Taurus-Konkurrent: Ukraine setzt neue „Superwaffe“ gegen Putins Ölraffinerien ein

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Neue „Superwaffe“? Die ukrainische Langstreckenrakete R-360 Neptun. Sie soll jetzt 1000 Kilometer weit fliegen können und damit den deutschen Taurus-Marschflugkörper um Längen schlagen. Jetzt soll sie eine Ölraffinerie getroffen haben, aber die Meldungen von Erfolgen dieser Waffe sind insgesamt rar. © IMAGO / Wlad_Mus

Die Neptun soll wieder zugeschlagen haben – und die Taurus alt aussehen lassen. Analysten bezweifeln, dass die Waffe so super ist, wie sie sein soll.

Kiew – „Es ist eine neue ukrainische Rakete, ein präziser Schlag“, sagt Wolodymyr Selenskyj. Auf seinem Telegram-Kanal lobt der Präsident der Ukraine seine vermutlich neue „Superwaffe“ – eine Rakete mit einer Reichweite von 1000 Kilometern, wie Selenskyj ausführt. Bei dem erwähnten Schlag könnte es sich um den Treffer auf die russische Raffinerie in Tuapse am Schwarzen Meer vom Freitagmorgen (14. März) gehandelt haben. Das berichtete das Nachrichtenportal Ukrainska Pravda unter Berufung auf eigene Quellen. Die „Superwaffe“ scheint eine Weiterentwicklung der Anti-Schiffsrakete Neptun zu sein. Gegen Wladimir Putins Invasionsarmee setzen die Verteidiger also scheinbar weiter erfolgreich auf eigene Entwicklungen.

Mit der selbst entwickelten Anti-Schiffsrakete R-360 Neptun hatte die Ukraine kurz nach Beginn des Krieges im April 2022 den russischen Kreuzer „Moskwa“ versenkt. Seitdem ist die Waffe weiterentwickelt worden und hat mehr Reichweite erlangt. Selenskyj sprach jetzt vom „Langen Neptun“, wie die Deutsche Presse-Agentur (dpa) berichtet. Nach Tests laufe die Serienfertigung Militärangaben zufolge seit November 2024.

Putins neuer Gegner: ein Quantensprung der militärischen Fähigkeiten der Ukraine

David Axe sieht in der „Langen Neptun“ einen Quantensprung der militärischen Fähigkeiten der Ukraine. „Sie ist schlagkräftiger als selbstgebaute Kampfdrohnen, von denen einige umgebaute Sportflugzeuge sind, und trägt dazu bei, die Ukraine von ihrer teilweisen Abhängigkeit von den USA und Europa hinsichtlich ihrer besten Tiefschlagmunition zu befreien“, schreibt der Autor des Magazins Forbes. Vor zehn Jahren hatte die Ukraine auf der „Arms and Security“-Messe in Kiew diese Waffe erstmal vorgestellt. Damals war die Krim seit einem Jahr von den Russen annektiert gewesen. Möglicherweise hat dieses Ereignis auch Einfluss gehabt auf die Entwicklung der Waffe.

„Analysten halten daher Selenskyjs Zahlen und die behaupteten Eigenschaften der im Inland hergestellten traditionellen Raketen für übertrieben.“

Bis die Rakete einsatzbereit war, vergingen jedenfalls noch vier Jahre: Wie das ukrainische Magazin ZN berichtete, sei die Neptun im April 2019 erstmals in der Region Odessa getestet worden. „Die Rakete hat eine Distanz von mehr als 250 Kilometern zurückgelegt und das Ziel im Schwarzen Meer erfolgreich getroffen. Gemäß meinem Befehl werden sie im Dezember in Dienst gestellt und auf Schiffen der ukrainischen Marine und in Küstenverteidigungseinheiten stationiert“, erklärte der damalige Präsident Petro Poroschenko.

Ende 2024 will die Ukraine bereits die ersten 100 Raketen produziert haben, wie die ukrainische Nachrichtenagentur Ukrinform berichtet hat und erklärte, die Serienproduktion von Marschflugkörpern vom Typ R-360 Neptun sei damit erfolgreich hochgefahren; „wobei Upgrades Angriffe auf größere Entfernungen ermöglichen“, hatte der ukrainische Verteidigungsminister Rustem Umarow wissen lassen. Jetzt sollen 1000 Kilometer möglich sein – was die deutschen Taurus-Marschflugkörper in den Schatten stellen würde.

Selenskyj zu vollmundig? Beweise für den Einsatz von Neptun beschränkten sich auf Regierungserklärungen

Und davon ganz abgesehen: Wie der Angriff auf eine Raffinerie nahelegt, hat die Ukraine nicht nur die Reichweite erhöht, sondern die Waffe auch gegen Landziele einsetzbar gemacht. Ursprünglich hatte Kiew sie entwickelt, um ein Gegengewicht auf See zu erreichen, wie der Nationale Sicherheitsrat der Ukraine im Jahr 2020 veröffentlicht hatte: Demnach sei das Raketensystem 360 MC „Neptun“ ein landgestütztes Marschflugkörpersystem mit einer „Schiffsabwehrrakete, das dazu bestimmt ist, Schlachtschiffe wie Kreuzer, Zerstörer, Fregatten, Korvetten, Landungsschiffe, Panzerlandungsschiffe und Transporter zu besiegen, die unabhängig und in Marinegruppen und Landungseinheiten operieren“, wie die offizielle Mitteilung lautete.

