Macht Trump unsere Welt gerade besser? 9 Fragen und 9 Antworten verraten es
Selten ist ein Vorgang so eindeutig, wie er auf den ersten Blick wirkt: Regen kann die Party verderben oder das Gras retten, Streit Harmonie zerstören oder Lösungen bringen.
Diese Spannung von Realität und Realitätswahrnehmung verkörpert wie kaum ein zweiter Politiker Donald Trump in seiner Persönlichkeit („der Milliardär, der von den einfachen Leuten verehrt wird“) und in seinen Handlungen:
Hat der amerikanische Präsident gerade etwas für den Frieden zwischen Russland und der Ukraine getan oder ist er Wladimir Putin auf den Leim gegangen und dabei, Kiew zu verraten?
Für beide Version findet man nach dem Trump-Putin-Gipfel in Alaska und Trumps anschließendem Treffen mit Wolodymyr Selenskyj sowie europäischen Spitzenpolitikern wie Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Keir Starmer Argumente wie Widerlegungen. Stellen wir uns den wichtigsten Fragen:
Ist die Ukraine in Alaska einem Frieden nähergekommen?
Das lässt sich bislang nicht behaupten. An Zusagen oder Vereinbarungen hat Trump nichts aus seinem Gipfel mit Putin mitgebracht. Der russische Präsident hat sich nicht erkennbar bewegt – und wenn Trump jetzt versichert, Putin sei „im Prinzip“ bereit zu einem Treffen mit Selenskyj, wird dies mit dermaßen vielen Vorbedingungen verbunden, dass es eine schwammige Möglichkeit im Ungefähren bleibt.
Kann Russland zufrieden sein?
Ja. Putin selbst, nach der Jurisdiktion vieler Länder ein Kriegsverbrecher, hat eine internationale Aufwertung erfahren durch seine Einladung in die USA, wo ihn Trump applaudierend am Rollfeld begrüßte. Der russische Präsident, der von Europa als größte Sicherheitsbedrohung wahrgenommen wird, wurde vom amerikanischen Amtskollegen in Alaska als „Wladimir“ angesprochen (während Putin korrekt bei „Mr. President“ blieb) und wie ein alter Freund behandelt.

Ist die Ukraine wieder auf der internationalen Tagesordnung?
Eindeutig ja: Seit Alaska ist der Ukraine-Krieg wieder ganz oben auf der Liste politischer Prioritäten. Das Thema, das Trump in Alaska setzte, haben die Staats- und Regierungschefs von Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Finnland und Italien aufgegriffen und gemeinsam mit Selenskyj am Montag im Weißen Haus diskutiert. Die Nato ist durch ihren Generalsekretär involviert, die EU durch die Kommissionspräsidentin.
Diese neue Dynamik konnte ausschließlich der Präsident der Vereinigten Staaten von Amerika in die festgefahrenen Fronten bringen – weil Washington seit 1990 die einzige Supermacht auf der Erde führt und Moskau nicht mehr (und Peking zumindest noch nicht) auch nur annähernd auf Augenhöhe gekommen ist.
Es ist völlig offen, ob dadurch echte Bewegung entsteht oder nur ein Laufen auf der Stelle zu besichtigen ist. Aber den Versuch mag es wert sein. Dafür gebührt Trump Lob.
Wird demnächst ein Waffenstillstand vereinbart?
Offenkundig nicht. Putin hat einen Waffenstillstand gegenüber Trump abgelehnt, weil seine Truppen auf einem (langsamen) Vormarsch sind. Den wird sich der Kreml-Chef nicht durch ein Einfrieren der Front stoppen lassen.
Trump, der mit der Idee eines Waffenstillstands nach Alaska reiste, verzichtet inzwischen auf die Forderung. Und selbst die Europäer, als deren Wortführer Kanzler Merz zu Beginn des Gesprächs mit Trump noch die Forderung nach einem Waffenstillstand formulierte, haben inzwischen ihre Rhetorik geändert. „Das Morden muss aufhören“, sagen Ursula von der Leyen und deutsche Regierungsvertreter inzwischen.
Trump behauptet, Kriege ließen sich auch beenden ohne einen vorangegangenen Waffenstillstand, und das ist natürlich richtig – aber im Falle der Ukraine bedeutet dies eine blutige Fortsetzung des Waffenganges einschließlich weiterer russischer Zermürbungsangriffe gegen zivile Ziele.
Wie könnte ein Frieden aussehen?
Vorsicht! Während Putin unter „Frieden“ eine Übertragung der ganz oder teilweise eroberten Gebiete im Osten der Ukraine an Russland versteht, samt weiteren Zugeständnissen Kiews, fordert Selenskyj eine Friedenslösung ohne territoriale Verluste.
Und Trump? Für ihn ist ein Frieden erreicht, wenn die Waffen schweigen – und er sich als Vermittler seinem großen Ziel, den Friedensnobelpreis zugesprochen zu bekommen, näher wähnt.
