Deutsche Islampolitik gescheitert: Bittere Erkenntnisse und radikaler Plan

Wie umgehen mit einer Religion, der Schätzungen zufolge fünfeinhalb Millionen Menschen in Deutschland zuzurechnen sind und die jedenfalls nach Meinung ihrer Kritiker ein gefährlicher Treiber von Parallelgesellschaften ist? Einer Religion, die regelmäßig mit Themen wie Terror, Kopftuchzwang oder gar Zwangsheirat in einem Atemzug genannt wird. 

Allein darüber öffentlich zu sprechen, kann lebensgefährlich sein. So sieht es offenbar auch das Berliner Landeskriminalamt, dass eine Veranstaltung des „Arbeitskreises Politischer Islam“ mit zahlreichen Personenschützern samt Taschenkontrolle bedachte. Der Konferenzort ist ein erklärtes Anschlagsziel weltweit agierender Islamisten: die Ibn Rushd-Goethe-Moschee in Berlin-Moabit. Die ehemalige Rechtsanwältin, Frauenrechtlerin und liberale Imamin, Seyran Ates hatte den regulären Betrieb ihrer Moschee-Neugründung wegen konkreter Anschlagsgefahren zeitweilig eingestellt. 

CDU-Staatssekretär warnt vor „Unterwanderung sozialer Räume“

Streng bewacht, diskutieren fast 50 Experten über Grundzüge des „Bund-Länder-Aktionsplanes Politischer Islam“. Unter „Politischem Islam“ – oder auch Islamismus - werden alle Bestrebungen muslimischer Organisationen verstanden, westliche Gesellschaftsordnungen – vom Staat bis zur Kultur nach islamischen Regeln umzubauen. 

Insbesondere die Bewegung der geheim agierenden Muslimbruderschaft versucht, zu diesem Zweck systematisch politische Institutionen, aber auch Wissenschafts- und Bildungseinrichtungen zu infiltrieren. Dass ein amtierender parlamentarischer Staatssekretär wie Christoph de Vries von der CDU öffentlich von einer „Unterwanderung sozialer Räume“ spricht, gehört sicher zu den gravierenden Neuerungen, die die islamische Community jedenfalls von Seiten der Union in der Koalition zu erwarten hat. 

Solche Sätze hätte man vor Jahren noch ausschließlich bei der AfD verortet. War das Gespann Merkel-Seehofer auf Ausgleich und Dialog mit allen Islamverbänden bedacht, will die neue Bundesregierung mit dieser Tradition offenbar brechen. Der Staat soll endlich selbstbewusst bestimmen, mit wem er dealt und mit wem nicht. Und dabei geht es vor allem um die Frage, wie viel Freiheit Deutschland den erzkonservativen Islamverbänden lässt, Einfluss auf die Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen zu nehmen – etwa im Islamunterricht. 

Einflussnahme durch den „Politischen Islam“

Schülerinnen, die zum Kopftuch gezwungen oder vom Schwimmunterricht abgehalten werden. Von Pöbeleien gegen Lehrerinnen ist die Rede. Während der Berliner Konferenz werden von Experten viele besorgniserregende Befunde vorgetragen. Der Aktionsplan soll daher nicht nur auf die öffentliche Sicherheit zielen, sondern auf das Alltagsleben – die Schule, aber auch das Internet. Letztlich will man vor allem Mädchen und Frauen vor religiöser Bevormundung und Mobbing schützen. 

Um diese Einflussnahmen durch den „Politischen Islam“ auf unser Leben einzudämmen, werde der Staat mittelfristig nicht mehr mit Moscheen oder Verbänden zusammenarbeiten, die aus dem Ausland finanziert werden, skizziert der Staatssekretär die neuen Bedingungen.  Dass auf diese Weise „ausländische Regierungen auf deutsche Staatsbürger Einfluss nähmen, sei ein „Missbrauch der Religionsfreiheit“, kritisiert de Vries. 

Verbände müssen sich unabhängig vom Ausland machen

Gegenwärtig werden zum Bespiel Imame an den rund 900 Moscheen des deutsch-türkischen Verbands Ditib von der türkischen Religionsbehörde Diyanet entsandt und entlohnt. Auf Nachfrage von FOCUS-online, ob somit auch die Zusammenarbeit mit Ditib eingestellt werde, antwortet der Politiker zurückhaltend, das alles müsse noch im Detail „ausbuchstabiert“ werden. 

Auf längere Sicht müssten sich die Verbände aber unabhängig vom Ausland machen. Diese Forderung beträfe auch Staatsverträge und Vereinbarungen von Bundesländern mit einzelnen Islamverbänden, denen das Recht eingeräumt wird, an staatlichen Schulen Islamunterricht zu organisieren. Denn dabei wird bislang das Risiko in Kauf genommen, patriarchale und erzkonservativen Ideologien auch bei den ganz jungen Menschen zu verfestigen.

Die Angelegenheit ist kompliziert, da nicht einmal klar ist, wie viele Menschen die offiziellen Islamverbände wirklich repräsentieren. Es ist zwar häufig von fünfeinhalb Millionen die Rede, aber niemand kann wirklich sagen, wie viele von ihnen wirklich jeden Freitag zum Gebet erscheinen oder einfach qua Geburt – also aufgrund ihrer türkischen oder arabischen Herkunft - in die sogenannte Ummah – die globale Gemeinschaft der Muslime einverleibt wurden. Ganz zu schweigen von den vielen weltlich geprägten Muslimen, die wie Weihnachts-Christen nur an Feiertagen ihrer Religion frönen. 

