Nato-Truppen zur Friedenssicherung in der Ukraine zu akzeptieren und drohte mit einer globalen Konfrontation. „Warum sollten wir dem Aggressor ein Vetorecht über unsere Sicherheitsmaßnahmen einräumen?“, fragt Kiesewetter. „Das bestärkt doch nur Russland in seinem brutalen und völkerrechtswidrigen Vorgehen.“
Mit Blick auf Sicherheitsgarantien für die Ukraine erklärt er: „Die Priorität liegt klar darin, Russland abzuschrecken und die territoriale Integrität der Ukraine zu schützen.“ Dabei dürfe sich der Westen nicht „von der Akzeptanz Moskaus leiten lassen“ – das „wäre ein Zeichen von Schwäche“, so Kiesewetter. „Wir müssen davon ausgehen, dass jede Vereinbarung von russischer Seite auf die Probe gestellt werden wird, genauso wie wir schon jetzt ständige Tests unserer Entschlossenheit an der Nato-Ostflanke und durch hybride Attacken erleben.“ (pav)