Putins perfider Terror: Fake-Drohnen gegen die Luftabwehr der Ukraine

Neue Sprengköpfe, neue Navigation und neue Attrappen: Putin optimiert seine Shahed-136 und lässt den Terror gegen ukrainische Zivilisten eskalieren.
Kiew – „Die Idee war, eine Drohne zu bauen, die beim Feind ein Gefühl völliger Unsicherheit erzeugt. Er weiß also nicht, ob es sich wirklich um eine tödliche Waffe handelt oder im Wesentlichen um ein Schaumstoffspielzeug“ – mit der anonymen Quelle belegt der britische Independent eine möglicherweise neue perfide Strategie Wladimir Putins im Ukraine-Krieg: Offenbar setzt Russland wohl mehr Täuschkörper ein und experimentiert daneben mit Drohnen, die thermobare Sprengladungen transportieren. Der Terror gegen die Zivilbevölkerung erklimmt offenbar die nächste Eskalationsstufe.
In den vergangenen Wochen seien Dutzende von Täuschkörpern am Himmel über der Ukraine aufgetaucht aber von den Radarsensoren der ukrainischen Luftabwehr kaum bemerkt worden, berichtet aktuell der Independent. Am ersten Novemberwochenende habe zudem in der Region Kiew 20 Stunden Alarmbereitschaft geherrscht, „und das Geräusch summender Drohnen mischte sich mit dem Dröhnen der Luftabwehr und Gewehrschüssen“, wie die Independent-Autoren Emma Burrows, Hanna Arhirova und Lori Hinnant berichten. Offenbar fährt die russische Invasionsarmee damit eine zweigleisige Strategie.
Russlands neuer Kriegstaktik: Tödliche Sprengköpfe versteckt in Drohnen-Schwärmen
Sie beschäftigt die Luftabwehr bis an deren Erschöpfungs-Grenze, terrorisiert die Zivilbevölkerung und droht mit einer neuen todbringenden Waffe – ohnehin setzt Russland mittels ihrer Granatwerfer thermobare Munition ein; bisher schienen aber zivile Ziele weitestgehend davon verschont. Wie der Independent anklingen lässt, könnte sich das jetzt massiv ändern, obwohl thermobare Sprengköpfe in Drohnen schon vereinzelt bekannt sind. Die ursprünglich vom Iran gelieferten und inzwischen wohl von Russland nachgebauten Shahed-Drohnen dienen dabei als Plattform.
„Der Prozentsatz abgeschossener Shahed 136-Drohnen variiert zwischen 50 und 100 Prozent, wobei der typische Prozentsatz 80 bis über 90 Prozent beträgt. Um dauerhaft Abfangraten von über 90 Prozent zu erreichen, muss der Westen erheblich mehr Luftabwehrsysteme bereitstellen sowie wirksamere und zahlreichere Stör- und Täuschungsgeräte.“
Drei bis fünf Prozent aller bisher von Russland eingesetzten Drohnen sollen mit thermobaren Sprengköpfen ausgestattet sein, berichtet Serhii Beskrestnov. Der Independent zitiert den ukrainischen Elektronikexperten, weil er inzwischen für das Militär auf die Drohnenjagd spezialisiert ist. Seit Sommer hat Beskrestnov thermobare Drohnen auf seiner Abschussliste.
Wie das österreichische Bundesministerium für Landesverteidigung erläutert, sei eine thermobare Waffe – auch Vakuumbombe oder Aerosolbombe genannt – eine Waffe, die in zwei Schritten wirke: Zuerst verteile eine Explosion in der Luft Brennstoff – etwa Ethylenoxid, Propylenoxid oder Decan. Danach werde die entstandene Wolke aus Tröpfchen entzündet. Derartige Waffen seien bereits in den 1960er-Jahren entwickelt worden und ihr Einsatz sei gemäß der Genfer Konvention über Brandwaffen von 1980 in der Nähe von ziviler Infrastruktur oder gar gegen Zivilisten verboten. Neben der zerstörerischen Druckwelle könne das anschließende Vakuum dazu führen, dass Menschen das Feuer quasi einatmeten.