Die Waffe sei danach einsetzbar bei günstigen und widrigen Wetterbedingungen, zu jeder Tages- und Jahreszeit, unter aktivem Feuer und radioelektronischer Gegenwirkung des Feindes, so die stolze Selbsteinschätzung. Wozu möglicherweise tatsächlich Anlass besteht. Oder auch nur vielleicht, wie Kollen Post gerade in den Raum stellt: Warum die lange verzögerten Raketenproduktion-Ambitionen der Ukraine noch nicht in Gang gekommen sind, hat der Autor des Kyiv Independent Anfang Januar thematisiert – und Zweifel geäußert an der Durchschlagskraft der Neptun-„Superwaffe“.

Beweise für den Einsatz von Neptun-Raketen beschränkten sich nämlich weitgehend auf Regierungserklärungen oder Zitate anonymer Offizieller. Und das, obwohl Selenskyj bereits 2020 in einer Rede vor dem ukrainischen Parlament verkündete, die Neptun sei „in den Waffenbestand aufgenommen“ worden, schreibt Post und misst die industriellen Erfolge an den Vorab-Meldungen ihres Präsidenten: Selenskyj habe beispielsweise die Produktion von 3000 Marschflugkörpern oder Raketendrohnen im Jahr 2025 angekündigt – nachdem im vergangenen Jahr lediglich 100 gebaut worden sein sollen – wofür Post ebenfalls die Beweise fehlen.

Propaganda der Ukraine? „Analysten halten die behaupteten Eigenschaften der Raketen für übertrieben“

„Analysten halten daher Selenskyjs Zahlen und die behaupteten Eigenschaften der im Inland hergestellten traditionellen Raketen für übertrieben“, schreibt er. Tatsächlich fehlen belastbare Hinweise, dass die ukrainische Rüstungsproduktion mit den Ankündigungen der militärischen Führung Schritt halten könne. Post zitiert dafür Michael Duitsman: „Sobald man die Grundstoffindustrie erst einmal am Boden hat, ist es nicht mehr so ​​schwer. Es wird nur noch ungemein schwieriger, wenn jemand versucht, alle Fabriken zu bombardieren“, wie der US-Raketenspezialist über die Anstrengungen der Russen gegen die ukrainische Rüstungsindustrie sagt. Ihm zufolge hinke die Wirklichkeit den Wünschen hinterher, weil das weniger an der technologischen Kompetenz der Ukrainer liege als vielmehr an den russischen Luftangriffen.

Was den Autoren Kollen Post stutzig macht angesichts der Ankündigungen der gesteigerten Produktion ist der Umstand der Nutzungsrate der Waffen, „die seit 2023 keinen Aufwärtstrend mehr verzeichnet hat“, wie er schreibt. In verschiedenen Medien sind Einsätze veröffentlicht im August und September 2023, im März 2024, zwei im April 2024, und jeweils wieder einer im Mai, im Juni und Juli sowie im August vergangenen Jahres. Dann im Januar dieses Jahres und wohl jetzt im März. Die Ziele waren anfangs Schiffe im Schwarzen Meer, Luftabwehr-Systeme sowie Depots, Stützpunkte oder Energie-Anlagen.

Russlands Glück: Die Bilanz der „Superwaffe“ darf als durchwachsen angesehen werden

Und nicht jeder Angriff endete in einem Volltreffer, einige Raketen wurden abgefangen; beziehungsweise wurde von russischer Seite behauptet, dass die anfliegende Rakete eine Neptun gewesen sei. Beispielsweise habe die Ukraine am 31. Mai 2024 mehrere Neptun-Raketen auf ein Öldepot in der Nähe von Port Kawkas in der Region Krasnodar abgefeuert, wie der Thinktank Institute for the Study of War (ISW) berichtet hat. Demnach hätten russische Behörden angegeben die Raketen abgeschossen zu haben. Ukrainische Behörden und die russische Opposition sollen aber von einem Brand und Schäden an drei Öltanks gesprochen haben, wie das ISW angab – die Bilanz der „Superwaffe“ darf also als durchwachsen angesehen werden.

Die Versenkung des Flaggschiffes der russischen Schwarzmeerflotte am 13. April 2022 stellt daher wohl immer noch den größten Erfolg der Neptun-Raketen dar – und hat der Welt wohl bewiesen, dass die Ukraine zur Selbstverteidigung in der Lage sei, wie Oleksij Resnikow am Ende des ersten Kriegsjahres gegenüber dem britischen Guardian geäußert hatte: „Die Ukraine musste ihren Partnern durch Erfolge auf dem Schlachtfeld ständig beweisen, dass es sich lohnt, in ihr Militär zu investieren“, sagte der ehemalige Vizepräsident der Ukraine und nannte dem Guardian als Beispiel, „wie die Ukraine im April das Kriegsschiff Moskwa mit einem ukrainischen Neptun-System versenkte und jeder Sieg zu mehr Nachschub führte“, wie die Guardian-Autoren Isobel Koshiw und Peter Beaumont schreiben.

„Als wir eine ukrainische Erfindung, die Neptun, einsetzten und das Kriegsschiff Moskwa versenkten … erhielten wir danach aus den USA stammende Harpoon zur Verteidigung unserer Seegrenze, sagte Resnikow. „Die Reihe der Erfolge hat etwas geschaffen, das über das diplomatische Vertrauen zwischen der Ukraine und ihren Partnern hinausgeht.“

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