45 Prozent mehr Zurückweisungen an der deutschen Grenze unter Dobrindt – eine trügerische Bilanz

  1. Startseite
  2. Politik

Kommentare

Innenminister Alexander Dobrindt feiert seine Migrationspolitik als Erfolg. Doch die Bilanz ist trügerisch: Kritikerinnen und Kritiker sprechen von Symbolpolitik.

Kiefersfelden – Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) hat sich in dieser Woche für die gestiegene Zahl der Zurückweisungen an den deutschen Grenzen feiern lassen.

Laut Angaben des Ministers wurden in den vergangenen sieben Tagen 739 Menschen zurückgewiesen – ein Anstieg von 45 Prozent im Vergleich zur Vorwoche. Doch die Zahlen, die von Dobrindt als Erfolg gewertet werden, erweisen sich bei genauerem Hinsehen als problematisch und irreführend.

Dobrindt stolz auf Zurückweisung von Asylsuchenden

Dobrindt präsentierte die Bilanz bei einem Besuch der Kontrollstelle an der Autobahn 93 an der bayerisch-österreichischen Grenze. Sein Fazit: „Die Kontrollen wirken.“ Besonders stolz hob er hervor, dass auch Asylsuchende unter den Zurückgewiesenen seien – von 51 Personen, die ein Asylgesuch äußerten, wurden 32 abgewiesen. Die anderen seien als vulnerable Personen – dazu zählen etwa Kinder oder Schwangere – ins Land gelassen worden. Dies sei ein „Signal“, dass sich die deutsche Migrationspolitik geändert habe.

Denn dies ist der Kern von Dobrindts Asylwende: Er hat die Bundespolizei angewiesen, auch Asylsuchende an den Grenzen abzuweisen. Kritikerinnen und Kritiker werfen ihm vor, die rechtlichen und humanitären Grundlagen zu ignorieren, auf denen das europäische Asylsystem basiert.

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (M) und Markus Söder (2.v.r), bayerischer Ministerpräsident, besuchen am Nachmittag die Grenzkontrollstelle Kiefersfelden an der A 93.
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (M) und Markus Söder (2.v.r), bayerischer Ministerpräsident, besuchen am Nachmittag die Grenzkontrollstelle Kiefersfelden an der A 93. © Peter Kneffel/dpa

Zurückweisung von Asylsuchenden steht im Widerspruch zu Dublin-Regelungen

Die Zurückweisung von Asylsuchenden an der Grenze steht im Widerspruch zu den europäischen Dublin-Regelungen, die Deutschland verpflichten, Asylgesuche zumindest zu prüfen. Laut Menschenrechtsorganisationen handelt es sich um eine potenziell rechtswidrige Praxis, die den Schutzsuchenden den Zugang zu einem fairen Verfahren verwehrt. Die Bundesregierung rechtfertigt ihr Vorgehen mit nationalem Recht und der Behauptung, es handle sich um eine „Notlage“. Doch diese Argumentation wird von vielen als vorgeschoben betrachtet, um die restriktive Politik zu legitimieren.

Was sind irreguläre Einreisen?

Irreguläre Einreisen bezeichnen das Überqueren einer staatlichen Grenze ohne die erforderlichen Dokumente oder Genehmigungen. Dabei handelt es sich um Personen, die keinen gültigen Aufenthaltstitel, kein Visum oder keine Duldung besitzen. Häufig wird der Begriff auch mit „unerlaubter Einreise“ gleichgesetzt. Wichtig ist: Migration an sich ist nicht illegal, sondern nur das Überschreiten einer Grenze ohne die dafür nötigen Papiere.

Die verschärften Grenzkontrollen sehen nun vor, dass bestimmte Gruppen von Menschen direkt an der Grenze abgewiesen werden können. Dazu gehören:

Asylsuchende aus sicheren Drittstaaten:
Nach deutschem Asylrecht (Art. 16a GG) dürfen Personen, die aus einem sicheren Drittstaat einreisen, keinen Asylantrag in Deutschland stellen. Alle Nachbarländer Deutschlands gelten als sichere Drittstaaten.

Personen mit einer bestehenden Einreisesperre:
Menschen, die zuvor abgeschoben wurden und mit einem Wiedereinreiseverbot belegt sind, dürfen nicht erneut einreisen.

Personen ohne gültige Reisedokumente:
Wer keine Papiere vorlegen kann, die den Aufenthalt in Deutschland rechtfertigen, wird zurückgewiesen.

Personen, die keine Schutzbedürftigkeit nachweisen können:
Schutzbedürftige wie Kinder, Schwangere oder Schwerkranke dürfen nicht zurückgewiesen werden. Alle anderen können jedoch abgewiesen werden, selbst wenn sie einen Asylantrag stellen möchten.

Die Zahlen selbst werfen ebenfalls Fragen auf. So ist unklar, wie viele der Zurückgewiesenen tatsächlich Schleusern oder kriminellen Netzwerken angehörten, wie von Dobrindt behauptet. Vielmehr zeigt die Statistik, dass Asylsuchende, darunter auch besonders schutzbedürftige Personen wie Kinder oder Schwangere, zunehmend an der Grenze abgewiesen werden könnten. Menschenrechtler warnen vor den humanitären Konsequenzen dieser Politik, die Menschen in prekäre Situationen zurückdrängt.

Deutschland betreibt mit Zurückweisungen an der Grenze Symbolpolitik

Die schärferen Kontrollen und die gestiegenen Zurückweisungen werden von der Regierung als Erfolg verkauft, doch Kritikerinnen und Kritikerinnen und Kritiker sprechen von Symbolpolitik. Die Maßnahmen binden erhebliche Ressourcen der Bundespolizei, die andernorts dringend benötigt würden.

Zudem belasten sie das Verhältnis Deutschlands zu seinen Nachbarn, insbesondere Österreich und Polen, die sich über die einseitige Verschärfung der Grenzpolitik beschweren. In dem Zusammenhang bestätigte Dobrindt einen Bericht des Nachrichtenmagazins Spiegel, wonach an der dortigen Grenze zuletzt die Zurückweisung zweier Migranten aus Afghanistan am Widerstand polnischer Beamter scheiterte. 

Kritik an Zurückweisungen von Grünen und der Polizeigewerkschaft

Die Grünen und andere Oppositionsparteien bezeichnen das Vorgehen als „Grenztheater“ und werfen der Regierung vor, rechtsstaatliche Prinzipien zu untergraben. Der innenpolitische Sprecher der Grünen, Marcel Emmerich, kritisierte: „Schutzsuchende, die vor Krieg und Verfolgung fliehen, verdienen rechtsstaatliche Verfahren – keine rechtswidrige Zurückweisung.“

Auch die Gewerkschaft der Polizei warnt, dass die verstärkten Kontrollen personell und logistisch nicht lange durchzuhalten seien. (sot mit dpa/afp)

Auch interessant

Kommentare