„Meine Frau musste mir die Schuhe binden“: Oliver hat 80 Kilo abgenommen

FOCUS online: Sie haben 80 Kilo abgenommen, waren mal 180 Kilo schwer. Was war aus Ihrer Sicht ausschlaggebend für den Erfolg?

Oliver Wößner: Dass ich nichts mehr beschönigt habe. Dass ich zum Beispiel morgens beim Anziehen nicht gedacht habe, ich ziehe jetzt diese Hose an. Sondern mir gesagt habe: Heute trage ich wieder 9XL. Und: Wer sowas anhat, ist furchtbar dick. Radikale Ehrlichkeit ist das A und O. 

Das Verrückte ist ja: Man nimmt sich selbst gar nicht so wahr. Glauben Sie mir, wenn ich heute Menschen sehe, die so dick sind wie ich damals, dann bekomme ich eine Gänsehaut. Manchmal bin ich kurz davor, jemanden anzusprechen und zu sagen: Sehen Sie denn nicht, was mit Ihnen los ist? Denn ich bin fast sicher: Die allermeisten sehen es nicht.

Sondern?

Wößner: Wenn man an einem Schaufenster vorbeigeht, in dem man sich spiegelt, kann man wegschauen. Der Blick in den Spiegel lässt sich vermeiden. Oder aber man macht sich diesen Filter drauf. 

Zuletzt, 2018, war ich so dick, dass ich es nicht mehr geschafft habe, mir selbst die Schuhe zu binden. Das musste meine Frau für mich übernehmen. Statt mich dafür zu schämen, habe ich so getan, als seien diese Momente beim Verlassen des Hauses und bei der Wiederkehr reine Routine. So lief das eben, was war schon dabei?

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Bevor Sie uns erzählen, wie Sie es geschafft haben, schonungslos ehrlich mit sich selbst zu sein: Wie sind Sie eigentlich so dick geworden?

Wößner: Durch falsche Gewohnheiten. In meiner Jugend und auch in den Zwanzigern war ich recht sportlich gewesen. Ich war nie wirklich schlank, hatte immer die Tendenz zu einem kleinen Bauch. Aber von dick war ich weit entfernt. 

Als unser Sohn auf die Welt kam, wurde ich dann immer mehr zu Couchpotatoe. Nach Arbeitstagen, die oft 12- oder 13-Stunden dauerten, wollte ich einfach nur meine Ruhe und mich mit einem schönen Essen belohnen. Und schön, das hieß für mich damals: Schnitzel, Pommes, Fast Food. Solche Sachen.

Manch einer wird mir nicht glauben, wenn ich sage, dass ich bis Anfang 50 nie Salat oder Gemüse gegessen habe. Wirklich nie. Wenn wir irgendwo essen waren und auf der Karte "Beilagensalat" stand, habe ich gefragt, ob ich stattdessen einen Kartoffelsalat haben könnte.

Wo andere "mal was Süßes" essen, gab es bei mir ohne zu zögern zwei oder drei Tafeln Schokolade hintereinander weg. Auch bei der Arbeit war ich ständig am Essen. Als Kraftfahrer kannte ich jede Imbissbude, jede Metzgerei auf meinen Strecken. Diese Orte habe ich alle radikal von meinem Radar gestrichen. Sie existieren für mich schlicht nicht mehr. Keine halben Sachen!

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Also auch kein FDH?

Wößner: Ich halte generell gar nichts von Diäten. Das Prinzip ist grundfalsch, weil es dem Selbstbetrug Tür und Tor öffnet. Du kannst weiter schlemmen, musst nur XY weglassen? Wer den Leuten sowas weismachen will, erzählt Blödsinn. Ohne grundlegende radikale Verhaltensänderungen wäre ich nicht da, wo ich heute bin. Möglicherweise wäre ich sogar schon tot.

Wie kommen Sie darauf?

Wößner: Der September 2018 war die Endstufe. Meine Beine waren so dick, dass ich kaum noch laufen konnte. Aber wie immer habe ich das runtergespielt und mich mit aller Kraft in die Fahrerkabine des Lkw gehievt. Beim Rückwärtsfahren sah ich plötzlich Doppelbilder. 

