„Haben strukturelle Probleme“: Ifo-Chef findet harte Worte für „gelähmte“ deutsche Wirtschaft

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Container am Hamburger Hafen: Die deutsche Wirtschaft hat laut Ifo-Chef Fuest strukturelle Probleme. © Christian Charisius / dpa

Der russische Krieg gegen die Ukraine und die daraus entstandenen Folgen haben der deutschen Wirtschaft schwer geschadet. Der Chef des Münchner Ifo-Instituts sieht darüber hinaus tiefgreifendere Probleme.

Berlin - Nach der Rezession 2023 wird sich die deutsche Wirtschaft dieses Jahr voraussichtlich kaum besser schlagen. Führende Forschungsinstitute senkten am Mittwoch ihre Konjunkturprognosen deutlich und erwarten nur noch ein Mini-Wachstum. Ifo-Präsident Clemens Fuest gab der Ampel-Regierung dafür eine Mitschuld. „Wir haben ganz klar strukturelle Probleme“, sagte der Top-Ökonom in Berlin. Es fehle eine gemeinsame Antwort der Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Die Wirtschaft mahnte steuerliche Entlastungen an, um aus dem Tief herauszukommen.

„Die deutsche Wirtschaft ist wie gelähmt“, so das Ifo-Institut. Die Stimmung sei schlecht, die Unsicherheit hoch. Die Ifo-Ökonomen und die Experten vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) gehen mittlerweile jeweils davon aus, dass das Bruttoinlandsprodukt (BIP) Anfang 2024 das zweite Quartal in Folge schrumpft und Deutschland somit in eine Rezession rutscht. Erst ab der Jahresmitte dürfte es spürbar besser werden. Im Gesamtjahr erwarten die Regierungsberater faktisch eine Stagnation. Das Ifo senkte seine BIP-Prognose von 0,7 auf 0,2 Prozent, die Kieler Experten kappten ihre Schätzung sogar von 0,9 auf 0,1 Prozent.

Fuest: „Man müsste deutlich mehr tun“

Fuest warf der Ampel-Regierung vor, keine Strategie zu haben, um den Wirtschaftsmotor wieder anzuwerfen. „Es gibt kein überzeugendes Konzept.“ Es gebe nur unterschiedliche Vorstellungen innerhalb der Koalition. Die Wirtschaftspolitik sei damit ein Risikofaktor für die Konjunkturprognose. Die Schuldenbremse, die SPD und Grüne gerne lockern würden, sei keine Wachstumsbremse. Sie erlaube gerade in Krisenzeiten mehr Schulden - und auch Sondertöpfe seien möglich. Andere Staaten stünden bei ähnlichen internationalen Bedingungen besser da als Deutschland. Im Wohnungsbau und in der Industrie in Deutschland gebe es keine attraktiven Investitionsbedingungen. Das geplante Wachstumschancengesetz - zusätzliche Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen - sei zwar richtig, mit gut drei Milliarden Euro Entlastungsvolumen aber zu gering. „Man müsste deutlich mehr tun.“ Eine Steuerreform sei ebenso nötig wie ein Abbau der überbordenden Bürokratie.

Ähnliche Kritik äußerte der Industrieverband BDI, der in diesem Jahr mit einem Wachstum von 0,3 Prozent rechnet. „Besserung ist nicht in Sicht.“ Je länger die Zurückhaltung der Konsumenten andauere, desto länger ziehe sich auch die Flaute. Deshalb seien Steuerentlastungen für mehr Investitionen wichtig. „Ziel muss eine international wettbewerbsfähige Steuerbelastung der Unternehmen von maximal 25 Prozent sein.“ Der CSU-Finanzpolitiker Sebastian Brehm forderte dafür ein Ende des „Ampel-Dauerstreits“.

Jobmarkt trotzt Konjunkturflaute

Ifo-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser führte die Wirtschaftsschwäche auf den mauen Konsum, die hohen Zinsen und Preissteigerungen, die Sparbeschlüsse der Regierung sowie die lahmende Weltkonjunktur zurück. Allerdings deute sich in den nächsten Monaten eine leichte Besserung an. „Mit dem allmählichen Wegfall der Belastungen bei Zinsen und Preisen und den Auswirkungen der höheren Kaufkraft für die Verbraucher wird sich die Wirtschaftsleistung zur Jahresmitte beschleunigen.“

Für 2025 erhöhte das Ifo-Institut seine Prognose um 0,2 Punkte auf 1,5 Prozent, während die Experten aus Kiel weiter mit 1,2 Prozent Wachstum rechnen. Der Arbeitsmarkt sollte sich weiter robust zeigen. Die Zahl der Beschäftigten wird laut Ifo sogar von 45,9 auf 46,1 Millionen klettern, und im kommenden Jahr den Rekordwert von 46,2 Millionen erreichen.

Inflation nähert sich Zielwert

Die Verbraucherpreise dürften laut Ifo 2024 nur noch um 2,3 Prozent zulegen, nach 5,9 Prozent im Vorjahr. Im kommenden Jahr sollten es dann 1,6 Prozent sein. Die Europäische Zentralbank (EZB) strebt zwei Prozent als optimalen Wert für die Wirtschaft an. Der anhaltend hohe Fachkräftemangel wird der IfW-Prognose zufolge auch in Reaktion auf die in den vergangenen Jahren hohe Inflation zu deutlich steigenden Löhnen führen. Mit dem erwarteten Abebben der Teuerung „werden die real verfügbaren Einkommen im laufenden Jahr erstmals nach drei Jahren wieder steigen und den privaten Konsum stimulieren“.

Mit der aktualisierten Schätzung liegt das Ifo auf dem Niveau der Regierungsprognose für 2024, das IfW leicht darunter. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck hatte die Schätzung der Ampel jüngst von 1,3 auf 0,2 Prozent Wachstum gesenkt. Ende 2023 war das BIP um 0,3 Prozent gesunken und dürfte vielen Experten zufolge auch im laufenden ersten Quartal fallen. Nach einer Faustregel von Fachleuten wäre Deutschland damit in einer technischen, also vorübergehenden Rezession. (reuters, lf)

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