Aber lassen Erdogan und Co ihre Schäfchen freiwillig ziehen?

Was geschieht, wenn deutsche Regierungen in Bund und Ländern die Verträge mit fremdgesteuerten Islamverbänden wirklich kappen? Müssen sich die Gläubigen dann neue Moscheen suchen? Im Bundesinnenministerium setzt man auf ein anderes Szenario: danach lösen sich die Verbände aus der Abhängigkeit des Auslands – von den Potentaten in der Türkei, in Katar, in Saudi-Arabien. 

Aber lassen Erdogan und Co ihre Schäfchen freiwillig ziehen? Wohl kaum! Denn sie konstatieren für sich einen göttlichen Auftrag, den Islam ihrer Lesart per Ideologie- und Finanztransfer in Europa zu installieren. Vor der Suche nach einer neuen Strategie muss Deutschland sich zunächst ehrlich machen: Sind wir bereit, den „Politischen Islam“ überhaupt weiter zu dulden? Denn er untergräbt auf lange Sicht den Zusammenhalt unserer diversen Gesellschaft. 

„Die deutsche Islam-Politik ist gescheitert“

Bei der Berliner Konferenz sind sich die meisten Redner einig, dass die deutsche Islampolitik in dieser Hinsicht komplett gescheitert sei. Auf Nachfrage stimmt da selbst Staatsekretär de Vries zu. Auch die 2006 ins Leben gerufene „Deutsche Islamkonferenz“ habe nichts wirklich bewirkt, räumte der Politiker ein. 

Der Hamburger Christdemokrat und Repräsentant der „Kurdischen Gemeinschaft in Deutschland“, Ali Ertan Toprak kritisiert, dass sich dort vor allem Vertreter konservativer Islamverbände mit der Politik ausgetauscht hätten: Die Bundesrepublik habe mit Islamisten verhandelt, aber: „Uns säkulare Muslime hat die Politik allein gelassen.“ 

Der Islamwissenschaftler Ralph Ghadban forderte, die Deutsche Islamkonferenz abzuschaffen, denn sie habe sich „in den Dienst von Islamisten“ gestellt. Hier widerspricht de Vries. Man brauche einen Ort, sich auszutauschen, nur müsse man dort auch die echten Probleme ansprechen: „Geschlechtergetrennte Vorlesungen an deutschen Universitäten, dürfen wir nicht zulassen.“ 

Die Rufe nach einem Kalifat bei Demonstrationen seien nicht mit unserer Gesellschaftsordnung vereinbar. Die islamistische Bewegung sei längst ein „breites Massenphänomen“, dem man ähnlich systematisch begegnen müsse wie dem Rechtsextremismus. 

Kurzfristige Lösungen gibt es nicht

Der CDU-Mann zielt nun politisch auf Grüne, Linke und die SPD: Anders als beim Rechtsextremismus fehle es bei der Bekämpfung des Islamismus weitgehend am „demokratischen Konsens.“ Es ist eine ernüchternde Aussage, die klarmacht, dass niemand auf kurzfristige Lösungen zu hoffen braucht, obwohl die Probleme uns jeden Tag weiter über den Kopf wachsen. 

Auf die Frage von FOCUS-online zum Tempo des Aktionsplans stellt de Vries einen ersten Entwurf im Bundesinnenministerium bereits für Herbst in Aussicht. Danach wird mit den Bundesländern verhandelt. Dort macht jedes Land seine eigene Islampolitik. Schließlich sind Bildung und Polizei Ländersache. SPD, Grüne und Linke hängen in der Regel noch weiter in der Dauerschleife einer falsch verstandenen Toleranz und dürften sich in vielen Fragen auch weiterhin vor den „Politischen Islam“ stellen.

"Ich will nicht, dass Hoheitsträger ein Kopftuch tragen"

In dieses Bild passt auch die kürzlich gefallene Entscheidung im CDU-SPD-regierten Berlin, Kopftücher für Lehrerinnen grundsätzlich zu erlauben. Das hält nicht nur die Konferenz-Gastgeberin Seyran Ates für kontraproduktiv - angesichts des Kopftuchzwangs, der immer häufiger auf Mädchen ausgeübt werde. 

Christoph de Vries drückt an dieser Stelle das Mikrofon seinem Berliner Parteifreund Falko Liecke in die Hand. „Ich will das nicht. Ich will nicht, dass Hoheitsträger ein Kopftuch tragen dürfen“, sagt Liecke. In dieser Frage sei das letzte Wort in Berlin auch noch nicht gesprochen. 

Liecke legt aber Wert darauf, dieses Statement nicht als Berliner Staatssekretär für Jugend und Familie, gesagt zu haben, sondern als „CDU-Vorsitzender von Neukölln.“ So wird es am Ende auch der „Bund-Länder-Aktionsplan“ nicht leicht haben in der deutschen Kleinstaaterei.

Moscheegründerin Seyran Ates
Seyran Ateş hat im Jahr 2017 die Ibn-Rushd-Goethe-Moschee in Berlin eröffnet. Daniel Karmann/dpa