"Absolutes Vorbild", "Geh arbeiten“: Junge Arbeitslose gefeiert und beschimpft
Nadine Wagenaars Alltag würden wohl viele Menschen beneiden: Sie joggt, geht zur Maniküre und frühstückt entspannt ein Avocadobrot im Café – und das nicht nur am Wochenende. Denn die 34-Jährige ist arbeitslos. Und das ganz bewusst.
„Joggen, statt jobben“: Arbeitslose teilt ihren Alltag auf TikTok
Vor über 300 Tagen wurde sie betriebsbedingt gekündigt. Erst, so erzählt sie es im Gespräch mit „Krautreporter“, sei sie über die Kündigung frustriert gewesen: Kein Terminkalender, keine Meetings, kein berufliches Ziel. „Ich hatte das Gefühl, komplett rauszufallen“. Der Druck, schnell wieder „funktionieren“ zu müssen, war deutlich spürbar – auch vonseiten der Jobcenter.
Aber dann sei da eben auch ein anderes Gefühl gewesen, als läge da plötzlich eine neue Chance vor ihr: „Ich dachte mir: Du warst nie glücklich damit, acht Stunden am Laptop zu sitzen, hast dich aber nie getraut, was anderes zu machen.‘ Warum also nicht jetzt?“
Seitdem teilt Wagenaar ihren arbeitslosen Alltag auf TikTok und Instagram. Unter dem Namen @heynadus folgen ihr mehr als 65.000 Follower. Wagenaars Videos beginnen stets gleich: „Ich heiße Nadine und wurde vor x Tagen gekündigt.“
Danach erzählt sie Geschichten aus ihrem Leben als Arbeitslose – und spielt bewusst mit Klischees. So bezeichnet sie sich selbstironisch als „Infaulenzerin“, zeigt sich beim „joggen, statt jobben“ oder freut sich in ihrem Ostersonntags-Post, dass an dem Tag endlich mal niemand ihr Netflix-Gucken verurteilen könne, weil es ja heute „alle machen“.
„Wir haben Fachkräftemangel und du gehst zur Maniküre“
„Ich war vielleicht eine der Ersten, die provokant, selbstironisch und sarkastisch über Arbeitslosigkeit gesprochen hat“, sagt Wagenaar gegenüber „Krautreporter“. Für diesen Content erhält sie gemischte Reaktionen: „Diese junge, arbeitslose Frau ist mein größtes Vorbild“, sagt eine andere TikTokerin über Wagenaar. Und in den Kommentaren unter ihren Videos heißt es unter anderem: „Ich liebe dich und dein Leben!“
Doch dieses Leben kommt nicht bei jedem gut an: „Geh arbeiten“, „Wann hörst du endlich auf, uns auf der Tasche zu liegen?“ oder „Wir haben Fachkräftemangel und du gehst zur Maniküre“ – sind nur einige der Kommentare, die Wagenaar regelmäßig erhält.
Dass sie Arbeitslosengeld bekommt, obwohl sie „offensichtlich arbeiten könne“, empört viele. „Viele wissen gar nicht, was der Unterschied zwischen Arbeitslosengeld und Bürgergeld ist“, so Wagenaar zu „Krautreporter“. „Ich bekomme Arbeitslosengeld, für mich sind das 60 Prozent meines vorherigen Gehalts, ein Jahr lang.“
Inzwischen lebt sie teilweise von ihren Social-Media Kooperationen. „Ich hätte nie gedacht, dass ich in genau dieser Nische lande, aber ironischerweise ist sie die erfolgreichste, die ich hätte wählen können“.
„Nur wenn du arbeitest, bist du etwas wert“
Die 34-Jährige hat Journalismus studiert, war zuletzt Social-Media-Managerin. Ihren Bürojob empfand sie oft als fremdbestimmt. „Ich hab’s gehasst, ins Büro zu fahren und dort acht Stunden zu sitzen“, sagt sie der "FAZ".
In Deutschland sei der Wert eines Menschen eng mit seiner Arbeit verknüpft: „Nur wenn du arbeitest, bist du etwas wert.“ Dass jemand sich öffentlich und mit einem gewissen Stolz zu seiner Arbeitslosigkeit bekennt, widerspreche diesem Narrativ. „Für mich sind es die Medien, die das geprägt haben“, erzählt Wagenaar.
„RTL II mit seinem Nachmittagsprogramm, wie "Hartz und herzlich" oder "Armes Deutschland". Dort wird eine Randgesellschaft gezeigt und zu der will man nicht gehören. Die Bild-Zeitung hat den Begriff des ‚Sozialschmarotzers‘ mit aufgebracht. Überhaupt haben viele Medien eine Wut auf Sozialhilfeempfänger geschürt.“
Der Politik- und Sozialwissenschaftler Felix Hörisch nennt eine einschneidende Veränderung im Blick der Deutschen auf Arbeitslose: die Hartz-Reform vor 20 Jahren.
„Es gibt kein Recht auf Faulheit“, sagte der damalige Kanzler Gerhard Schröder in einer Rede. Das sei eine „drastische Gleichsetzung von Arbeitslosigkeit mit Faulheit“, meint der Arbeitsexperte.
Wie die Generation Z auf Arbeit blickt
Eine ganz andere Vorstellung von Arbeit verbreitet Wagenaar mit ihren Videos: "Ich bin der Meinung, dass jeder den Anspruch haben darf, einen Job zu finden, den er tatsächlich ausüben will“, sagt sie.
Diese Haltung teilen nicht wenige aus ihrer Altersgruppe und der jüngeren Generation Z. Diese Jahrgänge werden immer wieder für ihre Ansprüche an Sinn, Selbstverwirklichung und Work-Life-Balance kritisiert.
Doch während ältere Generationen der Gen Z häufig Arbeitsunlust oder Verweichlichung unterstellen, zeigen Daten des Statistischen Bundesamts ein anderes Bild: Die Erwerbsquote der 20- bis 24-Jährigen ist seit 2015 um 6,2 Prozentpunkte gestiegen – auf den höchsten Stand seit Mitte der 1990er Jahre. Auch bei den 25- bis 64-Jährigen stieg sie seitdem an, wenn auch langsamer. Klar ist, dass die Regierung von Kanzler Friedrich Merz die Damenschrauben gegenüber unwilligen Arbeitslosen anziehen will, auf eine härtere Gangart setzt und dabei auch den Großteil der Bevölkerung hinter sich hat.
"Viele erzählen mir ihre Geschichten über Kündigungen"
Die Generation Z unterscheide sich in ihren Arbeitsmarktwerten und -einstellungen nicht wesentlich von anderen Generationen, erklärt Experte Felix Hörisch in einem Interview mit "Buzzfeed". Vielmehr würden sich diese in der gesamten Gesellschaft ändern. „Diese Veränderungen werden lediglich an der jungen Generation festgemacht“, so Hörisch.
Wagenhaar erhält regelmäßig Nachrichten von Followern, die sich in ihren Erfahrungen wiederfinden: „Viele erzählen mir ihre Geschichten über Kündigungen oder schreiben, dass mein Content sie inspiriert. Dass sie meinen Humor mögen, dass es gut tut, jemanden so locker über Arbeitslosigkeit reden zu hören“.
Ihre eigene Job-Situation sieht sie mittlerweile gelassen: „Ich kann nicht erklären, woher es kommt, aber ich habe Vertrauen.“ Dass manche diese Haltung für naiv halten, ist ihr bewusst – dennoch will sie mit ihren Videos weitermachen.