Schon in den Tagen und Wochen zuvor war mir aufgefallen, dass ich extrem durstig war. Oft hatte ich sieben oder acht Liter am Tag getrunken. Allerdings kein Wasser, immer Cola. Als das mit den Doppelbildern passiert ist, bin ich zu meinem Chef und habe gesagt, ich müsse mich entschuldigen. Ich bin dann zu meinem Hausarzt, der hat dramatische Zuckerwerte festgestellt. So dramatisch, dass er mich direkt ins Krankenhaus einliefern lassen wollte.

Früher trug Oliver Wößner Kleidung in der Größe 9XL. Dann fasst er den Entschluss abzunehmen.
Früher trug Oliver Wößner Kleidung in der Größe 9XL. Dann fasst er den Entschluss abzunehmen. privat

Wollte?

Wößner: Ich habe mich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt. Ich hatte wahnsinnige Angst. Angst vor dem Insulin, auf das ich eingestellt werden sollte. Und vor dem, was dann vermutlich noch alles passieren würde. Die ständige Spritzerei. Vielleicht auch eine OP zur Verkleinerung meines Magens – das macht man in solchen Situationen ja gern. 

Ich stand am Scheideweg: Gebe ich mich all diesen Dingen hin, bleibe ich das Opfer? Oder werde ich aktiv und nehme mein Leben endlich selbst in die Hand?

Sie haben sich für das Zweite entschieden.

Wößner: Ich bin meinem Arzt bis heute dankbar, dass er mir diese Chance gegeben hat und mich statt ins Krankenhaus nach Hause gehen ließ. Mit Tabletten zur Entwässerung und dem dringenden Rat, mich an meine Krankenkasse zu wenden, für eine Ernährungsberatung. Das tat ich.

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Mit welchem Ergebnis?

Wößner: Allein durch das viele Wasser, das ich anfangs verloren habe, gingen schnell ein paar Kilo weg. Durch die Ernährungsberatung habe ich gelernt, dass Geschmacksnerven sich trainieren lassen. 

Anfangs war es eine riesige Überwindung, statt Cola Saftschorle zu trinken. Aber schon bald konnte ich bei der Schorle den Zuckergehalt immer weiter reduzieren. War anfangs der Saftanteil höher als der Wasseranteil, war ich nach einiger Zeit bei halb-halb. Irgendwann reicht es mir, wenn ich nur einen Schuss Saft zum Wasser dazugegeben habe.

Beim Vesper, das ich für die Arbeit mitnahm, war es so ähnlich. Zunächst war ich noch bei drei belegten Broten plus – neuerdings – einer Box mit Rohkost. Dann habe ich nur noch zwei Brote mitgenommen und schließlich nur noch eins. Die Box mit Rohkost wurde dafür immer voller. Nicht nur aus Vernunftgründen, sondern auch, weil ich anfing, so Sachen wie Karotten oder Paprika zu mögen

Nach zwei Wochen wollte mich mein Hausarzt wiedersehen, das war Bedingung gewesen. Er war überrascht, was sich bei mir in so kurzer Zeit getan hatte. Damit war die Einweisung ins Krankenhaus erst einmal vom Tisch.

Erleichterung also?

Wößner: Das würde ich so nicht sagen. Sowas gab es eigentlich nie, weder damals noch später. Es erschien mir viel zu riskant, einen Abnehmerfolg zu feiern.

Warum das? Positive Motivation kann doch ein mentaler Booster sein?

Wößner: Nicht für mich. Mit zu viel Lobhudelei wäre ich vermutlich recht schnell wieder in dieser "alles nicht so schlimm"-Nummer drin gewesen. Und, zack, schon fängt man an, sich wieder was zu gönnen. 

Was mich gerettet hat, war radikale Disziplin. Auch als ich nach sechs Monaten bei 150 Kilo angelangt war, habe ich das Gegenteil getan von Jubeln. Ich habe mir gesagt: Wenn mein Leben sich wirklich dauerhaft ändern soll, bleibt nur eine Option. Gnadenlos weitermachen. Für mich stand fest: Es konnte nur in eine Richtung gehen.