Was sind Putins Ziele?
Zurück zu Putin: Seine Motive sind eindeutig, er will als imperialistischer Machtpolitiker Russland größer machen und in der Tradition slawophiler Denker wie Iwan Iljin mit dem Kiewer Rus verbinden, dem gemeinsamen mittelalterlichen Vorläufer von Russland, Ukraine und Belarus.
In der ukrainischen Eigenstaatlichkeit sieht er ein Manöver „des Westens“ gegen Russland. Ihm geht es nicht wirklich um die angebliche Einkreisung seines Landes durch die Nato, zumal erst sein Angriff auf die Ukraine vor dreieinhalb Jahren den direkten Anrainer Finnland und den regionalen Nachbarn Schweden in die nordatlantische Verteidigungsallianz getrieben hat. Demnach wäre Russland durch den Krieg in eine stärkere Bedrohungssituation geraten als dies zuvor der Fall war.
Warum steckt Selenskyj in einem Dilemma?
Selenskyj kämpft hingegen ums Überleben seines Landes. Laut Verfassung darf er auf kein Territorium verzichten. Aber er weiß angesichts des russischen Vormarschs, dass er um territoriale Zugeständnisse kaum herumkommen wird.
Eine Lösung dieses Dilemmas könnte darin bestehen, von Russland eroberte Gebiete „bis zu einer friedensvertraglichen Lösung“ russischer Verwaltung zu unterstellen. So tat dies die Bundesregierung in Form der Ostverträge mit Moskau und Warschau Angang der 1970er Jahre mit Ostpreußen, Pommern und Schlesien, während erst im Zwei-plus-vier-Vertrag 1990 die Gebietsabtretungen völkerrechtlich besiegelt wurden.
Putin hält etwa ein Fünftel der Ukraine besetzt. Da wäre es naiv anzunehmen, am Ende des Krieges würde Russland diese Gebiete zurückgeben. Selenskyj ist nicht naiv.
Warum ist es seit Alaska schwieriger für die Europäer?
Trump will das leidige Thema Ukraine schnell loswerden. Immerhin betonte er die Bereitschaft der USA, an Sicherheitsgarantien für das Land mitzuwirken. Aber Bodentruppen werden die Amerikaner diesmal wohl kaum schicken, und das ist sogar verständlich.
Macron, Starmer und zuletzt auch Merz haben signalisiert, dass ihre Länder „Friedenstruppen“ schicken würden. Das wird die europäischen Wehretats massiv fordern und die Gesellschaften über die kommenden Jahre vor große Herausforderungen stellen – doch es ist schlicht logisch, dass die USA nicht länger für derartige Aufgaben in diesem Teil der Welt zur Verfügung stehen und darum von den Europäern entsprechendes Engagement erwarten.
Trump hat in gewisser Weise das Erwachsenwerden Europas durch seine angekündigte Abwendung von diesem Kriegsherd erzwungen.
Fazit: Macht Trump unterm Strich einen Frieden wahrscheinlicher?
Ja – falls die Europäer ihren Kurs fortsetzen, Trump fast bis zur Selbstaufgabe zu loben und dabei ihre Forderungen insbesondere nach einer US-Teilhabe an Sicherheitsgarantien für die Ukraine aufrechterhalten. Trump seinerseits will den Friedensnobelpreis und darum einen „Deal“ mit Putin. Nun geht es für Selenskyj und die anderen Europäer darum, allzu schmerzliche Zugeständnisse der Ukraine zu vermeiden.
Putin seinerseits hat es nicht eilig, er spielt auf Zeit. Auch darum seine offenkundige Zusage an Trump, er sei zu einem Zweiertreffen mit Selenskyj bereit: Zuvor wird er auf den diversen Ebenen von Sondergesandten und Diplomaten und Experten und Ministern Streitfragen auszuräumen versuchen – und zugleich seine Angriffe mit Raketen und Drohnen unvermindert fortsetzen.
Aber Putin will Russland auch aus der internationalen Isolation herausholen und daher die Chance ergreifen, die Trump ihm bietet – nicht sofort, aber auch nicht in so weiter Zukunft, dass Trump ungeduldig würde und weitere Sanktionen gegen Russland und „Sekundärzölle“ gegen Russlands Handelspartner verkündet.
Durch Alaska ist ein neuer Realismus in die Debatte eingezogen. So wurde inzwischen klar ausgesprochen, dass die Ukraine auf Territorium wird verzichten müssen: „Land für Frieden“. Mit Gerechtigkeit hat das wenig zu tun. Aber die Geschichte ist nicht gerecht, sondern wird maßgeblich von den Mächtigen akzentuiert.
Von unserem Autor Ansgar Graw erschien unlängst das Buch: „Die Ära Trump. Chancen und Risiken für Amerika und die Welt“
Dieser Beitrag stammt von The European.