Die Dudelsäcke spielen wieder: Schottische Fußball-Fans feiern nach der Niederlage weiter
Bei der Fußball-EM glänzen die schottischen Fans mit unverwüstlicher Laune.
Erding – Der Auftaktsieg bei der EM hat Fußball-Deutschland elektrisiert. Vor dem Anpfiff war noch nicht viel Euphorie zu spüren, jetzt keimt Hoffnung auf. Bei den Schotten verlief die Stimmungskurve anders herum. Über 100 000 Anhänger des Teams sollen zu dem Spiel am Freitag angereist sein. Der 5:1-Sieg der Gastgeber war eine herbe Enttäuschung für die vielen Männer im Kilt – auch für Douglas Wilson aus Erding. Der 41-Jährige ist in Glasgow geboren und war mit Freunden in München. Doch bald wurde wieder gefeiert. „Zehn Minuten nach dem Abpfiff fingen schon wieder die Dudelsäcke an zu spielen“, erzählt Wilson.
Auch im Dubliner in Erding feiert am Freitag der eine oder andere Fan im Kilt. Einer von ihnen ist Joseph Ure (31), der aus Falkirk in Schottland stammt und in Bockhorn lebt. Unsere Reporterin Iulia Moaca begleitet ihn und testet, ob die Fußball-Rivalität ihre Freundschaft belastet. Doch am Ende stellt sie fest: Die Sorge war unbegründet. Ihr Kumpel und die übrigen schottischen Gäste in dem Pub finden nach dem Spiel kurzerhand andere Gründe zum Feiern. Aus den Lautsprechern ertönen bekannte schottische Lieder. „Gewinner der Herzen“, kommentiert Ure die stabil gute Laune seiner Landsleute.
„Die deutsche Mannschaft hat überragend gespielt und verdientermaßen gewonnen“, bilanziert Wilson die Begegnung. Er lebt seit 1991 in Erding. Als Stürmer und Co-Trainer ist er beim FC Langengeisling aktiv. Mit seinen Freunden aus Erding war der Direktor eines Münchner Fintech-Unternehmens, der fast selbst Profifußballer geworden wäre, am Freitag beim Public Viewing am Marienplatz. Selbstverständlich im Kilt, so wie es sich für einen Schotten gehört.

„Meine Frau hat es mir erlaubt, obwohl wir erst vor wenigen Tagen eine Tochter bekommen haben – sie ist einfach spitze“, freut er sich. Für ihn sei es einfach ein Traum gewesen, die EM in Deutschland zu erleben: „Absolut irre!“ Julia Flötzinger-Wilson, Leiterin des Stadtmarketing Erding, schaute derweil das Spiel zuhause mit Säugling Sissy im Arm.
Wilson setzt nun auf die kommenden Spiele. „Wir dürfen uns da nicht runterziehen lassen, denn wir Schotten können Fußball spielen – wir sind das älteste Fußballland.“ Sein Tipp: „Schottland gewinnt gegen Ungarn 2:0 und gegen die Schweiz 2:1 – wir haben es selbst in der Hand.“ Über die ersten Gruppenrunden sind die schottischen Fußballer zwar noch bei keiner EM oder WM hinaus gekommen: „Aber irgendwann wird es mal klappen.“ Andererseits sei er auch ein großer Fan vom deutschen Fußball: „Ich kann also nur gewinnen!“
Der Fußballabend im Dubliner in Erding beginnt schon etwa eine Stunde vor Anpfiff. Kilt-Träger Joseph Ure meint schon vorab: „Wir Schotten nehmen es gut auf, auch wenn wir heute verlieren sollten.“ Die Stimmung in dem Pub ist wie immer ausgelassen. Es wird geredet, gelacht, getrunken. Kleine private Wetten, welche Mannschaft heute wohl gewinnen wird, werden an der Bar geschlossen.
Als das Spiel um 21 Uhr beginnt, wird es ruhiger, alle Augen starren gebannt auf den Bildschirm. Dass das erste Tor an Deutschland geht, das scheint im Pub niemanden so recht zu überraschen. Es folgt eine Achterbahn der Gefühle: Hoffnung, Freude, Sehnsucht, Enttäuschung, Ärger, manchmal ein wütendes Rufen. Und das alles in einem Zeitraum von gerade einmal zehn Minuten.
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Beim zweiten Tor der Deutschen dreht sich Joseph zu seiner Begleiterin um und sagt: „Ich brauche jetzt ein Guinness, aber schnell!“ Die Reporterin beobachtet: Ihr Freund ist zunehmend genervt von seiner Nationalmannschaft. Er verdreht die Augen, sobald Fehler auf dem Spielfeld passieren, sagt aber mit einem Blick auf den Spielstand: „Bei dieser Leistung ist es für beide Mannschaften ein fairer Score.“
Auch die anderen Kilt-Träger im Pub machen ihrem Ärger über das eigene Team Luft. Das verbindet. Es entwickeln sich schnell neue Bekanntschaften unter den Gästen. Als das dritte und vierte deutsche Tor fallen, glaubt keiner mehr an einen schottischen Sieg. Ure sagt im Spaß: „Das Spiel ist doch manipuliert!“, dreht sich vom Bildschirm weg und will etwas essen.
Als klar ist, dass Deutschland das Spiel endgültig gewinnt, ist die Atmosphäre im Pub neutral: Die Schotten sind nicht zu traurig über die Niederlage in der Allianz Arena, die deutschen Gäste dagegen nicht übermäßig fröhlich. „Ein zu erwartendes Ergebnis“, wird von vielen Seiten konstatiert. „Die Atmosphäre hier wäre ganz anders, wenn Schottland gewonnen hätte“, ist Joseph Ure überzeugt.