Aber die gab es doch, diese Richtung?

Wößner: Zu dem Zeitpunkt nicht mehr so richtig. Seit ich die 150 Kilo erreicht hatte, tat sich auf der Waage kaum noch was.

Und nun?

Wößner: Habe ich die Anzeige meiner Personal Trainerin Sabine entdeckt, die ihr Studio in Brackenheim, einen Ort weiter, hat. Im Vorgespräch meinte sie, sie würde mich bei 120 Kilo sehen. Allerdings frühestens in einem Jahr. Tatsächlich habe ich dieses Ziel schon nach sechs Monaten erreicht.

Oliver Wößner mit einer 20-Kilo-Hantel und seiner knapp 60 Kilo schweren Trainerin auf dem Rücken. Das macht zusammen 80 Kilo Gewicht. Also genau das, was er vorher mehr an Gewicht hatte.
Oliver Wößner mit einer 20-Kilo-Hantel und seiner knapp 60 Kilo schweren Trainerin auf dem Rücken. Das macht zusammen 80 Kilo Gewicht. Also genau das, was er vorher mehr an Gewicht hatte. privat

Wie genau?

Wößner: Ich bin bis heute etwa zweimal pro Woche bei meiner Trainerin, die sowohl körperlich als auch mental mit mir arbeitet. Was das Körperliche angeht, so haben wir das Programm immer weiter gesteigert. Von anfangs kurzen Ausdauereinheiten auf dem Ergometer oder sachte Kniebeugen bis hin zu ausgedehntem Spinning, vom langsamen Gehen bis hin zum strammen Joggen in der Natur.

Klingt, als hätten Sie die Freude an der Bewegung entdeckt?

Wößner: Auch das wäre nicht ganz ehrlich. Zumindest in der ersten Zeit war das keine Freude, eher die pure Disziplin. Im nächsten Schritt kam dann etwas, was ich als Sucht bezeichnen würde. Ich bin bewegungssüchtig geworden, so ist das bis heute. Das merkte und merke ich vor allem dann, wenn meine Trainerin mal im Urlaub ist. Da geht es mir nicht gut. Auch, weil dann die Kontrolle wegfällt. Und die ist auf der mentalen Ebene super wichtig. 

So habe ich der ersten Zeit beispielsweise täglich mein Essen fotografiert, um die Aufnahmen der Trainerin zu schicken. Portionen, die ich als klein empfunden hatte, nannte sie üppig. Schummeln und Selbstbetrug dürfen keine Chance haben, nur so geht es. Dass ich die Kosten für das Personaltraining komplett selbst tragen muss, ist so gesehen vielleicht sogar eher hilfreich.

Inwiefern?

Wößner: Naja, bei 100 Euro pro Stunde kommt ganz schön was zusammen. Seit mittlerweile sechs Jahren investiere ich pro Monat zwischen 600 und 800 Euro für meine Gesundheit. Die Krankenkasse hat meine Bitte um Kostenübernahme abgelehnt. Eine Magenverkleinerung hätten sie übernommen.

Ärgert Sie das?

Wößner: Einerseits ja, andererseits hilft es mir, dass der Erfolg an einen persönlichen Einsatz gekoppelt ist. Als sparsamer Schwabe würde ich nie für etwas bezahlen, was keinen Sinn macht. Schon deswegen mache ich das Training mit großer Ernsthaftigkeit. Man muss sich das mal klarmachen: Für das gleiche Geld hätte ich mir inzwischen einen Ferrari kaufen können. Ein Fall klarer Prioritätensetzung würde ich mal sagen.

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Als Sie die 120 Kilo-Marke geknackt haben, haben Sie weitergemacht, richtig?

Wößner: Ja, neben dem Training immer öfter auch für mich allein. Ich hatte einen alten Kumpel wiedergetroffen, einer, mit dem ich früher Squash gespielt hatte. Seit gut fünf Jahren fahren wir zusammen Mountainbike, jedes Wochenende sind wir draußen, bei Wind und Wetter. Wenn wir heute zusammen in den Weinbergen unterwegs sind, kann ich gar nicht glauben, dass ich mich so viele Jahre als Couchpotatoe zufriedengegeben und nichts von der schönen Welt um mich rum gesehen habe. 

