Was das AfD-Urteil mit Linken und Grünen zu tun hat

Es ist keine Überraschung, dass der Verfassungsschutz die gesamte AfD als „gesichert rechtsextremistische Bestrebung“ eingestuft hat. Schon bisher waren die Landesverbände Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen in diese Kategorie eingeordnet, ebenso die inzwischen aufgelöste Nachwuchsorganisation „Junge Alternative“.

Jetzt trifft es die ganze Partei, die im Bundestag die mit Abstand zweitstärkste Fraktion stellt. Das erleichtert dem Verfassungsschutz den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel. Er kann zur Beobachtung der Rechtsaußenpartei auch verdeckte V-Leute einsetzen.

Politisch schadet diese Operation Weidel, Höcke & Volksgenossen überhaupt nicht

Die Einordnung der Partei als extremistisch kann für Beamte unter ihren Mitgliedern Konsequenzen haben. Ein AfD-Parteibuch allein ist kein Grund zur Entlassung aus dem Staatsdienst. Es kann aber Zweifel an der Verfassungstreue solcher Staatsdiener begründen.

Dies alles wird der AfD nicht gefallen. Sie muss damit rechnen, dass eingeschleuste V-Leute direkt dabei sind, wenn gegen Ausländer gehetzt oder das Dritte Reich verharmlost wird – und zwar intern noch übler als öffentlich. Auch könnte mancher Beamte lieber auf eine Mitgliedschaft verzichten, als Nachteile bei seiner Karriere zu riskieren.

Politisch schadet diese Operation Weidel, Höcke & Volksgenossen überhaupt nicht. Im Gegenteil: Die AfD wird gegen den Spruch der Verfassungsschützer vor Gericht ziehen und ihn zugleich als weiteren Beweis für das undemokratische Agieren der „Herrschenden“ anführen.

Das sichert der Partei zusätzliche Aufmerksamkeit. Der von der AfD so gern und wirkungsvoll beklagte Opferstatus wird so zusätzlich untermauert.

Hardcore-Rechtsextreme empfinden Verfassungsschutz-Beurteilung als Ansporn

Was die politischen Profis in der „Berliner Bubble“ umtreibt, interessiert freilich den normalen Wähler wenig. Dort, wo die Verfassungsschützer die AfD bereits als rechtsextremistisch klassifiziert hatten, erzielte sie bei der Bundestagswahl die besten Ergebnisse: 38,6 Prozent in Thüringen, 37,3 in Sachsen und 37,1 Prozent in Sachsen-Anhalt. 

Da sollte man sich nichts vormachen: Hardcore-Rechtsextreme empfinden die Beurteilung durch den Verfassungsschutz als Auszeichnung und Ansporn, nicht als Schande.

Den Wutwählern wiederum, die der abgewählten „Ampel“ wegen der illegalen Migration und der desolaten Wirtschaftslage Versagen vorwerfen und der CDU/CSU-Opposition nicht viel zutrauen, sind verfassungsrechtliche Abhandlungen samt ihrer Ergebnisse völlig gleichgültig.

Die Beurteilung der AfD durch den Verfassungsschutz erleichtert – jedenfalls theoretisch – die Einleitung eines Verbotsverfahrens. Allerdings muss sich erst noch zeigen, ob sich auch die Gerichte dem Verdikt „gesichert rechtsextremistisch“ anschließen. Das wird dauern.

Folglich ändert die jüngste Entwicklung auf absehbare Zeit nichts an den fundamentalen Fakten: Die AfD ist die im Bund zweitstärkste Partei. In einigen ostdeutschen Ländern ist sie sogar die stärkste Kraft. In Thüringen verfügt sie über die Sperrminorität bei allen Entscheidungen, für die eine Zwei-Drittel-Mehrheit notwendig ist.

AfD jammert gern über "Altparteien" - das war bei den Grünen und der Linken nicht anders

Die neue Lage nutzt den Parteien der demokratischen Mitte im parlamentarischen Alltag nicht viel. Sie müssen mit den Rechtsextremen in einem gewissen Umfang zusammenarbeiten, ob sie wollen oder nicht. Denn deren Abgeordnete haben Rechte, die ihnen keine Parlamentsmehrheit beschneiden kann.

