Sicherheitslücke an der NATO-Nordflanke: Hier könnten Putins Truppen durchbrechen
Mit dem Beitritt von Schweden und Finnland zur NATO wird Norwegen zum Transitland. Doch im hohen Norden gibt es Probleme, sagt ein Verteidigungsexperte.
Berlin – Der hohe Norden Norwegens und Finnlands ist keine Gegend für entspannte Spaziergänge. Erst recht nicht für militärische Einsatzkräfte, die an der Grenze zu Russland mit schwerem Gepäck und Waffen unterwegs sind. „Schnee, Eis und Winterstürme: Das ist wirklich hartes Gelände“, sagt Robin Allers. Er ist Professor an der Hochschule für Verteidigung (FHS) in Norwegens Hauptstadt Oslo und gerade zu Besuch in der norwegischen Residenz in Berlin. Allers warnt vor einer potenziellen Schwachstelle an der NATO-Nordflanke.
In der Residenz herrscht gemütliche Wohnzimmeratmosphäre, Inneneinrichtungsexperten würden von Scandi-Style sprechen: Zwischen Kerzenlicht und Designermöbeln in hellem Holz kommt man mit Vertreterinnen und Vertretern der norwegischen Botschaft ins Gespräch. Die zeigen sich ob des Regierungs-Endes nach dem Ampel-Aus hierzulande – Deutschland gilt den Norwegern als wichtigster europäischer Partner – nur bedingt besorgt. „Wir kennen sowas“, sagt eine Gesandte. Norwegische Gelassenheit at its best.
NATO-Staaten nach Wahlsieg von Trump unter Druck
Der Wahlsieg von Donald Trump indes sorgt für ein gewisses Unbehagen. Experten gehen davon aus, dass der Druck auf die europäischen NATO-Staaten deutlich zunehmen wird, wenn Donald Trump erst einmal US-Präsident ist. „Alle Länder im Norden sind abhängig vom Einsatz der USA für ihre Sicherheit“, sagt Verteidigungsexperte Allers im Gespräch mit IPPEN.MEDIA. „Man wird schnell an die Trump-Administration herantreten und deutlich machen: Es ist auch im Interesse der USA, den hohen Norden robust zu verteidigen.“
Artillerie-Übung der NATO in Finnland gestartet – nahe der Grenze zu Russland
Denn nur über die NATO-Nordflanke könnte Russland unter Wladimir Putin theoretisch Schiffe und Atom-U-Boote von der Kola-Halbinsel in Richtung Nordatlantik verlegen und so im Extremfall ganz Europa und die USA direkt bedrohen. Dass die sicherheitspolitische Bedeutung an der NATO-Nordflanke mit Beginn des Ukraine-Kriegs deutlich zugenommen hat, zeigt sich an der gestiegenen Frequenz von Militärübungen an den Grenzen Norwegens und Finnlands zu Russland. Im März erst hatten internationale Truppen an der Großübung Nordic Response am Polarkreis teilgenommen. Und in diesen Tagen startete in Lappland im Norden von Finnland eine große Artillerieübung. Es ist das erste Manöver dieser Art, seit das Land dem Verteidigungsbündnis im Frühjahr 2023 beigetreten ist.
Mit dem Beitritt Finnlands und zuletzt Schwedens hat sich auch die Rolle Norwegens in der NATO grundlegend gewandelt. „Es ergeben sich ganz neue Möglichkeiten, die Region als strategisches Gebiet zu betrachten“, erklärt Allers. Norwegen wäre im Bedrohungsfall Transitland für anlandende Truppen der westlichen Alliierten und Drehscheibe in Richtung Norden und in den Ostseeraum.
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Schwachstelle an der NATO-Nordflanke: Bahnlinien und Straßen sind verwundbar
Das Problem: „Es gibt im Norden nur sehr wenige Straßen und Bahnlinien, die auch noch einspurig sind“, sagt Allers. Die wenigen Straßen und Gleise seien sehr verwundbar durch potenzielle Angriffe, aber auch durch Naturereignisse, gerade im Winter. Das hat sich erst kürzlich wieder gezeigt: Der Betrieb der Nordlandbahn ist wegen Felsstürzen bei der Gemeinde Hemnes seit Oktober eingestellt.
Die Infrastruktur auszubauen, sei nicht so leicht: „Das Gelände ist unwegsam, es ist sehr bergig, das würde enorme Summen kosten“, so der Verteidigungsexperte. „Norwegen und seine Partner im Norden, also Schweden und Finnland, müssen jetzt Mittel aufwenden, um die Infrastruktur anzupassen. Nur so kann man im Verteidigungsfall Verstärkung aus dem Westen schnell in den Ostseeraum bringen.“
Schweden rüstet auf, Norwegen kauft Panzer aus Deutschland und baut U-Boote

Die Bereitschaft dazu scheint in Skandinavien gegeben: Schweden rüstet seit dem NATO-Beitritt kräftig auf, hat erst in diesen Tagen eine Broschüre für Zivilschutz ausgegeben, um die Bevölkerung auf die neue Bedrohungslage hinzuweisen. Norwegen wiederum hat die Ausgaben für Verteidigung drastisch erhöht, baut gemeinsam mit dem deutschen Unternehmen TKMS U-Boote und hat im Juni 54 Leopard-Panzer beim deutschen Rüstungskonzerns KNDS gekauft. Und Finnland hat seine Verteidigungsbereitschaft auch nach dem Ende des Kalten Kriegs ohnehin nie aufgegeben.