Meine news
Die neue tödliche Shahed-Ladung
Der Sprengkopf hat einen Kern aus etwa 30 Kilogramm Sprengstoff, umgeben von etwa 20 Kilogramm einer thermobarischen Mischung und einer weiteren drei Kilogramm schweren Sprengladung. Er ist von Splittern aus 2.300 SHX-Stahlkugeln umgeben. Der Sprengkopf hat einen Zerstörungsradius von 19 Metern für eine Kasernenmauer und eine 80-prozentige Wahrscheinlichkeit, leicht gepanzerte Fahrzeuge in einem Radius von 32 Metern zu zerstören.
Quelle: David Albright, Sarah Burkhard, Spencer Faragasso – Institute for Science and International Security
International ist diese Waffe geächtet, weil sie ungezielt auf eine breitere Fläche als konventionelle Sprengstoffe wirkt – zivile Infrastruktur eingeschlossen. „Natürlich sind alle Waffen furchtbar, aber bei einer Kugel oder einer Fragmentierung, wie bei Sprengstoffen, hat man zumindest die Möglichkeit, sie medizinisch zu behandeln“, hatte der Völkerrechtsexperte Ben Saul von der Universität Sydney dem australischen Fernsehsender ABC zum Einsatz von Aerosol- beziehungsweise Vakuumbomben erklärt.
Das Nachrichtenportal Euronews stilisiert das Verstecken von tödlichen Drohnen in Schwärmen von Täuschkörpern zu „Russlands neuer Kriegstaktik“. Tatsächlich ist diese Taktik seit dem Zweiten Weltkrieg bekannt, wie Wolfgang Sofsky schreibt: „Die psychologische Wirkung des Bombenkrieges war enorm, vor allem in England: Die Bomben lösten eine Panik in den Straßen aus und tiefe Angst im ganzen Land: Nach Jahrhunderten der erste Angriff auf das Mutterland! Für die meisten Briten ein ungeheurer Schock.“ In Geo Epoche hat der Gewaltforscher die Hintergründe des Bomben-Terrors der Deutschen sowie der Alliierten beleuchtet.
Putins Shahed-Flotte: „Der Feind nutzt diese Mittel, um unsere Aufmerksamkeit zu zerstreuen“
Der Ukraine droht nun also ähnliches Leid. „Der Plan, den Russland ,Operation Falsches Ziel‘ nennt, soll die Ukraine zwingen, knappe Ressourcen aufzuwenden, um Leben zu retten und kritische Infrastrukturen zu schützen“, berichtet aktuell Associated Press (AP) – laut der US-Nachrichtenagentur soll der Plan bereits seit Sommer 2022 bestehen, also im ersten Kriegsjahr angedacht worden sein. Für das Radar sehen offenbar mit herkömmlichen 50-Kilogramm-Sprengköpfen bestückte Shahed-Drohnen gleich aus wie die mit thermobaren Sprengköpfen ausgestatteten oder solche ohne Sprengstoff. Für die ukrainische Luftwaffe offenbar eine bisher kaum zu lösende Aufgabe.
„Für uns ist es nur ein Punkt auf dem Radar. Es hat Geschwindigkeit, Richtung und Höhe“, sagte Yurii Ihnat gegenüber AP. „Wir haben keine Möglichkeit, das genaue Ziel während des Fluges zu identifizieren, also müssen wir es entweder mit elektronischer Kriegsführung stören oder Feuerkraft einsetzen, um es zu neutralisieren. Der Feind nutzt diese Mittel, um unsere Aufmerksamkeit zu zerstreuen“, verdeutlichte der Oberst und Sprecher der ukrainischen Luftwaffe.
