Deutschland rutscht tiefer in die Wirtschaftskrise: Staat und Unternehmen haben beide versagt
Der Staat hat nicht genug investiert, nun steckt Deutschland in der Krise. Doch nicht nur der die Politik hat zu wenig für den Umbau der Wirtschaft getan.
München – Die deutsche Wirtschaft befindet sich im Sinkflug: kein Wachstum, keine Aufbruchsstimmung, ständige Berichte über Stagnation und Krisenstimmung. Das spiegelt auch der Geschäftsklimaindex des Münchener ifo Instituts vom Montag (26. August): Das Ifo-Geschäftsklima sank im August bereits den dritten Monat in Folge. Es fiel um 0,4 auf 86,6 Punkte, wie das Institut in der Umfrage unter rund 9000 Führungskräften mitteilte. Die Firmen beurteilten ihre Geschäftslage schlechter und auch die Aussichten pessimistischer als zuletzt. „Die deutsche Wirtschaft gerät zunehmend in die Krise“, sagte Ifo-Präsident Clemens Fuest.
Deutschland „hat sich in der Stagnation eingerichtet“ – Hoffnung liegt auf Verbraucher und Verbraucherinnen
Vor allem in der Industrie ließ die Stimmung merklich nach. Das Geschäftsklima der Dienstleister verschlechterte sich ebenfalls, während es beim Handel nach zwei Rückgängen in Folge leicht bergauf ging. Im Bauhauptgewerbe blieb die Stimmung unverändert nüchtern. „Die deutsche Wirtschaft hat sich in der Stagnation eingerichtet“, sagte der Leiter der Ifo-Umfragen, Klaus Wohlrabe, der Nachrichtenagentur Reuters. „Wir wandern beim Wachstum schon länger an der Nulllinie entlang.“ Im dritten Quartal könne es sogar einen weiteren Rückgang des Bruttoinlandsproduktes geben, nachdem es schon im Frühjahr ein leichtes Minus von 0,1 Prozent gegeben hatte.
Die erwartete Erholung verschiebe sich damit immer mehr in Richtung 2025, sagte Chefökonom Ulrich Kater von der DekaBank. „Hoffnungsträger sind vor allem die weiter steigenden Einkommen der Verbraucher in den kommenden Monaten.“ Das sei auch dringend nötig. „Denn auf den Export ist für die deutschen Unternehmen mangels weltweiter Nachfrage und gestiegener internationaler Konkurrenz kein Verlass mehr.“
Gründe für die Misere der deutschen Wirtschaft: Deutschland hat sich lange ausgeruht
Die Gründe für die Misere der deutschen Wirtschaft sind vielfältig. Das bedeutet allerdings auch, dass sie schwer zu beheben sind. Auf das Land prasseln zeitgleich mehrere Herausforderungen ein: Der demografische Wandel und der dadurch einsetzende Fachkräftemangel; die hohen Energiepreise, die die Wettbewerbsfähigkeit des Landes drücken; die verschleppten Investitionen in Digitalisierung, grüne Transformation und Infrastruktur, die nun alle nachgeholt werden müssen; und schließlich die steigende Konkurrenz aus Ländern wie China und Indien, die mehr als nur die Werkbank der Welt sein wollen.
Ein weiterer Aspekt, den der Ökonom Daniel Stelter im Interview mit Focus Online unterstreicht: Deutschland hat sich in den vergangenen Jahrzehnten keine Mühe gegeben, ihre Industrien zu diversifizieren und neue Entwicklungen zu beherzigen. „Ich scherze immer, dass wir alle führenden Industrien, die wir noch haben, auch schon hatten, als es in Deutschland noch einen Kaiser gab: Automobilbau, Maschinenbau, Chemie-Industrie. Gut, wir haben außerdem noch SAP, aber der Konzern ist auch schon 50 Jahre alt“, sagt er dem Portal.
