240 Traktoren legen Wolfratshausen lahm: Wir haben die Protest-Führerin im Kuhstall besucht

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Im Schritttempo: Die Bauern-Demo im Nordlandkreis sorgte am Samstagmittag für lange Staus wie hier auf der B11 bei Waldram. © Sabine Hermsdorf-Hiss

Der Rückhalt rührt sie manchmal zu Tränen. Ruth-Maria Frech ist Jungbäuerin und Organisatorin der Bauerndemo von Wolfratshausen. Wir haben sie besucht.

Wolfratshausen/Irschenhausen – Den Start in den Tag hatte sie sich anders vorgestellt. 5 Uhr aufstehen, Kühe melken, Kühe füttern. Wie jeden Tag. So war der Plan. „Meist schlafen die Kinder weiter, aber heute bin ich gleich ins Bett zurückbeordert worden“, sagt Ruth-Maria Frech und lacht. Ihre acht Monate alte Tochter Franziska wollte gestillt werden, die bald drei Jahre alte Johanna mit in den Stall. „Wahrscheinlich überträgt sich die Unruhe der Mama“, vermutet die 32-Jährige. Für sie ist es kein Tag wie jeder andere. „Man organisiert so was ja nicht jeden Tag, und es ist auch nicht so, dass ich jeden Tag auf eine Demo gehe.“

Ruth-Maria Frech mit ihrer Tochter im Stall
Bäuerin Ruth-Maria Frech führt einen landwirtschaftlichen Betrieb in Irschenhausen. Mit Tochter Johanna kümmert sie sich Samstagfrüh um die Kühe. © Rudi Stallein

Hunderte Traktoren legen Wolfratshausen lahm - Wir haben die Protest-Führerin im Stall besucht

Die Jungbäuerin aus Irschenhausen hat, als sie im Mai 2017 den elterlichen Hof übernahm, „gleich ein paar Ämter mit übernommen“, neben anderen das der Ortsvorsitzenden des Bauernverbands Icking-Dorfen-Wolfratshausen. Als solche ist sie zuständig für die Organisation der Bauern-Demo, die in wenigen Stunden durch die Flößerstadt rollen soll. Um 7.30 Uhr trägt sie die letzten Eimer Wasser in die Tränke für die Kälber. 50 Milchkühe stehen im Stall, geben die „Freche Milch“, wie sie ihr Produkt nennt, plus nahezu ebenso viel Nachzucht. Draußen am Gras-Silo befüllt Frechs Freund Johann den Futtermischwagen, begleitet von Tochter Johanna auf dem Kindersitz seines Traktors. „Der Futtermischwagen ist wie ein Thermomix, nur größer“, erklärt der 27-Jährige unserer Zeitung.

Bauerndemos in Bad Tölz-Wolfratshausen: Am Morgen vor der Großdemonstration ist Frech noch entspannt

Das eigene Frühstück muss warten. „Dass wir fortfahren und die Tiere sind nicht versorgt, gibt’s nicht“, erläutert die Bäuerin. Während Johann und Johanna das frische Futter im Stall ausstreuen, hat Ruth-Maria Frech Stiefel, Softshell-Jacke und Arbeitshose gegen Jeans und ärmelloses schwarzes Top getauscht und ihr Headset wieder aufgesetzt. Sie höre gerne Podcasts, erklärt die Bäuerin, aber in den letzten Tagen habe sie wegen der Organisation der Demo ständig telefonieren müssen. Selbst konnte sie bisher nur an wenigen Aktionen teilnehmen. Am Montag sei sie bei der Demo in München als Ordner eingeteilt gewesen, am Samstag davor nahm sie an einer Spontan-Demo teil, als Bauern sich mit ihren Bulldogs auf den Brücken der A95 postierten. „Hut ab, wie das abgelaufen ist“, sagt Frech.