Im Bundestag darf künftig die AfD in Debatten als größte Oppositionspartei zuerst das Wort ergreifen, direkt auf den Bundeskanzler antworten. Ihr steht mehr Redezeit zu als allen anderen Fraktionen, abgesehen von der CDU/CSU. Die anderen müssen mit der AfD im Ältestenrat zusammenarbeiten, wenn es um die Tagesordnung und andere eher technische Fragen geht.

Ob „nur“ in Teilen oder komplett rechtsextremistisch: Es ändert ebenfalls nichts daran, dass die AfD das Vorschlagsrecht für einen stellvertretenden Parlamentspräsidenten und einige Ausschussvorsitzende hat.

Wer dieser Partei partout keines dieser Ämter zugestehen will, hat jetzt ein zusätzliches Argument, AfD-Kandidaten seine Stimme zu verweigern. Das gilt insbesondere für das Parlamentarische Kontrollgremium, das die Nachrichtendienste überwacht. Eine vom Verfassungsschutz überwachte Partei soll ihre Kontrolleure kontrollieren? Eine absurde Vorstellung.

Die AfD klagt gern und laut darüber, die „Altparteien“ versuchten sie bewusst zu benachteiligen. Das war bei den Grünen und der Linken (damals: PDS) nicht anders. Auch ihnen wurden wichtige Positionen vorenthalten.

Grüne und Linke haben sich im Lauf ihrer parlamentarischen Tätigkeit "ent-radikalisiert"

Als die Grünen 1983 und die PDS 1990 in den Bundestag einzogen, wurden sie wegen ihrer radikalen und extremistischen Positionen von CDU/CSU, SPD und FDP geschnitten und benachteiligt. Auch sie haben sich bitter beschwert.

Doch gibt es einen entscheidenden Unterschied: Grüne und Linke haben sich im Lauf ihrer parlamentarischen Tätigkeit „ent-radikalisiert“, haben ihren Frieden mit parlamentarischen Gepflogenheiten und dem Zwang zum Kompromiss gemacht.

Die AfD hingegen hat sich umso mehr radikalisiert, je länger sie in den Parlamenten ist. Ihr Geschäftsmodell ist die Provokation, der Appell an ausländerfeindliche Instinkte, das Verächtlichmachen demokratischer Prozesse.

Viele bürgerlich-konservative Politiker, die sie einst gegründet hatten, haben sie längt verlassen; andere haben sich angepasst. Aus der Professoren-Partei von einst ist – gemessen am öffentlichen Auftritt – eine Proleten-Partei geworden. 

Wenn die Parteien der demokratischen Mitte den Verfassungsschutz ernst nehmen, können sie seine Beurteilung der AfD nicht einfach abtun. Aber man muss auch nüchtern sehen: Wer rechtsextremen Gedanken anhängt und diese äußert, ist nicht automatisch ein Verfassungsfeind.

Beim Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) hat das Verfassungsgericht festgestellt, eine Partei sei dann verfassungsfeindlich, „wenn sie mit Gewalt gegen diese Grundordnung vorgeht oder Gewalt als Mittel propagiert“. Dies der AfD nachzuweisen, dürfte derzeit nicht möglich sein.

Das wirksamste "Gegengift" ist eine andere Politik

Aus der Einordnung der AfD als rechtsextremistisch folgt nicht zwangsläufig, dass nun ein Verbotsverfahren eingeleitet werden müsste. Selbst wenn eines der Verfassungsorgane dies täte und damit Erfolg hätte: Die AfD-Funktionäre würden am Tag darauf eine Partei gründen – unter anderem Namen, aber mit denselben politischen Forderungen.

Ungeachtet der Frage eines Verbotsantrags mit all seinen juristischen und politischen Implikationen: Mit einer „gesichert rechtsextremistischen Bestrebung“ kann im Bundestag nicht so Umgegangen werden, „wie mit anderen Oppositionsparteien“. Der designierte CDU/CSU-Fraktionschef Jens Spahn wird sich da korrigieren müssen.  

Ohnehin lassen sich die Wähler der AfD nicht zurück in die Mitte holen, wenn man allein darauf setzt, die AfD-Politiker als politische Schmuddelkinder auszugrenzen. Das wirksamste „Gegengift“ ist eine andere Politik. Die kann kein Verfassungsschutz und kein Verfassungsgericht liefern – das muss Schwarz-Rot schon selbst bewerkstelligen.