„Wir leben von alten Industrien, in denen wir uns vor über 100 Jahren eine weltweit dominierende Position erarbeitet und bis heute verteidigt haben.“ Das sei natürlich eine gute Sache – aber es zeigt auch, dass Deutschland bei neuen Entwicklungen entweder nicht mitgeht oder nicht in der Lage ist, sich in neuen Geschäftsbereichen langfristig zu etablieren.
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Unternehmen haben seit 2008 zu wenig investiert: „Das ist nicht die Aufgabe“
Schuld an der Lage ist daher nicht nur der Staat, der zweifelsohne vor allem in den vergangenen 20 Jahren nicht genug investiert hat. Es sind auch die Unternehmen des Landes, deren Investitionen seit der Finanzkrise 2008 zu Wünschen übrig lassen. Das zeigt eine Statistik der KfW-Bank vom Jahr 2021: Demnach haben deutsche Unternehmen 2008 noch 13,1 Prozent des Bruttoinlandsproduktes (BIP) investiert. Seitdem ist das Investitionsniveau der Firmen kontinuierlich unter diesem Wert geblieben, 2020 lag er bei 12,3 Prozent. Zum Vergleich: 1990 lagen die Investitionen in Deutschland laut KfW noch bei 15,8 Prozent des BIP.
Als mögliche Begründung sehen die Ökonomen und Ökonominnen in der Untersuchung das Alter der Firmeninhabenden. So sei das Durchschnittsalter dieser zwischen 2002 und 2021 um acht Jahre gestiegen. „Die Neigung zu investieren sinkt mit zunehmendem Alter der Inhabenden massiv“, heißt es. Wenn dann auch noch strukturelle Herausforderungen, wie Energiekosten und Bürokratie hinzukommen, ist die Wahrscheinlichkeit einer Investition nochmals gehemmt.
Deutsche Unternehmen haben also in den vergangenen 15 bis 20 Jahren im Schnitt eher gespart, anstatt zu investieren. Der Staat das Gleiche getan. Ökonom Stelter sagt zu Focus: „Das ist nicht die Aufgabe. Die Unternehmen hätten Gelder aufnehmen und investieren sollen. Und auch der Staat hätte nicht sparen müssen.“ Dieses doppelte Versagen bringt die deutsche Wirtschaft nun in die Bredouille – es muss jetzt eigentlich eine Aufholjagd beginnen. Doch dafür sind die wirtschaftspolitischen Weichen aktuell nicht gestellt.
Angst vor Wohlstandsverlust: Klare Signale aus der Politik fehlen weiterhin
Die vielen Herausforderungen, die auf die Gesellschaft und die Wirtschaft nun zukommen, sorgen zudem für Verunsicherung und Angst vor Wohlstandsverlust. Das belastet die Konjunktur nochmal mehr, wie das ifo im aktuellen Bericht zum Geschäftsklima erläutert. Chefvolkswirtin der Förderbank KfW, Fritzi Köhler-Geib sagte daher auch: „Meines Erachtens ist das zurzeit außergewöhnlich tiefe Klimaniveau vor allem eine Folge der großen Verunsicherung in den Unternehmen, die mit einer Vielzahl transformativer Herausforderungen und hartnäckiger globaler Krisen konfrontiert sind.“
Der Konjunkturexperte der DZ Bank, Christoph Swonke, äußerte sich pessimistischer: „Deutschland fehlen momentan die Impulse, die zu einem Ende der wirtschaftlichen Schwächephase und zu einem starken Aufschwung führen könnten“, erklärte er. Die Nachfrage aus dem In- und Ausland sei weiterhin schwach und klare Signale der Wirtschaftspolitik fehlten. Daher bleibe die Verunsicherung unter den Unternehmen und Verbrauchern hoch. Er rechnet für Deutschland in diesem Jahr nur noch mit einem Mini-Wachstum von 0,1 Prozent. (mit Reuters und dpa)