Ideen zur Bundestagswahl - Was beim Bürgergeld überhaupt geändert werden kann – und was nicht geht
Regelsätze senken
„Mein Vorschlag wäre eine Anpassung nach unten“, sagte der FDP-Fraktionschef Christian Dürr im August zum Bürgergeld. Seine Partei wolle die Regelsätze um 14 bis 20 Euro pro Monat kürzen, weil sie um diesen Betrag aktuell zu hoch lägen.
Dazu müssen wir einmal kurz erklären, wie die Regelsätze überhaupt berechnet werden. Das Bundesverfassungsgericht hatte 2010 festgeschrieben, dass die Bundesregierung diese transparent am realen Existenzminimum orientieren müsse. Das wird alle fünf Jahre mit der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe (EVS) ermittelt. Eine neue Stichprobe dürfte dieses Jahr erscheinen. In den Jahren zwischen zwei EVS muss die Erhöhung deswegen geschätzt werden. Dafür gibt es eine Formel, die zu 70 Prozent die Inflation grundlegender Dinge wie Mieten und Lebensmitteln berücksichtigt und zu 30 Prozent die Entwicklung der Nettolöhne. Für eine Erhöhung sind jeweils die Daten des Vorjahres entscheidend.
Eine pauschale Kürzung der Regelsätze wäre also gesetzlich nicht möglich. Durchaus geändert werden kann aber die Berechnung. Dazu müsste die FDP eine Formel finden, die das im Grundgesetz garantierte Existenzminimum niedriger definiert als es heute der Fall ist – und diese Berechnung dann vor dem Bundesverfassungsgericht verteidigen können, denn Klagen dürften programmiert sein. Dass eine Bundesregierung das Bürgergeld nach der Wahl senkt, ist also unwahrscheinlich.
Regelsätze erhöhen
Wie sieht es mit dem umgekehrten Fall aus? Könnte eine Bundesregierung die Regelsätze pauschal erhöhen? Aktuell fordert das keine Partei mit Chancen auf Bundestagsmandate. Die Höhe des Bürgergeldes wird aber immer wieder von Sozialverbänden kritisiert. Tatsächlich ist aber auch eine pauschale Erhöhung nicht möglich. Auch in diesem Fall wäre eine Bundesregierung an die bisherigen Berechnungsformeln gebunden. Wollte sie diese so ändern, dass sich die Regelsätze erhöhen, müsste sie zuvor begründen, warum sich der tatsächliche Bedarf erhöht hat, den ein Bürgergeld-Empfänger hat. Das Bundesverfassungsgericht verlangt eben eine „transparente und nachvollziehbare“ Berechnung der Regelsätze. Pauschal eine bestimmte Summe aufzuschlagen, wäre weder das eine noch das andere. Eine pauschale Erhöhung der Bürgergeld-Regelsätze ist entsprechend ebenfalls unwahrscheinlich.
Abzug für Verweigerer
Gerade CDU/CSU und FDP arbeiten sich seit rund einem Jahr an den „Totalverweigerern“ ab, eine Gruppe von geschätzten 16.000 Menschen unter den 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern (also 0,3 Prozent), die jegliche zumutbare Arbeit ablehnen, die ihnen Jobcenter anbieten. Diesen würden die Konservativen und Liberalen das Bürgergeld komplett streichen. Bisher sind maximal Kürzungen des Regelsatzes um 30 Prozent für maximal drei Monate möglich. Daran wird sich auch nicht viel ändern. Das Bundesverfassungsgericht hatte bereits 2019 entschieden, dass Kürzungen um 100 Prozent nicht mit dem Grundgesetz vereinbar wären. Sie erinnern sich? Das Bürgergeld soll das Existenzminimum sichern. Das gilt auch für Menschen, die nicht arbeiten wollen. Demnach sind Kürzungen von 30 Prozent über kurze Zeiträume wie einige Monate in Ordnung, stärkere aber nicht. Eine Streichung des Bürgergeldes für Totalverweigerer wird es deshalb nicht geben.
Kein Bürgergeld für ukrainische Flüchtlinge
Wenn man schon nicht die Ausgaben pro Bürgergeld-Empfänger senken kann, dann ließe sich doch sicher dadurch Geld sparen, dass man den Kreis der Bedürftigen verkleinert. Entsprechend brachte die CDU im Dezember die Idee ein, ukrainischen Flüchtlingen kein Bürgergeld mehr zu bezahlen. Auch das erfordert ein bisschen Hintergrundwissen.