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Während sie erzählt, trägt sie ihre Tochter Franziska auf dem Arm durch die warme Stube, stellt Wurst fürs Frühstück auf den Küchentisch und ereifert sich. Über „Regulierungswahn“ und „Bürokratiewut“ und über einiges mehr, was die Bauern derzeit auf die Straße treibt, vor allem die „Steuererleichterungen, die man uns streichen will“.

Landwirting schimpft: „Gebe die Schuld nicht alleine der Ampel. Die haben auch früher schon Schmarrn gemacht“

Die Irschenhauserin schimpft über „Dinge, die von oben bestimmt werden, aber die mit der Praxis nichts zu tun haben“. Das sei schon losgegangen mit der Düngeverordnung, kaum dass sie den Hof vor sechseinhalb Jahren übernommen habe. „Zu was mache ich ein Studium, wenn die Hälfte der damaligen Verordnungen heute schon nicht mehr gelten“, kritisiert sie den Schlingerkurs in der Agrarpolitik der Regierung. „Ich gebe die Schuld nicht allein der Ampel“, so Frech, „die haben auch früher schon Schmarrn gemacht.“

„Mir sind die Tränen gekommen“: Landwirtin überwältigt vom Zuspruch

Die Jungbäuerin hofft, dass die Proteste in den vergangenen Tagen dazu beitragen, dass „die da oben den Leuten vom Fach zuhören und das umsetzen“. Und vor allem die Minimalforderungen erfüllen: die Streichung von Steuervergünstigungen für landwirtschaftliche Fahrzeuge und Agrardiesel zurücknehmen. Immerhin hätten die Demonstrationen in den vergangenen Tagen bewirkt, „dass ein Großteil der Leute kapiert habt, dass jede Subvention für die Versorgung mit Lebensmitteln wichtig ist. Und dass in der Gesellschaft angekommen ist, dass wir, die Bauern, die Lebensmittel herstellen, das Essen besorgen.“ Und noch einen positiven Aspekt habe das Ganze: „Den Bauern tut es gut zu sehen, dass zusammengehalten wird. Das ist ein sehr schönes Gefühl: Bei dem Anblick sind mir schon mal die Tränen gekommen.“

Ruth-Maria Frech mit Plakat
Demonstrantin: Als Chefin des Bauernverbands Icking-Dorfen-Wolfratshausen organisierte Frech den Protest. © Rudi Stallein

Transparente an Traktoren: Bauerndemo in Wolfratshausen bringt 240 Bulldogs auf die Straße

Übers Plaudern ist die Zeit fortgeschritten. Ein letzter Blick auf die Helferliste, die auf dem Küchentisch liegt. „Es sollte reichen“, stellt die Bäuerin zufrieden fest. Es haben sich genügend Ordner gefunden. Während sie ihrer kleinen Tochter neue Windeln anlegt, bevor die mit ihrer älteren Schwester zur Oma geht, damit Mama und Papa in Ruhe demonstrieren können, ist Johann damit beschäftigt, an den zwei mächtigen John-Deere-Traktoren Transparente anzubringen. „Jetzt wird’s doch noch eng“, schnauft Ruth-Maria Frech, als sie ihr Plakat mit Kabelbindern festzurrt. „Aber zu spät kommen geht gar nicht.“

Großdemo legt Verkehr auf Bundesstraße lahm

Wenig später rollt sie an der Spitze des Traktorenzugs durch Wolfratshausen. 240 Bulldogs hat die Polizei gezählt, die sich teilweise auf zwei Kilometer aneinanderreihten. „Unglaublich, ich bin noch etwas sprachlos. Das war Wahnsinn“, berichtet die Organisatorin, als sie ein paar Stunden später zurück auf ihrem Hof in Irschenhausen ist, um einige Glücksgefühle und Gänsehautmomente reicher. „Es sind offenbar viele Leute gezielt hingegangen, um zu Klatschen und uns zu unterstützen.“ Ruth-Maria Frech hat auf ihrer Fahrt „viele Daumen nach oben“ bemerkt. „Dieser Rückhalt tut gut. Das ist Balsam für die Seele.“

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