Auch im Sozialen ist das Leben an mir vorbeigerauscht: Außer mit meiner Frau und meinem Sohn hatte ich lange praktisch keine Kontakte. Vor drei Jahren hat mein Fahrrad-Kumpel mich gefragt, ob ich nicht Lust hätte, auch wieder beim Squash einzusteigen. Das hatte ich. Vor zwei Jahren sind wir mit unserer Mannschaft Kreismeister geworden!

Erzählen Sie uns von den magischen 100 Kilo, die Sie schließlich erreicht haben.

Wößner: Nach anderthalb Jahren mit meiner Trainerin war ich bei 104. Am Bauch hatte ich einen hässliche Hautlappen, der musste weg. Ich habe mich zu einer OP entschieden. Eine Bauchdeckenstraffung. Dabei wurden mir 4,5 Kilo Haut weggeschnitten. 

Den Moment danach, als ich auf der Waage stand, vergesse ich nie. 98,5 Kilo – unter 100 also! Der Arzt, der mich operiert hatte, war begeistert, meinte, er habe kein Gramm Fett unter dem Lappen gefunden. Spätestens seit diesem Moment weiß ich: Ich bin ein anderer Mensch geworden. Nicht nur, was das Körpergewicht angeht. Das ist nur ein Aspekt. 

Was hat sich noch verändert?

Wößner: Früher litt ich unter Schlafapnoe, hatte nachts oft Atemaussetzer. Das ist komplett verschwunden. Meine Diabeteswerte sind im Normbereich. Und die chronische Entzündung meiner Bauchspeicheldrüse ist weg. Insgesamt sind meine Werte sehr gut. Und auch mental bin ich heute gut aufgestellt, meine ich: Ich vertraue dem Leben und ich vertraue mir. Das ist etwas anderes als ein Happy End.

Weil das Ganze ein Prozess ist, der weitergeht?

Wößner: Ja, genau. Jeder Tag, den ich so leben darf wie jetzt ist ein Happy End.

Trotzdem würden andere sagen, was Sie erreicht haben ist Grund genug, mal ordentlich zu jubeln und feiern.

Wößner: Nein, in dieser Sache bin ich weiter konsequent. Ausruhen geht nicht. Jubeln wäre falsch. Zumal ich zwischenzeitlich in stressigen Phasen durchaus auch wieder das ein oder andere Kilo hinzugewonnen habe. 

Ich mache mir nichts vor: Mein Gewicht wird ein Lebensthema bleiben. Gleichzeitig weiß ich: Wenn ich an der Stelle ehrlich mit mir bin, werde ich es schaffen, mit diesem Thema umzugehen. Übrigens auch mit all dem, was ich alles verpasst habe. Das gehört zur ganzen Wahrheit nämlich auch dazu.

Was meinen Sie?

Wößner: Mein Sohn ist jetzt 25 und ich war in den wichtigen Phasen seiner Kindheit nicht für ihn da. Es ist traurig, dass er nie einen Vater hatte, der mit ihm auf Bäume geklettert ist oder mit ihm Fußball gespielt hat. Das kann man leider nicht mehr ändern. Der ganz andere Mensch, für den mich manche halten, ist nur ein Teil der Realität. Der 180-Kilo-Mann wird immer zu meiner Biografie gehören.

Wer hält Sie für eine andere Person?

Wößner: Leute, die mich länger nicht gesehen haben. Früher waren wir als Familie oft im Urlaub in einem Hotel in Tirol. Und dann einmal drei Jahre hintereinander nicht. Als wir dann wieder hingefahren sind, nahm der Hotelmanager meine Frau beiseite und fragte, was mit ihrem früheren Ehemann sei. Er konnte nicht glauben, dass ich dieser Ehemann war. Dass ich immer noch lebte…

… noch lebte?

Wößner: Genau das hat er zu meiner Frau gesagt. Jedes Jahr hätten sie sich überlegt, ob wir wiederkommen würden. Nicht nur mein Hausarzt hat mich also schon zweieinhalb Meter unter der Erde gesehen. Andere Leute haben das auch.