Scholz besucht Erdogan in der Türkei – Experte warnt Kanzler vor Deals mit Ankara
Bundeskanzler Scholz wird sich am Samstag mit dem türkischen Präsidenten Erdogan in der Türkei treffen. Experten mahnen zur Vorsicht im Umgang mit Ankara.
Istanbul - Am Samstag reist Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) nach Istanbul, um sich mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan zu treffen. Zuletzt hatte es Annäherung zwischen beiden Seiten gegeben. So hatten sich Berlin und Ankara in Sachen Abschiebungen von türkischen Staatsbürgern geeinigt. Nach einem Bericht der Frankfurter Allgemeinen Zeitung sollen so 13.500 Türken aus Deutschland abgeschoben werden – bis zu 500 jeden Monat. Hatte ein Sprecher des türkischen Außenministeriums eine Einigung in der Sache dementiert, kam die Bestätigung von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) auf X.
„Wir haben erreicht, dass Rückführungen in die Türkei schneller & effektiver erfolgen können & die Türkei Staatsbürger, die nicht in Deutschland bleiben dürfen, schneller zurücknimmt. Das ist ein weiterer Baustein zur Begrenzung der irregulären Migration“, so die Ministerin.
Scholz vor Staatsbesuch bei Erdogan –Bundesregierung weicht Frage zu Menschenrechten aus
Auf die Anfrage unserer Redaktion, ob auch Themen wie Menschenrechte besprochen werden sollen, antwortet die Bundesregierung ausweichend. Die Reise des Bundeskanzlers nach Istanbul sei am vergangenen Freitag in der Regierungspressekonferenz vom stellvertretenden Regierungssprecher Wolfgang Büchner wie folgt angekündigt worden:
„Am Samstag, dem 19. Oktober, wird er in Istanbul mit Staatspräsident Erdoğan sprechen. Anschließend ist eine Pressekonferenz geplant. Den Inhalten können wir hier nicht vorgreifen. Aber es ist davon auszugehen, dass der Krieg Russlands gegen die Ukraine ebenso wie die Lage im Nahen Osten Thema der Gespräche sein wird. Auch Migration und bilaterale und wirtschaftspolitische Themen werden auf der Tagesordnung stehen“, teilte uns eine Sprecherin der Bundesregierung mit. Dem sei auch nichts hinzuzufügen. Später teilt uns eine weitere Sprecherin der Bundesregierung mit, „Deutschland ruft die Türkei regelmäßig zur Einhaltung europäischer Standards für Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit als Mitglied des Europarats auf und fordert die Umsetzung der EGMR-Urteile“.

Vor Scholz-Besuch: Menschenrechtsorganisation bestätigt miese Menschenrechtslage in der Türkei
Offenbar ignoriert die Bundesregierung bei den Abschiebungen politisch Verfolgter türkischer Staatsbürger die Menschenrechtsverstöße in der Türkei. „Strafverfahren mit politischem Bezug sind in der Türkei zu einer Farce verkommen. Willkürliche Verfahren und Haftstrafen sind an der Tagesordnung“, erklärte Wiebke Judith, rechtspolitische Sprecherin von „ProAsyl“, bei der Vorstellung des 140-seitigen Rechtsgutachtens und bestätigt damit auch andere Menschenrechtsorganisationen, die ebenfalls massive Menschenrechtsverletzungen und mangelnde Rechtsstaatlichkeit in dem Land anprangern. Im Rechtsstaatlichkeitsindex von des „World Justice Projects“ liegt die Türkei nicht umsonst auf Platz 117 von 142 Staaten.
Waffenlieferungen aus Deutschland? Türkei beharrt auf Kauf von Eurofightern
Die Türkei versucht derweil seit Jahren ihre veraltete Luftwaffe zu modernisieren. Bereits bei seinem Besuch im November 2023 hatte Erdogan Interesse an Eurofightern gezeigt. Hatte es grünes Licht aus Großbritannien und Spanien dafür gegeben, zeigte sich der Bundeskanzler eher verhalten. Nach einem Bericht von Middle East Eye würden inzwischen „technische Gespräche“ über einen Verkauf von 40 Eurofighter im Wert von 5,6 Milliarden Dollar mit Ankara geführt.
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Die Bundesregierung stelle aber strenge Forderungen. Die europäischen Kampfjets dürften nicht zur Verletzung des griechischen Luftraums über der Ägäis eingesetzt werden, schreibt das Medium unter Berufung auf mit der Sache vertraute Quellen. Ankara stehe unter Beobachtung von Berlin, weil man deutsche Waffen wie Leopard-Panzer etwa in Syrien einsetze. Die Bundesregierung hatte erst kürzlich deutschen Waffenschmieden ihre Genehmigung erteilt, dass sie der Türkei Waffen im Wert von 336 Millionen Dollar verkaufen dürfen – darunter 100 Flugabwehrraketen und Torpedos für die türkische Marine sowie umfangreiche Materialpakete zur Modernisierung türkischer U-Boote und Fregatten.
Die Angst ist in Berlin offenbar zu groß gewesen, dass die Türkei deutsche Waffen über griechischen Luftraum oder in Syrien nutzen könnte. In den vergangenen Jahren hatte Erdogan immer wieder Griechenland mit einer Invasion und Raketenangriffen auf Athen gedroht. Eine solche Bedingung, Kampfflugzeuge praktisch nicht mehr über der Ägäis nutzen zu können, wird Ankara jedoch nur schwer zustimmen.
Vor Scholz-Besuch in der Türkei: Experten warnt vor weiteren Geheimdeals mit Erdogan
In Nordsyrien lässt die Türkei dagegen immer wieder Ziele bombardieren und hat in der Gegend auch mehrere Militärbasen eingerichtet. Leidtragende der türkischen Militäraktionen sind vor allem Kurden in der Region. „1,5 Millionen Menschen mussten aufgrund dieser türkischen Aggression bereits fliehen. Hunderttausende, die noch in ihrer Heimat ausharren, denken über eine Flucht nach Deutschland und Westeuropa nach“, sagt der Nahostreferent der Menschenrechtsorganisation Gesellschaft für bedrohte Völker (GfbV), Dr. Kamal Sido, im Gespräch mit FR.de von IPPEN.MEDIA und warnt vor geheimen Deals mit dem mächtigen Mann aus Ankara.
In einem offenen Brief fordert die GfbV daher von der Ampel-Regierung eine ehrliche Debatte mit Erdogan – vor allem in der ungelösten Kurdenfrage. „Denn die ungelöste Kurdenfrage ist die Achillesferse der Türkei. Ihre Lösung würde aus einer strategischen Schwäche eine Stärke machen,“ heißt es darin. (erpe)