Grundsätzlich bekommen Asylbewerber in Deutschland kein Bürgergeld, sondern Leistungen aus dem Asylbewerberleistungsgesetz. Ohne genau ins Detail zu gehen, sind diese Leistungen deutlich niedriger als das Bürgergeld. Erst wenn ein Asylbewerber Asyl zugesprochen bekommt, hat er auch Anspruch auf Bürgergeld. Für ukrainische Flüchtlinge verabschiedete die EU im März 2022, wenige Wochen nach Kriegsausbruch, die Massenzustrom-Richtlinie. Um dem Ansturm von Millionen ukrainischer Flüchtlinge Herr zu werden, wurde beschlossen, dass diese automatisch als anerkannte Asylbewerber gelten, ohne ein Verfahren durchlaufen zu müssen. Bundesregierung und Bundesländer beschlossen daraufhin im April 2022, dass Ukrainer in Deutschland sofort als schutzberechtigt gelten. Damit haben sie auch sofort Anspruch auf Bürgergeld und dürfen im Gegensatz zu Asylbewerbern auch sofort arbeiten. Die EU-Staaten haben die Richtlinie seitdem immer wieder verlängert, sie gilt aktuell bis zum 4. März 2026.
Was nach dem Asylbewerber-Leistungsgesetzes zu zahlen ist
Die CDU argumentiert nun, dass die Richtlinie der EU nicht vorgibt, dass Ukrainer in Deutschland Bürgergeld erhalten müssen. Es wäre auch möglich, ihnen nur die geringeren Leistungen des Asylbewerber-Leistungsgesetzes zu zahlen. Das würde rund 100 Euro pro Monat und ukrainischem Flüchtling sparen, insgesamt also rund 120 Millionen Euro pro Jahr.
Das ist allerdings nicht so einfach möglich. Denn die beiden Gesetze unterscheiden sich nicht nur durch die Höhe der Regelsätze. Mit dem Bürgergeld geht eben auch diese Möglichkeit einher, eine Arbeit in Deutschland aufzunehmen. Würden Ukrainer nach dem Asylbewerberleistungsgesetz behandelt, dürften sie wie alle anderen Asylbewerber nicht arbeiten. Dabei schreibt die EU-Richtlinie aber eben vor, dass Ukrainern der Zugang zum Arbeitsmarkt ermöglicht wird. Um beides miteinander zu vereinbaren, müsste die CDU also eine neue Art des Schutzstatus schaffen, der niedrigere Leistungen als Bürgergeld bietet, aber Arbeit erlaubt und nur für ukrainische Flüchtlinge gilt. Das hätte vor dem Bundesverfassungsgericht wohl keine Chance. Entsprechend ist der Vorschlag, ukrainische Flüchtlinge vom Bürgergeld auszunehmen, Quatsch.
Arbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger
Eine weitere Idee von CDU, CDU, AfD und FDP ist einen Arbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger. „Dazu zählen Reinigungs- und Hilfsarbeiten für Spielplätze, Parks oder auch Bahnhöfe“, sagte der stellvertretende FDP-Fraktionsvorsitzende Christoph Meyer gegenüber der Bild. „Jeder, der in Deutschland Bürgergeld bezieht und arbeiten kann, muss arbeiten gehen“, sagte CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann in der Bild am Sonntag. „Jeder, der arbeiten kann, soll auch arbeiten, anstatt der Gesellschaft zur Last zu fallen“, schreibt die AfD in einem Leitantrag zur Bundestagswahl.
Die Idee klingt charmant. Befürworter argumentieren, dass Langzeitarbeitslose so etwas für die Gemeinschaft leisten würden, die ihnen das Bürgergeld finanziere, und dass Menschen, die lange ohne Job waren, so wieder an einen geregelten Arbeitsalltag gewöhnt werden. Das solle denn auch die Vermittlung in richtige, sozialversicherungspflichtige Jobs erleichtern.