Für Russland scheint die Shahed-Drohne zur hauptsächlichen Angriffswaffe gegen die Ukraine zu werden. Bereits Anfang des vergangenen Jahres wollen Experten in zwei über der Ukraine abgeschossenen Drohnen viele Bauteile internationalen Ursprungs gefunden haben. Seitdem besteht die Gewissheit, dass Russland für seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf Grundlage des iranischen Modells inzwischen eigene Drohnen baut.
Neue Hiobs-Botschaft für die Ukraine: Shahed-Drohne erhält eine neue Navigation
Bisher hatten die Russen Drohnen iranischer Herkunft genutzt, aber die untersuchten Trümmer bestanden nun in erheblichem Umfang aus anderen als den originalen Bauteilen – sie gelten damit als Modifikationen der ursprünglichen iranischen Shahed-136-Drohnen. Die Teile stammen vermutlich aus sieben verschiedenen Ländern und von mehr als 20 unterschiedlichen Unternehmen, dabei solche mit Sitz in China, der Schweiz und den USA. Die Experten haben zudem herausgefunden, dass mindestens ein Dutzend Komponenten erst nach Beginn des russischen Überfalls auf die Ukraine Anfang 2022 hergestellt worden sind.
Möglicherweise wartet jetzt auch das Magazin Defense Express mit für die Ukraine schlechten Nachrichten auf – die Drohne erhält demnach eine neue Navigation. Das Magazin stützt sich auf Informationen des Militärbloggers „war_home“ auf Telegram; der wiederum publiziert Bilder aus sozialen Medien, die anscheinend Elektronik in über der Ukraine abgefangenen russischen Drohnen zeigen. Demzufolge hätten die Russen „das Standard-Satellitennavigationsmodul durch einen neuen RTK-GNSS-Typ mit der Bezeichnung Beitian BT-982K1 (L1, L2, L5) ersetzt“. Dieses Bauteil unterstütze offenbar einen weiteren Frequenzbereich und biete die Real Time Kinematic (RTK)-Technologie.
Selenskyjs Nöte: Für dauerhafte Abfangraten von mehr als 90 Prozent muss der Westen mehr liefern
Ziel soll sein, dass die Shahed-136 durch RTK eine höhere Treffergenauigkeit erzielt. „Es ermöglicht dem Empfänger, seinen Standort in Echtzeit mit einer Genauigkeit von bis zu Millimetern über das Internet zu ermitteln. Für die Funktion ist ein kostenpflichtiges Abonnement des Dienstes erforderlich. Sowohl die Karte als auch das Servicegebiet sind für absolut jeden verfügbar“, schreibt Defense Express.
Darüberhinaus sollen laut dem Magazin in Shahed-Drohnen bereits 4G-Empfänger gefunden worden sein. Damit, so Defense Express, würden die Kommunikation zum Betreiber verbessert und nach dem Start Anpassungen der Flugroute möglich. Auch eine mit einem Starlink-Empfänger ausgestattete Drohne sei der Ukraine in die Hände gefallen – damit würde aus der Drohne eine komplett ferngesteuerte Waffe, schreibt das Magazin.
Ein Albtraum für die Ukraine, legen David Albright, Sarah Burkhard und Spencer Faragasso nahe. Laut den Analysten des US-Thinktanks Institute for Science and International Security würde die Ukraine zu wenige Shahed 136-Drohnen zerstören, um erheblichen Schaden zu verhindern, wie sie schreiben. „Der Prozentsatz abgeschossener Shahed 136-Drohnen variiert zwischen 50 und 100 Prozent, wobei der typische Prozentsatz 80 bis über 90 Prozent beträgt. Um dauerhaft Abfangraten von über 90 Prozent zu erreichen, muss der Westen erheblich mehr Luftabwehrsysteme bereitstellen sowie wirksamere und zahlreichere Stör- und Täuschungsgeräte.“