Schlechte Stimmung bei der EU: Deutsche Grenzkontrollen kommen „ganz, ganz schlecht“ an

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Die neue Grenzpraxis Deutschlands erzeugt Unmut in der EU. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahmen ist umstritten. Ein „Domino-Effekt“ wird befürchtet.

Berlin – Die deutsche Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments, Katarina Barley (SPD), äußert sich kritisch zur Migrationspolitik der schwarz-roten Bundesregierung. Insbesondere die verschärften Grenzkontrollen und Zurückweisungen stoßen laut der SPD-Politikerin in Brüssel auf Ablehnung. Diese Maßnahmen kämen dort „ganz, ganz schlecht“ an, erklärte Barley im BR.

Sie betonte zudem: „Der Schengenraum ist ja mit das größte Geschenk für Europa.“ Barley warnte davor, die derzeitigen Maßnahmen als umfassende Lösung des Problems darzustellen. „Wir erwecken eine Erwartungshaltung bei den Bürgern, die man nicht erfüllen kann“, sagte sie. Auch der Europaabgeordnete Damian Boeselager (Volt) sorgte sich um das Schengen-Abkommen: „Wenn nicht einmal Deutschland sich an diese Regeln hält, entsteht ein Domino-Effekt“, sagte er dem epd.

Mehr Schleierfahnungen statt Grenzkontrollen gefordert: Resultate „sehr überschaubar“

Die bisherigen Resultate seien sie als „sehr überschaubar“, meint Barley. Der Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hingegen berichtete am Donnerstag (15. Mai) von 45 Prozent mehr Zurückweisungen an den Grenzen. Ressourcenintensiv ist die neue Grenzregelung in jedem Fall. „In spätestens drei Wochen wird die massive personelle Überlastung ihre Maßnahmen faktisch beenden“, spekulierte der Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz.

Statt auf feste Grenzkontrollen zu setzen, plädierte Barley für sogenannte Schleierfahndungen – also verdeckte oder anlasslose Kontrollen durch die Polizei im Grenzgebiet. Auch der stellvertretende Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Sven Hüber, plädierte für Schleierfahndungen mit besserer technischer Ausstattung. Schleuser seien „hochprofessionell und beobachten unsere Aktivitäten“ – das vermindere den Ertrag der Grenzkontrollen, meint Hüber.

Ein Polizist führt an der deutsch-dänischen Grenze im Kreis Schleswig-Flensburg Kontrollen durch.
Deutsche Grenzkontrollen in der Kritik: Nachbarländer vermuten den Verstoß gegen EU-Recht (Symbolbild). © picture alliance/dpa | Marcus Golejewski

Dobrindts „Abstimmung“ mit Nachbarn läuft schleppend: Polen wartet auf Gespräch

Dobrindt hatte unmittelbar nach seinem Amtsantritt eine Ausweitung der Grenzkontrollen angeordnet. Zusätzlich ließ er verfügen, dass auch Asylsuchende an der Grenze abgewiesen werden können – eine Maßnahme, die laut Koalitionsvertrag von Union und SPD „in Abstimmung mit unseren europäischen Nachbarn“ erfolgen soll. Die ist bisher nur zum Teil passiert.

Während Österreichs Bundesinnenminister Gerhard Karner (ÖVP) Dobrindts sogenannte Asylwende mittlerweile lobt, steht der Austausch mit dem den Änderungen kritisch gegenüberstehenden Polen noch aus. Laut Polens Regierungschef Donald Tusk seien die deutschen Grenzkontrollen nur Symbolik und gefährdeten das Schengen-Abkommen.

Aus vielen EU-Ländern hagelt Kritik, zum Teil auch aus Österreich. Der österreichische Europaparlamentarier Lukas Mandl kritisierte, dass „die deutsche Bundesregierung jetzt zulasten ganz Europas ihre eigene innenpolitische Imagekrise lösen will.“ Man brauche europäische Lösungen, plädierte Mandl. In anderen EU-Ländern wird die rechtliche Überprüfung von Dobrindts Maßnahmen gefordert.

Deutsche Grenzkontrollen gegen EU-Recht? Luxemburg und Belgien hinterfragen Rechtmäßigkeit

Der luxemburgische Innenminister Léon Gloden kritisierte laut ARD den deutschen „Alleingang“ in Sachen Migrationspolitik. „Ich gehe davon aus, dass die deutschen Behörden das auch alles rechtlich sorgfältig überprüft haben“, so Gloden weiter. Zumindest rechtlich ist das wohl nicht geschehen. „Ich bezweifle, dass diese Kontrollen im Einklang mit diesen Artikel im Schengen-Kodex stehen“, erklärt der EU-Abgeordnete Pascal Arimont der belgischen Christlich Sozialen Partei (CSP). Er habe die EU-Kommission aufgefordert, die Maßnahmen juristisch zu prüfen.

Aktuell ist unklar, ob Dobrindts Grenzregelung gegen geltendes EU-Recht verstößt. „Wir hoffen alle, dass irgendwann ein Gericht mal sagt, ob das jetzt wirklich europarechtskonform ist oder nicht“, sagt Heiko Teggatz von der Bundespolizeigewerkschaft DPolG laut ARD. Der Professor für Sozialrecht Constantin Hruschka schätzte die aktuelle Zurückweisungspraxis in einem im Verfassungsblog erschienen Artikel als „evident rechtswidrig“ ein. Die GdP fordert eine Freistellung von rechtlichen Konsequenzen, da die Rechtsauslegungspraxis nicht auf Kosten der Beamten gehen dürfe. (lismah/dpa)

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