Boom bei Solar- und Windkraft in Deutschland: Im August war Strom 68 Stunden lang wertlos

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Strom aus erneuerbaren Energien wird immer wichtiger. (Archivbild) © Jan Woitas/dpa

Im ersten Halbjahr lag der Anteil erneuerbarer Energien im Land bei 60 Prozent. Das ist der höchste Anteil seit 2018. Dadurch sind auch die Preise weit in den Keller gerutscht.

Berlin – Deutschland produziert so viel Strom aus Solar und Wind wie noch nie: Wie das Statistische Bundesamt am Mittwoch (4. September) mitteilt, lag der Anteil der erneuerbaren Energien im ersten Halbjahr 2024 bei 61,5 Prozent des Strommixes. Im vergangenen Jahr waren es 53,3 Prozent. Die gesamte Stromproduktion in Deutschland ging im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um 5,3 Prozent zurück.

Erneuerbare auf dem Vormarsch: Windkraft mit Abstand wichtigste Stromquelle

Windkraft war die mit Abstand wichtigste Energiequelle vor der Kohle. Sie stand für ein Drittel der Stromproduktion, Kohle nur noch für gut ein Fünftel. Auf Platz drei und vier lagen Erdgas (14,6 Prozent) und Photovoltaik (13,9) nah bei einander, wie die Statistiker ausführten. Die Stromerzeugung aus Windkraft legte im ersten Halbjahr 2024 gegenüber dem ersten Halbjahr 2023 um 11,9 Prozent von 65,5 auf 73,4 Milliarden Kilowattstunden zu. „Dieser Zuwachs war das Ergebnis eines außergewöhnlich windreichen ersten Halbjahres 2024“, erklärte das Statistische Bundesamt. Die Solarstromerzeugung stieg um 8,3 Prozent auf 30,5 Kilowattstunden, was den Angaben nach vor allem auf den Zubau neuer Anlagen zurückzuführen ist.

Die Stromproduktion aus Kohle ging von 62,5 Milliarden Kilowattstunden auf 45,9 Milliarden Kilowattstunden stark zurück. Die Bedeutung von Erdgas als Energieträger blieb weitgehend konstant - 32,1 Milliarden Kilowattstunden statt 32,7 Milliarden im Vorjahreszeitraum.

Der Strombedarf blieb demnach im ersten Halbjahr ebenfalls konstant. Der Rückgang der einheimischen Stromproduktion wurde durch einen Anstieg der Importe ausgeglichen. Die Stromeinfuhren stiegen um 22,5 Prozent, während die Exporte um 15,2 Prozent sanken. Das liegt vor allem daran, dass importierter Strom günstiger ist, als Kohlekraftwerke laufen zu lassen.

Strompreise gehen in den Keller: 68 Stunden lang negative Strompreise im August

Die hohen Anteile an erneuerbarem Strom haben aber auch eine Kehrseite, was auf die aktuellen Fördermechanismen für private Solaranlagen zurückzuführen ist. Denn vor allem die vielen Solaranlagen (aber auch Windkraftanlagen) im Land können ihre Produktion nicht verteilen, sondern produzieren alle gleichzeitig, nämlich wenn die Sonne scheint oder der Wind weht. Das führt immer häufiger zu einer Überproduktion, die die Preise in den Keller drückt.

Im August 2024 waren nach Berechnungen des Ökostromanbieters Rabot Charge insgesamt 68 Stunden lang die Strompreise im negativen Bereich. Es wurde also 68 Stunden lang – umgerechnet sind das fast drei Tage – viel mehr Strom erzeugt und ins Netz eingespeist, als benötigt wurde. Aufgrund von Fehlanreizen durch die Solarförderung (Einspeisevergütung) werden vor allem private Erzeuger nicht durch Preissignale darin gehindert, ihren Strom zu Zeiten negativer Strompreise nicht mehr ins Netz zu speisen. Das ist ein Problem, das mittlerweile auch die Bundesregierung und die Bundesnetzagentur erkannt haben.

Bundesnetzagentur fordert steuerbare Solarparks – die man im Zweifel abschalten kann

Im Interview mit der Neuen Osnabrücker Zeitung (NOZ) hat der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, daher Abschaltmöglichkeiten für Solaranlagen gefordert. „Es führt kein Weg daran vorbei, neue Solaranlagen steuerbar zu machen.“ Die entsprechenden Gesetzesänderungen müsse der Bundestag schon „ab diesem Herbst“ verabschieden. „Dann können alle Akteure das alles schnell genug an den Start bringen.“

Neben der Abregelungsmöglichkeit in kritischen Netzsituationen müssten Solarparks künftig auch „die Einspeisung stoppen, wenn niemand für den Strom bezahlen will“, forderte der Präsident der Bundesnetzagentur. „Die Einspeisung sollte sich künftig am Marktpreis und damit am Verbrauch orientieren.“ Derzeit erhalten Solarpark-Betreiber Garantiepreise vom Staat für ihren Strom, selbst wenn die Marktpreise negativ sind, weil der Strom nicht gebraucht wird. Das kostet den Steuerzahler Millionen Euro.

Auch Eigentümer und Eigentümerinnen einer privaten Solaranlage auf dem Dach erhalten pro eingespeister Kilowattstunde Solarstrom 8,03 Cent – und das völlig unabhängig von der aktuellen Marktsituation. Diese Einspeisevergütung hat auch eine garantierte Laufzeit: 20 Jahre lang erhalten Betreiber dieses Geld.

Solarförderung vor dem Aus? Branche hat unterschiedliche Ansichten

Auch Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat ein Ende der Solarförderung gefordert. „Was die Solarförderung betrifft, besteht ein dringender Handlungsbedarf. Die Subventionen sind massiv gestiegen“, sagte er der Funke Mediengruppe. „Dabei ist eine Förderung gar nicht mehr in der Breite nötig, weil es sich rechnet. Das muss schnellstmöglich beendet werden.“

Lindner verwies auf den Koalitionsbeschluss, die Subventionen für erneuerbare Energien spätestens mit dem Kohleausstieg zu stoppen. Aus seiner Sicht könne es deutlich schneller sein, sagte er. „Die neue Kleinanlage auf dem Hausdach habe ich von der Mehrwertsteuer befreit, das ist bereits Förderung genug.“ 

Aus der Branche gibt es derweil unterschiedliche Forderungen. Zum einen sollte es mehr Anreize geben, Energiespeicher zu nutzen und den Strom zu Zeiten negativer Preise zu speichern oder selbst zu verbrauchen. Im Pendant dazu wäre es möglicherweise auch sinnvoll, die Regeln zur Einspeisung aus Batteriespeichern zu vereinfachen. Wie die Geschäftsführerin des Solarunternehmens Zolar, Sarah Müller, gegenüber IPPEN.MEDIA erklärt, ist das aktuell nämlich kaum möglich und mit bürokratischen Hürden verbunden. „Ich speichere entweder oder ich speise ein“, schildert sie.

Noch strenger vorgehen würde der Energieökonom Christof Bauer, der sogar Strafzahlungen für Einspeiser zu Zeiten negativer Strompreise ins Gespräch bringt. „Wir brauchen eine Pönale fürs Einspeisen“, sagt er zu IPPEN.MEDIA. Dies dürfte allerdings auf wenig Gegenliebe stoßen, da man sich innerhalb der Erneuerbaren-Energien-Branche vor einem Effekt der Abschreckung sorgt. (mit Material von AFP und dpa)

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