Ein-Euro-Jobs für Hartz-IV-Empfänger gab es mal
Doch solche Argumente vergessen eins: Es gab schon einmal eine solche Arbeitspflicht, die berühmten Ein-Euro-Jobs für Hartz-IV-Empfänger, offiziell „Arbeitsgelegenheit mit Mehraufwandsentschädigung“. Sie wären bis heute rein rechtlich einsetzbar. Die Stadt Schwerin möchte sie etwa künftig wieder für Asylbewerber und Bürgergeld-Empfänger nutzen, in Thüringen tun dies bereits zwei Landkreise.
Dass sie flächendeckend nicht mehr genutzt werden, hat rein pragmatische Gründe: „Angenommen, man verpflichtet eine Gruppe von zwölf Arbeitslosen zu Laubarbeiten im Park – dann braucht man einen Bus für den Transport und auch einen Fahrer oder eine Fahrerin. Man braucht mindestens zwei Personen als Anleiter, die die Arbeiten überwachen – und man braucht noch Mitarbeitende in der Verwaltung, die sich um die Vermittlung der gemeinnützigen Arbeiten kümmern. Das ist sehr teuer und personalintensiv – und man entfernt sich ganz weit von dem Ziel, die Menschen in sozialversicherungspflichtige Arbeit zu vermitteln. Das hilft der Wirtschaft also gar nicht“, sagt Detlef Scheele (SPD) in der Zeit. Er war bis 2022 Chef der Bundesagentur für Arbeit, davor Sozialsenator in Hamburg und davor Geschäftsführer der Hamburger Arbeit-Beschäftigungsgesellschaft (HAB), einem Unternehmen, dass eben solche Ein-Euro-Jobs damals anbot.
Ein-Euro-Jobber dürfen nicht mit regulären Jobs konkurrieren
Zudem dürfen Ein-Euro-Jobber nicht mit regulären Jobs konkurrieren. Sie werden deswegen vermehrt in Feldern eingesetzt, die mit dem realen Arbeitsmarkt wenig zu tun haben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsfeldforschung (IAB) kam 2023 in einer Analyse zu dem Ergebnis, dass die Wahrscheinlichkeit, einen regulären Job aufzunehmen, für Ein-Euro-Jobber dadurch sogar leicht sinkt. Ausnahmen gibt es nur dort, wo Menschen Hilfstätigkeiten ausführen, die nahe an einem realen Job sind. Genannt wurden etwa Frauen, deren Ein-Euro-Job im Gesundheits- oder Pflegebereich liegt. Dort ist dann aber wieder die Gefahr hoch, dass durch die Arbeitspflichtigen reguläre Jobs verdrängt werden.
Trotz aller Nachteile gibt es keine rechtlichen Hürden, die eine Arbeitspflicht verhindern würde. Da sich die konservativen und liberalen Parteien in ihren Forderungen einig sind, ist eine Arbeitspflicht für Bürgergeld-Empfänger nach der Wahl also wahrscheinlich.
Bürgergeld abschaffen
Die ultimative Idee, die ebenfalls vor allem CDU/CSU, AfD und FDP propagieren, ist, dass Bürgergeld einfach komplett abzuschaffen und durch eine neue Sozialleistung zu ersetzen. Der Arbeitstitel dafür lautet meist „Neue Grundsicherung“. Das ist theoretisch natürlich möglich. Aber: Auch eine neue Grundsicherung muss den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts genügen. Sie müsste sich also nach dem Urteil von 2010 „transparent und nachvollziehbar“ am realen Existenzminimum in Deutschland orientieren und könnte demnach nicht niedriger oder höher liegen als die heutigen Bürgergeld-Regelsätze (siehe Punkte zu Bürgergeld senken und erhöhen). Außerdem wären nach dem Urteil von 2019 keine Sanktionen von mehr als 30 Prozent über einen kurzen Zeitraum möglich (siehe Punkt zu Sanktionen). Im Endeffekt wäre eine Abschaffung des Bürgergeldes also nur eine Änderung des Namens.
Wie bei der Arbeitspflicht gilt aber auch hier, dass eine Änderung nach der Wahl wahrscheinlich ist, wenn sich eine konservative Regierung bilden sollte. Das gilt schon allein deswegen, weil diese Parteien jetzt seit Jahren das Bürgergeld zum Feindbild hochstilisiert haben und des deswegen schon aus Image-Gründen abschaffen müssten, selbst, wenn sich dadurch inhaltlich nichts ändert.